Sanft, sexy, solo

Sanft, sexy, solo
Der Schein und die Wahrheit der Gefühle. Ildebrando D’Arcangelo, Weltstar mit dunkelsatter Stimme, schwingt in Balance.Verführt in vielen Figuren. Zum Start der Salzburger Festspiele als Mozarts mythischer Wüstling Don Giovanni.
Von Ro Raftl

Leise und leicht. Unkompliziert. Kein Gedröhne. Kein schwerer Schritt, kein mächtiger Mann, kein flammendes Schwert. Ildebrando D’Arcangelo. Erzengel also, wenn man’s übersetzt. Aber dieser da ist als Freizeitsportler gestylt, hat schwarze Wuschellocken, einen Sechstagebart, und es stimmt wirklich: Sieht wie der Bruder von Kinoschwarm Javier Bardem aus. „Ist er nicht süß?“, hat man schon etliche Damen flüstern gehört. Fühlt sich geneigt, ihnen zuzustimmen. Erst Recht, wenn dieser Erzengel singt. Dunkelsatt. Muss nicht immer ein Tenor sein. „Don Giovanni“ bei den Salzburger Festspielen sollte den Fans genügen. Stopp! Nicht in doppelt ausgelegte Fallen tappen. Wär nur eine Verwechslung mehr, eins der Missverständnisse, vor denen Regisseur Sven-Eric Bechtolf in seiner Don-Giovanni-Ankündigung warnt: Mozarts und Da Pontes Theaterfigur in einer vergleichsweise tabulosen und schamfreien Zeit in die Nähe eines pornografischen Durchschnittswüstlings des 21. Jahrhunderts zu rücken. Denn: Gegen den sei Don Giovanni ein romantischer Held von metaphysischen Dimensionen. Interessant, amüsant (und komplett auf www. salzburgerfestspiele.at nachzulesen), wie Bechtolf eine Abhandlung des Philosophen Søren Kierkegaard mit- und weiterdenkt:

Doch: „Auf der Bühne wenigstens auf eine Welt angewiesen, die der Sexualität ihren Respekt durch Unterdrückung erweist und sie nicht durch pervertierte Liberalität und ökonomisch bedingte Tabulosigkeit entwertet“. Don Giovannis Verlangen sei die Grenzenlosigkeit. Sein Leben laut Kierkegaard eine nicht an Kontinuität und Kausalität gebundene rasende Aneinanderreihung von Momenten. Seine Sexualität nicht zu befriedigen, sein Hunger nicht zu stillen. Faust vergleichbar: „So taumle ich von Begierde zu Genuss, und im Genuss verschmacht ich nach Begierde.“ Nein, das habe nichts „mit der bürgerlichen Freiheitsverwahrlosung unserer Tage zu tun“. Nein, und „Bechtolf will Don Giovanni nicht psychopathologisieren“, sagt sein Festspielheld Ildebrando D’Arcangelo. Mozart und Da Ponte zeigen’s ohnehin, wie schnell aus dem plakativen Verführer ein verlorener Verlierer wird. „Zumindest bleibt er sich selber treu. Geht lachend mit dem Komtur, bittet nicht um Verzeihung, um erlöst zu werden. Wie ich es täte, vermutlich fast Jedermann täte.

Ich denke, es ist der Tod, der ihn fasziniert, der Tod seine wahre Verführung.“ „Seduzione“ auf Italienisch. Das klingt weich, bleibt als semantischer Ohrwurm hängen. Während Don Giovannis letzte banale Canzonetta: „Deh! Vieni alla Finestra. Ach! Komm ans Fenster“ unerhört in die Nacht verebbt, bevor sein Schlachtfeld in Flammen aufgeht. Kierkegaards Interpretation der „Urgewalt“ relativiert Signor Ildebrando selbst, und bei aller Sanftmut doch energisch. Lacht. Will kein Gott sein, der hübsche Italiener aus Pescara. Natürlich ist es ein Trumpf, gut auszusehen, als der Oper kaltherzigster Schürzenjäger, der am Ende die Hölle auf die Bühne bringt. Doch. Nichts schlimmer für den Sänger, als die rasende Aneinanderreihung von Momenten. Als Weltstar notgedrungen Flugmeilenfresser. Als Don Giovanni veritabler Champion. Sang ihn ja zum ersten Mal bereits 1993, damals in Bonn. Entwickelt seine Rollen aber grundsätzlich lieber langsam. Stetig. Behutsam. „Gut zu schlafen ist sehr wichtig. Das schmiert die Stimme.“ Als 16-Jähriger hat er in Venedig Marilyn Horne als Star der Oper „Rinaldo“ erlebt: „Nach dem Mittagessen hat sie sich täglich niedergelegt. Damals hab ich nicht verstanden, warum ... Jetzt weiß ich es“, erzählt der Sänger aus 45, auf Dauer angelegten Jahren. Von Konsequenz, Disziplin, Respekt, ja Demut. Seiner Stimme und dem Leben gegenüber. „Forte e gentile“. So wird über die Abruzzen geschrieben, über die Landschaft und die Leute zwischen Berg und Meer. Stark und – liebenswürdig, freundlich, höflich, sanft. Das Wort „gentile“ hat viele Nuancen. Ildebrando D’Arcangelo beherrscht sie alle. Ein braver Bub, wenn man es recht besieht. Auf einem alten Kinderfoto halbnackt wie ein Indianer auf einem Pferderücken inmitten einer Pferdeherde. Seine Befreiung, seine Beglückung, wenn er daheim ist: Reiten, gehen, laufen, steigen in den Gebirgswäldern der Nationalparks. Beim Weinmachen, beim Olivenölpressen – „ohne giftige Chemie!“– dem Vater zur Hand gehen. Sich an der Natur erfrischen: „Ich liebe ihre Gerüche.“ Mit den Jahreszeiten Regionales essen, so biologisch als möglich, seit dem 40. Geburtstag nur noch wenig Fleisch.

Die Freunde locken: „Was tust du da draußen? Komm in die Stadt! Was ist da?“, sag ich: „Shopping, Staub, Verkehr, schlechte Luft, schlechter Lärm.“ Musik. Als Sphärenklang oder Ähnliches schon vor der Geburt im Raum. Der Vater war Organist. Musik also vom ersten Tag, ab sechs dann richtig. Klavier üben. Strikt. Beinahe als Dressur. Zehn Jahre lang. Acht Stunden pro Tag in den Ferien. Die Mutter musste das Üben überwachen. Ildebrando sah die anderen Kinder draußen vor den Fenstern Fußball spielen, rennen, Blödsinn machen. „Ich war traurig. Aber. Kein Revoluzzer. Nie. Meine Schwester war stärker. Hat früher „Basta!“ gebockt. „Wenn du 13 bist, kannst du selbst entscheiden“, sagte mein Vater. Also entschied ich mit 13: Genug! Gut, na dann ... Er räumte meine Bücher weg, schloss das Klavier ab. Ich kam heim. Fand mein Instrument versperrt. Und hab nur Leere gefühlt. Bedauern. Sehnsucht. Übermächtig. Fast wie bei Romeo nach Julia.“ Er lacht (und, ich sag euch, Ladys: so charmant!). „Also hab ich weitergemacht. Undramatisch.“ Kein böses Wort über den Papa. „Er war halt sehr streng. Alter Stil.“ Mittlerweile spürt der Sohn Dankbarkeit. Und den Vater als besten Freund, im Rückzugsgebiet von Pescara. Vielleicht, weil er selbst ein Perfektionist ist. Den Klavierdeckel schloss, als er im Regionalchor der abruzzischen Musikliebhaber zu singen begann. Dort Monica Bacelli traf, heute eine „große Mezzosopranistin“. Sie bewunderte seine Stimme: „Natürlich, schön, fantastisch. Du solltest Opern singen!“ Opern? Brrr. Als ihm sein Vater einmal den Barbier von Sevilla schmackhaft machen wollte, war er eingeschlafen. Monica sagte: „Kauf doch eine Schallplatte. Es war (ausgerechnet) „Don Giovanni“. „Die Aufnahme mit Karl Böhm, Dietrich Fischer-Dieskau“, präzisiert er. Und, dass er hingerissen war. Dass sein Vater, der immer verrückt auf Tenöre war, Corelli, Corelli, Corelli, so oft, bis der Plattenspieler kaputt war, nur gelacht hat. Einschub: „Ich flieg auch auf Tenöre. Corelli, ja. Wunderlich. Und Jonas Kaufmann.“ Monica brachte ihn zu ihrer Lehrerin. Er wird es nie vergessen: Wie Maria Vittoria Romana am Fenster stand, rauchte und lächelte: „Du sollst! Du kannst! Du wirst!“ Eine große Professorin der Langsamkeit: In drei Jahren studierte er nur fünf Partien ein. Doch die mit allen Finessen. Prägend. Denn. Will man sich – ungeduldig – nicht mit Details seiner aktuellen Salzburger „Don Giovanni“-Premiere begnügen, mit der Rolle des Herrn, die D’Arcangelo auch schon alternierend zur Rolle des Dieners Leporello gab. Nicht mit den Tatsachen, dass er als Mozart-Spezialist gilt, einen Plattenvertrag mit der „Deutschen Grammophon“ hat, eine Discografie zu lang zum Aufzählen und (im Zug der Zeit) auch eine beachtliche Liste an DVDs: Zweimal „Don Giovanni“ darunter, zuletzt die Aufnahme von Donizettis „Anna Bolena“ mit Anna Netrebko und Elina Garanča aus der Wiener Staatsoper.

Im Zeichen der Zeit – schneller, höher, weiter – zwar ergriffen nickt angesichts seines bekannten Repertoires, das an allen Opernhäusern der Welt gefordert ist: Sein Figaro und sein Conte Almaviva in Mozarts „Nozze di Figaro“, sein Guglielmo und sein Don Alfonso in „Cosí fan tutte“, sein Colline in Puccinis „La Bohème“, sein Magier Alidoro in Rossinis „La Cenerentola“ – zuletzt zum Zerkugeln komisch an der Wiener Staatsoper gezeigt. Aber ungenügsam weiterfragt, WANN er sich den Bass-Duellen als Philipp II. und Großinquisitor in Verdis „Don Carlos“ stellen wird, eine logische Frage an einen Sänger, der Cesare Siepi als Vorbild nennt, dann lächelt er süß und sagt trocken: „In zehn, frühestens in fünf Jahren!“ Der Erzengel mit dem schlanken beweglichen Bass bleibt seinen Tugenden treu. Egal, wie rasend das Operngeschäft rotiert. „Wer ist deine Lehrerin?“, wollten die Juroren beim Gesangswettbewerb „Toti dal Monte“ in Treviso nach seiner ersten Arie wissen. Da war er 16 Jahre alt, sieben Tage von zu Hause fort, ohne Geld im Franziskanerkloster untergeschlüpft, im Bauch nur die Armensuppe der frommen Brüder. 200 Kandidaten beim Wettsingen aus dem Feld zu schlagen. Er übersang sie Tag für Tag. Bis zum Semifinale. „Da hatte ich das Gefühl: Alles falsch, alles falsch, alles falsch gemacht. Bis Dirigent Peter Maag auf mich zukam und gemütlich mit seinem Schweizer Akzent zu mir sagte: Im September werden wir arbeiten! Da wusste ich, dass ich gewonnen hatte.“ Nicht zu beschreiben, der Stolz seines Herrn Vaters. Als 19-Jähriger gewann Ildebrando den Preis ein zweites Mal. Als 24-Jähriger eine Ehefrau. Kurz nur. Wenn auch: „Asia, la ragazza, meine Tochter ist 18. Ein Geschenk. Sie singt, ist im Musical Sweenie Todd aufgetreten und in einem italienischen Film. Das ist Leben. Das ist Glück. Nicht das, was Don Giovanni treibt. Die Frauen? Unschuldig augenrollend rettet er sich in den Seifenopern-Satz: „Meine Mrs. Right habe ich noch nicht gefunden.“ Grinst: „Bin noch auf der Suche. Bin nicht Gott.“ Ildebrando D’Arcangelo hat sich an „Fausts Verdammnis“ von Hector Berlioz gemacht, bereitet für November in Bilbao Verdis Oper „Attila“ vor, und für Juli nächsten Jahres den „Faust“ von Gounod an der Deutschen Oper Berlin. Das heißt: Spazieren gehen. Und viel schlafen.

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