Glas-Produzent Riedel: "Ich hatte noch nie im Leben einen Rausch"
Premiere bei unseren Interviews: Noch nie hat uns jemand so nobel empfangen wie Maximilian Riedel, Chef der gleichnamigen Tiroler Glas-Dynastie. Wir klingeln an der Tür der Präsidenten-Suite im Wiener Luxus-Hotel Ritz Carlton. Dort hat er uns hinbestellt. Riedels Assistentin öffnet uns und führt uns ins Wohnzimmer. Riedel erhebt sich und deutet eine leichte Verbeugung an. Vor ihm auf dem Tisch liegt eine Flasche Champagner auf Eis, Amuse Gueules, kleine mundgerechte Häppchen sind angerichtet. Er selbst trägt feinsten Zwirn, selbstverständlich Stecktuch und seine perfekt manikürten Hände sprechen Bände. Riedel ist zweifelsohne ein Mann, der nichts dem Zufall überlässt. Das beweist er auch während des Interviews.
Herr Riedel, auf Ihrem Instagram-Account sieht man Sie auf jedem Bild mit einer Flasche Wein. Wie kommt es, dass Sie kein Alkoholiker sind?
Wein ist mein Beruf, und jeder, der professionell ist, nimmt das in Maßen – wie ein Boxer. Wenn er privat unterwegs ist. Da wird er auch die Faust stecken lassen. Aber meine Gläser ohne Wein sind Staubfänger. Ob im Geschäft, mit Freunden oder Familie: Eine gute Flasche Wein gehört dazu.
Von welchem Maß sprechen wir?
Untertags trinke ich gar nicht, am Abend zum Runterkommen, und nie würde ich eine Flasche alleine öffnen. Meiner Meinung nach gehören mindestens zwei Leute zum Genuss. Ich hatte auch nie in meinem Leben einen Rausch. Meine Schwester und ich sind mit Alkohol aufgewachsen, es wurde immer Wein um uns genossen, aber nie zu viel getrunken. Und ganz wichtig: Ich trinke keine harten Sachen wie Schnaps oder Whisky.
Darf ich mir die Bemerkung erlauben, dass Sie eher in den „großen Gatsby“ passen würden als nach Tirol? Was sind Sie: bodenständig oder abgehoben?
Als abgehoben würde ich mich nicht bezeichnen, ich weiß auch nicht, ab welchem Grad man abgehoben ist. Wir produzieren Werkzeuge für diejenigen, die Wein schätzen und Zeit haben, ihn zu genießen. Das könnte man heute schon als Bonvivant bezeichnen.
Ihr Credo lautet: Jeder Weinsorte ihr eigenes Glas. Woher weiß ich, dass dahinter mehr steckt als Marketing?
Das beweise ich nicht nur Ihnen. Das ist der Grund, warum ich so viel auf Achse bin. Es ist Fakt, dass es hier um reine Funktionalität geht. Wir entwickeln unsere Gläser auch nicht auf dem Zeichenblatt, sondern über den Gaumen der Winzer.
Riedel schenkt Cabernet in zwei Gläser.
Hier haben wir zwei Rotweingläser. Einmal kommt der Cabernet ins Cabernet-Glas, einmal in das für Pinot Noir. Das Rotweinglas definiert sich über die Größe. Im Wein hast du immer Frucht und Hefe, es kann noch etwas Holz dazu kommen. Nur Rotwein enthält das Tannin. Das sind die vier Elemente und auch der Grund, warum das Rotweinglas am größten ist. Die Konkurrenz würde sagen: Tradition! Wir pfeifen auf Tradition, obwohl wir traditionell sind. Der Grund für unseren Erfolg ist, dass wir ständig alles in Frage stellen.
Ich frage mich gerade, was ich jetzt mit dem Weinglas tun soll?
Schwenken Sie einmal, Sie können auch gerne trinken, aber hauptsächlich geht es einmal um den Geruch.
Die Nase nähert sich dem Weinglas.
Nein, so riecht man nicht!
Riedel zeigt vor, wie es geht.
Bitte einatmen, und wieder ausatmen und noch einmal einatmen. Das Erste, was Sie riechen sind die primären Aromen – die Frucht. Aber Wein ist mehr als Frucht. Es braucht die Komplexität, die Mineralität, die Säure. Die Luft im Glas muss sich erwärmen, damit man den Wein dreidimensional erriechen kann.
Da wird man ja ganz high!
Gut nicht? Und jetzt befördern wir die Message des Weines auf den Gaumen – die Zunge. An der Zungenspitze finden wir die Süße, auf der Seite die Säure und die Mineralität. Die verschiedenen Formen der Gläser befördern den Wein unterschiedlich auf den Gaumen. Die allererste und einzige Person, die das realisiert hat, war Professor Claus Riedel aus Kufstein.
Wie ist Ihrem Großvater das gelungen?
Über die Zeit. Er war gerne in Italien und hat sich dadurch sehr mit italienischem Wein und den Winzern dort auseinandergesetzt. Irgendwann sind alle zusammengestanden und hatten zu wenig Gläser. Jeder hat aus einem anderen Glas getrunken und denselben Wein anders beschrieben. Da ist meinem Großvater ein Licht aufgegangen. Sie müssen sich jetzt konzentrieren: Nur Sie, der Wein und das Glas! Jetzt kommt es drauf an, wie er fließt. Wo trifft der Wein am Gaumen auf? Wie fühlt es sich nach dem Schlucken an? Nehmen sie den Nachgeschmack, die Viskosität, die Textur am Gaumen wahr. Der Wein ist relativ dickflüssig. Im anderen Glas ist er eher dünn, Wir zerstören jetzt die Romantik und verkosten den Wein daraus.
Soll ich Wasser dazwischen trinken?
Nein, Wasser ist für die Fische. Aufpassen auf die Kopfposition. Sie werden merken, dass Sie sich aufgrund der Glasform verändert. Und Sie werden das erste Mal bewusst dem Glas einen Zungenkuss geben. Nicht, weil es so sexy oder schön ist, sondern weil es so geformt ist und eine Lippe hat. Das ist der Säurespoiler, weil das Glas für eine Traube kreiert wurde, die eine sehr dünne Schale hat und dafür sanft im Tannin ist. Würden Sie googeln, ist Pinot Noir bekannt für unheimlich viel Säure, deshalb der Spoiler.
Riedel hat recht. Derselbe Wein schmeckt je nach Glas komplett anders.
Sie merken, Sie haben jetzt den Wein aus dem Glas gezogen mit Unterdruck im Mund, gegenüber dem anderen, wo er natürlich geflossen ist. Der Wein trifft zwar perfekt auf die Zungenspitze und mag im ersten Moment besser schmecken, das wird aber im Abgang zerstört. Schauen Sie, wie die Mineralität in den Vordergrund rückt und wie bitter der Wein im Nachgeschmack wird.
Sie meinten einmal, wenn jemand Pinot Noir und Cabernet nicht unterscheiden kann, unterhalten Sie sich mit der Person nicht auf demselben Niveau ...
Das habe ich gesagt, und die Leute haben mich dafür zwar nicht gekreuzigt, aber es mir übel genommen. Das waren aber weniger weinaffine Menschen. Den Unterschied zwischen Cabernet und Pinot kann man sogar im Glas sehen.
Erkennen Sie einen Weinkenner sofort?
Das ist mir wurscht. Am liebsten sind mir Leute, die unverbraucht an den Wein herangehen. Dann kann ich ihnen ein G’schichtl erzählen.
Erzählen Sie von sich, Sie sind selbst Vater eines Sohnes und einer Tochter. Muss ihr Sohn später auch einmal in Ihre Fußstapfen treten?
Das muss so sein. Ich kann nicht in 11. Generation der Letzte sein, dann wäre ich der größte Verlierer. Das ist der Ansporn, das ist das Ziel. Wie Bill Clinton bei seiner Abschiedsrede gesagt hat: „Ich übergebe jetzt die Fackel.“ Darauf arbeite ich hin. Ich habe mir Zeit gelassen, war nicht bereit für Kinder, und jetzt ist es die Erfüllung meines Lebens.
Wenn Sie sagen „Es muss so sein“ ist das viel Druck für Ihren Sohn, nicht?
Es ist ein Megadruck für Franz Joseph, aber auch für Helen. Druck ist gut, solange man ihn nicht ausreizt. Wie beim Eierlauf: Man muss schnell sein, aber auch aufpassen! Jetzt hab’ ich mal eine Gaudi, dass sie klein sind. Später ist es die Herausforderung der Eltern, den jungen Menschen so weit zu bringen, dass er selbst sagt: „Das taugt mir, das will ich machen!“
Sie sind seit 22 Jahren im Geschäft. Gibt es da noch Neues zu entdecken?
Fangen wir damit an, dass wir neben Weingläsern auch Cocktailgläser, Kaffeegläser oder Colagläser machen. Es kommen auch immer neue Länder dazu. Schweden macht jetzt Wein, Nordtirol auch – bei Telfs. Das ist der Klimawandel. Gut oder schlecht: Meine Gläser werden dadurch größer. Die Weine schmecken anders, haben mehr Alkohol und mehr Mineralität.
Was hat Sie im Weingeschäft zuletzt am meisten überrascht?
Der Wein selbst überrascht als organisches Produkt immer. Jeder Jahrgang ist anders, hängt vom Wetter und den vier Jahreszeiten ab. Überrascht haben mich auch die Chinesen. Früher kamen sie auf die Messen, um zu kopieren, später, um zu lernen. Jetzt sind sie dort angekommen, wo wir alle gerne wären und besitzen ein Château. Sie kaufen Bordeaux, Italien und die Weingüter in Spanien auf. Und das Beste ist: Sie sprechen meine Sprache und brauchen keinen Übersetzer mehr. Einer der Gründe, warum sie so erfolgreich sind.
Ist der Dekanter am Tisch von Ihnen?
Logisch, er heißt „Eve“, benannt nach meiner Mutter. Ich bin Jahrgang ’77 und Feuerschlange im Sternzeichen. Zu meinem 30er habe ich überlegt, was ich Freunden schenken kann, die schon alles haben – oder nix. Einen Dekanter, der eine Kobra repräsentiert. Es ist auch das erste Produkt, das ich habe patentieren lassen.
Ist Erfolg schön, stressig oder beides?
Schwierig, wie misst man Erfolg? Daran, ob dich jeder kennt? Das kann es nicht sein. Erfolg ist, wenn du mit der Arbeit, die du tätigst, jeden Tag zufrieden bist. Das kann ich von mir nicht sagen.
Das müssen Sie erklären.
Wir sind bei einer Größe angekommen, wo wir von vielen anderen Faktoren abhängig sind. Außerdem gebe ich mich nicht so bedeckt wie ein Herr Langes Swarovski. Ich stehe vor 200 Menschen und beweise ihnen, dass meine Gläser funktionieren und kein Hokuspokus sind. Ich gebe mir den Stress täglich und brauche relativ viele Anzüge, weil du da nassgeschwitzt bist. Ich bin Entrepreneur, Geschäftsmann, Buchhalter und Entertainer. Das macht Spaß, aber du brennst auch aus.
Sie meinen Burn-out?
Davor habe ich Angst. Das ist mittlerweile eine anerkannte Krankheit, die von heute auf morgen über dich hereinbrechen kann und du verstehst nicht, wo das herkommt. Ich war schon einmal kurz davor ...
Wie haben Sie das Burn-out abgewendet?
Ich glaube, so etwas entsteht immer dann, wenn man Dinge tut, die man eigentlich nicht will. Ich war damals dreißig und verlobt. Ich habe mich dann von meiner damaligen Lebensgefährtin getrennt und bin von New Jersey nach Manhattan gezogen. Mein Tipp in so einer Phase ist, einen Strich zu ziehen und neu anzufangen.
Jetzt haben wir sehr lange geplaudert ...
Das Eis im Kühler schmilzt und der Champagner kracht lautstark Richtung Boden.
Sie sehen, wie ruhig ich geblieben bin. Konzentration! Ich erschrecke nicht (Anm.: wie die Interviewerin), bleibe ruhig, bin bei der Sache sozusagen. Ich glaube auch, dass ich mit dreißig die Midlife-Crisis hatte. Gott sei Dank, so hab’ ich’s hinter mir. Ich war verliebt, verlobt und wollte heiraten. Von heute auf morgen ist mir die Lust vergangen. Wenn man das durchmacht und dazu ein Burn-out hat, ist es eh vorbei. Das Eine habe ich hinter mir und hoffe, dass das Andere nie kommt.
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