Schön, schöner Schönbrunn
Ich gehe durch den Schlosspark von Schönbrunn. Die Gärtner haben ganze Arbeit geleistet. Die in altmodischen Krawattenmustern angelegten Beete sind mit blühenden Frühlingsblumen bestückt, und die Alleebäume haben so akkurate Frisuren, als wären sie beim Militär.
Schönbrunn ist Österreichs größte Touristenattraktion, und ich verstehe ein bisschen warum. Wer von der Schlossallee auf das Sommerschloss der Habsburger zuschreitet, bekommt Schnappatmung vor monarchischer Nostalgie (inkl. all der Perückenkasperln, die dir eine Karte fürs Schlosskonzert andrehen wollen), und der Blick vom Schloss hinauf zur Gloriette ist noch ein Alzerl besser.
Pflichtschuldig hatsche ich in einer langen Kolonne von Touristen die Serpentinen zur Gloriette hinauf, wie am Mount Everest: Dort findet der Aufstieg ja auch im Gänsemarsch statt. Nur leidet hier niemand an Sauerstoffmangel – fast niemand: Die beiden Japaner vor mir ziehen so beseelt an ihren Elektrozigaretten, dass ich in den vollen Genuss ihrer Auspuffgase komme. Sie riechen nach Kardamom und Koriander. Ich beschleunige meinen Schritt und verlasse die Todeszone.
Der Blick von der Gloriette über die Stadt ist, wie soll ich sagen: eine Entschlüsselung. Der Westen Wiens faltet sich vor meinem Blick auf wie ein Monopoly-Plan, und das Schöne und das Hässliche nehmen darin auf gut austarierte Weise ihren Platz ein. Dies ist kein Canaletto-Blick – ihr erinnert euch: die vom venezianischen Maler konservierte Ansicht der Wiener Innenstadt vom Oberen Belvedere aus gesehen, die den Hochhausallergikern unter den Wienern als schützenswerter Status quo gilt, und zwar im Jahr 2017, doch, wirklich –, sondern der Blick auf die resche, lebendige, knackige Großstadt, zu der Wien in den letzten Jahrzehnten gereift ist. Am Horizont kann man sich die Sehenswürdigkeiten aller Epochen aus dem Häusermeer klauben; Stephansdom, Karlskirche, Müllverbrennung, Millennium-
Tower. Jeder, wie er mag.
Jetzt allerdings ist es höchste Zeit, die Touristen mit ihren Selfiesticks hinter sich zu lassen und einmal mehr die Vorteile des touristischen Verteilungsgesetzes zu genießen: Denn 95 Prozent der Touristen drängen sich auf maximal fünf Prozent des zur Verfügung stehenden Raums, so dass ich, kaum mache ich mich in Richtung Römische Ruine und Schönbrunner Bad auf, mit den fünf Restprozenten an Besuchern auf 95 Prozent des Platzes promenieren kann (ortskundige Jogger einmal ausgenommen).
Wer dieses Gefühl liebt – maximaler Raum in minimaler Gesellschaft –, dem empfehle ich, den Schlosspark von der Meidlinger Seite aus zu betreten und zum Beispiel auf der Prachtallee, die entlang der Glashäuser der Schlossgärtnerei führt, Richtung Schloss zu gehen: Dies ist der perfekte Ort, wo du dich angesichts majestätischer Abmessungen so richtig klein fühlen kannst und gut in dir selbst aufgehoben.
„Wo ist jetzt der Frühling?“, fragt eine Frau, die vor mir geht, ihre Freundin.
Die antwortet etwas geheimnisvoll: „Links unten.“
Dieses Rätsel nicht zu lösen war der schönste Teil meines Spaziergangs. christian.seiler@kurier.at
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