Jennifer Lawrence: Ohne Maulkorb

MADRID, SPAIN - NOVEMBER 26: Jennifer Lawrence attends 'El Hormiguero' Tv show at Vertice Studio on November 26, 2015 in Madrid, Spain. (Photo by Juan Naharro Gimenez/Getty Images)
Ein Oscar, zwei Golden Globes, der dritte könnte schon morgen dazukommen. Jennifer Lawrence – aktuell mit „Joy“ in den Kinos – ist gerade 24, stammt aus einem Südstaatenkaff in Kentucky und gehört zu den besten Schauspielerinnen der Welt. Im Interview mit freizeit-Autorin ELISABETH SEREDA spricht sie über „dummes“ Schauspielen, Liebe und Hackerattacken.

Kann man einen jungen Star für die Wahl seiner Berater und Begleiter zur Verantwortung ziehen? Im Grunde nein. Außer wenn jemand so schlau ist wie Jennifer Lawrence. Würde man die 24-Jährige nach ihrer PR-Assistentin beurteilen, müsste man eigentlich jedes Interview mit ihr ablehnen. Denn die Versuche der Medien-Dame, jedes Wort ihrer weltberühmten Klientin zu kontrollieren, sind ebenso hilflos wie nervtötend. Doch sobald J. Law, wie sie von Fans genannt wird, den Raum betritt, sind alle mühsamen Diskussionen im Vorfeld vergessen. Sie ist unkalkuliert charmant, und trotz ihres Entschlusses, absolut nichts über ihr Privatleben zu sagen, erfrischend offen und unzensuriert witzig: „Gebranntes Kind scheut das Feuer. Jedes Mal, wenn ich einen Boyfriend erwähne, explodiert die Welt. Jedes Zitat verfolgt mich auf ewig. Also halte ich meinen Mund, was die Jungs angeht.“
Die Angst vor zuviel Privatem sei ihr verziehen nach dem Computer- und Mobiltelefon-Hack und den Nacktfotos, die nur für die Augen ihres damaligen Freundes bestimmt waren. Dass sie mit 24 das Eindringen in die Intimsphäre so gekonnt meisterte, ist Beweis für eine innere Kraft, die die wenigsten besitzen. Anstatt sich zu verkriechen und mindestens ein Jahr auf eine einsame Insel zurückzuziehen, ging sie wie geplant ihrer Arbeit nach und sagte auch die Promotion für ihre Filme nicht ab. Das Verbot an die Presse, Fragen nach dem Hack zu stellen, kam nicht von ihr, sondern von ihren Beratern, wie sich herausstellte, denn: „Ich bin sehr wohl in der Lage, auf solche Fragen mit dem einfachen Satz Darüber will ich jetzt nicht reden zu reagieren“, sagt die Schauspielerin. Und was gäbe es auch mehr zu sagen als das, was sie Vanity Fair kurz danach mitteilte: „Ich war vier Jahre lang in einer guten, sehr liebevollen Beziehung. Es war eine Fernbeziehung, und in so einem Fall schaut sich dein Freund entweder Pornos an oder dich.“ Das war die Erklärung für das Mailen der Fotos. Sie war erst mit den Nerven fertig und dann wütend. Sie betrachtet die Angelegenheit nicht als Skandal, sondern als sexuelles Verbrechen. Sie will die Gesetze ändern. Sie will Hacker vor Gericht bringen. Aber eines wollte und will sie nicht, nicht mal am Höhepunkt der widerlichen Affäre – sich verstecken. „Ich kann nicht nicht schauspielen. Ich kann nichts anderes. Und ich will hier nicht undankbar klingen, aber Schauspielen ist blöd. Wenn mich die Leute fragen, wie schaffst du es, so normal zu bleiben?, kann ich nur sagen, warum sollte ich jemals größenwahnsinnig werden? Ich rette keine Leben. Es gibt Ärzte, die lebensgefährliche Tumore entfernen und Feuerwehrmänner, die in brennende Gebäude rennen. Ich mache Filme. Das ist im Vergleich ziemlich dumm.“

Jennifer Lawrence: Ohne Maulkorb
NEW YORK, NY - DECEMBER 13: Actress Jennifer Lawrence attends the "Joy" New York premiere at the Ziegfeld Theater on December 13, 2015 in New York City. (Photo by Mark Sagliocco/Getty Images)
Dumm oder nicht, eine Karriere wie die ihre kommt nicht oft vor. Sie war erst 20, als sie für das Drama Winter’s Bone eine Oscarnominierung bekam. Dass sie nach diesem Kritikererfolg mit X-Men und Tribute von Panem gleich zwei Blockbuster drehte, beweist ein ungewöhnliches Verständnis des Filmgeschäfts und extrem smarte Karriereplanung für eine so junge Schauspielerin. Sie wechselte von Katniss Everdeen zu Tiffany in Silver Linings, was zu einem Golden Globe und einem Oscar und einer legendären Begegnung mit Jack Nicholson führte, der ihr Live-Interview im TV unterbrach: „Ein paar Tage danach schickte er mir eine Flasche Champagner und ein Dutzend Rosen mit einer Karte. Als meine Mutter meine Sachen packte, weil ich umziehen musste, ging die Karte verloren. Darauf stand: „Vermisse dich schon – Jack“. So schade sie das findet – die Art und Weise, wie Nicholsons Geschenk zu ihr gelangte, versetzt sie immer noch in Panik: „Er hat meine Adresse rausgefunden, ohne irgendwen in meinem Team anzurufen!“

Abgesehen von ihrem berühmtesten Stalker hat Lawrence eine Fangemeinde aufgebaut, die weit über all die 15-Jährigen hinausgeht, die sich die Panem-Reihe bis zu 20-mal hintereinander anschauen. Regisseur David O. Russell und sie gelten in Hollywood als großartiges Team. Sie sieht ihn als Meister, er sie als Muse. Joy, der aktuell in den österreichischen Kinos läuft, ist ihr dritter gemeinsamer Film nach Silver Linings und American Hustle: „Ich habe Jennifer kennengelernt, als sie zu mir nach Hause kam, und Robert De Niro war da, und sie fragte ihn Wie ist das, wenn man so berühmt ist, dass man überall erkannt wird?, erzählt Regisseur Russell. „Ich habe zugesehen, wie schnell das auch ihr passiert ist. Und ich bewundere ihre Stärke und ihr Talent. Sie mag ja einige Filme mit Pfeil und Bogen auf ihrem Rücken tragen, aber meine Filme trägt sie mit dem Herzen.“ Auch für Miss Lawrence ist kein Ende der Zusammenarbeit in Sicht: „Das war nicht der letzte Film, den wir gedreht haben, denn ich vertraue David. Auch wenn er mich zwingt zu singen und mir erst gestern ge-sms-t hat …“ Sie kramt ihr Handy aus der Tasche: “… ob er meine Coverversion von Something Stupid auf den Soundtrack nehmen kann. Und ich sms-te zurück Nein!!! Die haben alle Panem-Songs auf den Soundtrack gegeben, und jetzt glauben die Leute womöglich noch, dass ich singen kann! Verdammt! Ich meine ja, von mir aus, ich kann nie nein sagen. Ahhhhhh!“ Sie schlägt die Hände vors Gesicht: „Diese Singerei verfolgt mich. Jedes Mal, wenn ich glaube, das war jetzt das letzte Mal, fällt wieder wem ein, dass ich singen muss.“

Mit der Kabarettistin Amy Schumer sprang sie vor drei Monaten bei einem Billy-Joel-Konzert auf das Klavier des Rockstars und tanzte barfuß. Zwei Tage später ging sie mit Schumer und Sängerin Adele essen. Ganz spontan. Freundschaften mit anderen Stars vermied sie jahrelang: „Weil es immer so ein Zirkus ist. Zwei berühmte Menschen verdoppeln den Irrsinn nicht, sie verzehnfachen ihn. Aber ich bin draufgekommen, dass Freundschaften unter Leuten in einer ähnlichen Position sich leichter entwickeln, weil niemand ein verstecktes Motiv hat und keiner was von dir will.“
Nicht jede Computerattacke, die sie betraf war negativ, wie sich herausstellte. Auf die Art entdeckte sie etwa, dass sie nicht einmal halb so viel wie ihre männlichen Co-Stars verdiente. Und anstatt auf den ängstlichen Rat ihrer Agenten zu hören, schrieb sie darüber ein wütendes Manifest auf der Website von Lena Dunham: „Jetzt fühle ich mich großartig, dass ich den Mut dazu aufbrachte. Jahrelang wollte ich mich immer lieber aus dieser Hollywood-Politik raushalten, weil ja nicht nur die Liberalen Kinokarten kaufen. Aber hier ging es um Gleichberechtigung. Was ist der Sinn meines Ruhms, wenn ich ihn nicht dazu benütze, Themen aufzubringen, die nicht nur mich betreffen, sondern jede Frau, die nicht in der Position ist, den Mund aufzumachen? Ich verärgere damit einige Machos, und es ist nicht gut für meine nächtlichen Panikattacken, aber sei’s drum.“ Für Joy bekam sie die höchste Gage von allen – wohl nicht nur, weil sie die einzige Hauptrolle spielte.
Eine Oscarnominierung dafür ist ihr so gut wie sicher, und damit gehen die roten Teppiche und Partys weiter. Dabei sind Partys so gar nicht ihr Ding: „Preisverleihungen sind endlos, und ich will danach all diese Leute nicht mehr sehen, also bin ich immer ins Bett gegangen. Nur nach dem Oscar hab ich mich überreden lassen, auf diese exklusive After-Show-Party bei Madonna zu gehen. Blöd war nur, dass ich schon während der Verleihung zu viele Cocktails hatte. Also habe ich bei Madonna auf die Terrasse gekotzt. Und ausgerechnet Miley Cyrus stand hinter mir und blaffte jetzt reiß dich zusammen!“
Hoffen wir, dass sie nicht darauf hört.
Es wäre nur halb so lustig.

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