Der verlorene Naschmarkt

Alexandra Klobouk
2500 Schritte: U-Bahn Station Kettenbrückengasse – Naschmarkt – Secession und retour

Ich gehe über den Naschmarkt, und ich erinnere mich daran, wie großartig der Naschmarkt einmal war. Vielleicht erinnere ich mich auch nur an etwas, woran ich mich schon früher einmal erinnert habe, und vielleicht stimmt diese Erinnerung kein bisschen, und vielleicht war der Naschmarkt überhaupt nie ein Ort, den es zu besuchen lohnte. Aber ganz sicher ist der Naschmarkt heute so ein Ort.

Zur Sicherheit gehe ich die Überprüfung gleich doppelt an: Zuerst betrete ich den Naschmarkt von der Kettenbrückengasse aus, wo er traditionell das war, was er zu sein vorgibt: ein echter Marktplatz, wo Bauern, Fleischer oder andere Produzenten interessanter Produkte zu speziellen Zeiten, nämlich wenn sie etwas zu verkaufen hatten, auf Interessenten treffen. Ich erinnere mich gern daran, dass es hier einmal den exzeptionellen Käse zu kaufen gab, den der Marktfahrer Stephan Gruber und seine Family im Angebot haben (die inzwischen längst auf andere Märkte, i.e. Brunnen- und Karmelitermarkt, ausgewichen sind). Aber statt frisch gefischten Forellen, reifen Äpfeln oder frischem Sauerkraut gibt es hier nur noch gefälschte Barcelona-Trikots und überdimensionale Südstaatenflaggen.

Ich gehe am einen oder anderen Falafelstandel vorbei. Seltsam, alle machen die besten Falafel der Stadt. Dann werden die Konturen der Marktgasse deutlicher, links und rechts fest gemauerte Marktstände inklusive Markise und Auslage, hinter der jemand steht, der freundlich zu dir sein wird, falls du sein Angebot ernsthaft prüfst.

Dieses Angebot: Während ich weiter Richtung Innenstadt gehe, den Kopf tief zwischen den Schultern, weil nämlich die Markisen der Standeln auf einer Höhe von 1,90 Metern zusammenstoßen, eine Spur zu niedrig für meinen Scheitel, mustere ich unzählige Male identische Produkte: Currypulver und Kreuzkümmel, Paprikapulver edelsüß, Oliven mit Knoblauch, mit Chili, mit mediterranen Kräutern, Meter um Meter.
Zuerst denke ich mir: Wieso verkaufen alle dasselbe?

Aber als ich wenig später zurückgehe, nach einer kurzen Inspektion des innerstädtischen Marktendes mit seinen superteuren Fischen, Meeresfrüchten und Schampusflaschen, mit dem inzwischen auch hier verkauften Touristenglumpert und Andenkenschund, stelle ich mir die Frage, wie das eigentlich funktionieren kann: so viele Oliven, so viel Curry, so viel more of the same und so wenig Ware, die ich vielleicht wirklich gern mit nach Hause nehmen würde. Meinem Grundverständnis von Wirtschaft läuft die Auslegeordnung des heutigen Naschmarkts jedenfalls zuwider, oder sehe ich da was falsch, und ihr kauft hier alle kiloweise Paprikapulver ein?

Klar, der Urbanek. Der Pöhl. Der Gegenbauer. Die Feinschmecker-Leuchttürme im Marktgewand. Aber sonst? Kann mir jemand von euch erklären, wie aus immer mehr uninteressantem Angebot ein Geschäft für alle wird? Marktamt, hallo?

Also biege ich als Appendix an meinen Spaziergang in die Kettenbrückengasse ein und hole mir beim Confiseur Fruth zwei Grüner-Tee-Pralinen. Damit hat sich der Ausflug dann doch noch gelohnt.

christian.seiler@kurier.at

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