Keine Spur vom Ewigkeitsende?
Ich gehe jetzt zum „Haus der Künstler“. Es befindet sich hundertfünfzig Meter vom „Museum Gugging“ entfernt, wo ich mir gerade die Ausstellung über die Anfänge von Jean Dubuffets „Art Brut“-Sammlung angeschaut habe.
Der vielseitige Dubuffet hatte schon in den vierziger Jahren nach einem neuen Kunstbegriff gesucht und diesen abseits von Museen, Galerien und Akademien gefunden: auf der Straße, in Krankenhäusern, in Gefängnissen. Er nannte diese ungeschulte, oft naive Kunst „Art Brut“, rohe Kunst.
In den siebziger Jahren sind dann die psychisch kranken „Künstler von Gugging“ bekannt geworden. Die expressiven, berührenden Werke von Johann Hausner, August Walla, Oswald Tschirtner – um nur die bekanntesten zu nennen – haben Geschichte geschrieben. Die schizophrenen Künstler lebten alle im „Haus der Künstler“ auf dem Areal von Gugging, wo jetzt gerade, auf einer riesigen, gatschigen Baustelle der Campus des „Institute of Science and Technology“ entsteht.
Ich stehe staunend und irgendwie ergriffen vor dem „Haus der Künstler“ und betrachte das Stück der Fassade, auf das August Walla mit seiner unverkennbaren Schrift „EWIGKEITSENDE“ geschrieben hat. Herrgott, denke ich mir, gibt es denn jetzt eine Ewigkeit oder keine?
Diese philosophisch anspruchsvolle Aufgabe schickt mich auf die Wanderung rund um den Sonnberg. Ich stapfe einen steilen Weg hinauf, auf dem mir flüssig der Rest des Winters entgegenkommt, folge zuerst dem Wanderweg Richtung Hadersfeld und schlage, kurz bevor ich dort angekommen bin, den Rückweg zur Redlingerhütte ein, der sich angenehm durch das Tal zwischen Heu- und Sonnberg schlängelt.
Die Sonne strahlt kühl durch die kahlen Baumkronen. Aus jedem dürren Astgeflecht, das habe ich aus der Ausstellung mitgenommen, lächelt ein Charakter. In jedem Schatten schlummert ein Dämon. Ich gehe zügig durch diese lebendige Bilderwelt, aufgeladen von Fantasien, die in Gugging allgegenwärtig sind, und beschleunigt durch die Idee, dass auch meine Fußspuren eine Geschichte erzählen könnten. EWIGKEITSENDE? Keine Spur.
Es ist Sonntag, das ist wichtig. Als wäre es selbstverständlich, dass zwei der wunderbarsten Musikanten der Stadt auf dieser Hütte in Niederösterreich Wienerisches klingen lassen, sitzen Martina Rittmannsberger und Walther Soyka wie fast jeden Sonntag dicht nebeneinander in der Stube und verschränken die Klänge der Geige und der Harmonika zu etwas Eigenwilligem, Einmaligem, Kostbarem. Ich setze mich an den Nebentisch, und die Lieder der beiden sind mir wie ein Soundtrack zu diesem merkwürdigen Sonntagsstreifzug durch Einfälle und Abgründe, durch Schattenwelten und ein sich auflösendes Gefühl für Zeit.
Ich höre den beiden Virtuosen zu. Die Musik nimmt Gestalt an, beginnt zu tragen. Sie hebt mit mir ab. Draußen wird es unmerklich dunkel.
„Wir schließen jetzt“, sagt die nette Kellnerin. Jetzt schon?, sage ich. Ach so. Ewigkeitsende.
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