Christian Seilers Gehen: Was mir alles fehlt

Christian Seilers Gehen: Was mir alles fehlt
Westbahnstraße – Siebensterngasse – Museumsquartier – Maria-Theresien-Platz: 2.200 Schritte

Nach einem Spaziergang durch den siebenten Bezirk, die Westbahnstraße entlang, das „Schallter“-Plattengeschäft hat geschlossen, leider, quer über die Neubaugasse, die Siebensterngasse hinunter, auch „Seven Stars Records“ haben zu, mhm, hinein ins MuseumsQuartier, Blick hinauf zu den beleuchteten Micky-Maus-Ohren, die neuerdings auf dem Dach des Leopold Museums montiert sind, aha.

Durch den Haupteingang hinaus auf die Zweierlinie, wenig befahren heute, hinüber auf den Maria-Theresien-Platz, der von der Generation AHS zärtlich „Zwidemu“ genannt, „zwischen den Museen“. Und mit einer gewissen Erleichterung stelle ich fest, dass die obligaten Weihnachtsmarktstandeln, die hier normalerweise den Weg verstellen, in diesem blöden Jahr nicht da sind, kein Punsch, kein Glühwein, kein Jingle Bells. Stattdessen höre ich in meinen Kopfhörern Paul Weller singen, dessen Compilation „Story of The Style Council“ aus den Achtzigerjahren mir gerade ausnehmend gut gefällt.

Christian Seilers Gehen: Was mir alles fehlt

Zwischen den großen Museen ist heuer kein Weihnachtsmarkt.

Die Musik der Band hat etwas Beschwingendes, das mich in diesen Sonderadvent hineinträgt, zum Beispiel, wenn Weller über den Keyboards von Mick Talbot die Frage dieses Jahres stellt: „Have You Ever Had It Blue“, was ich als plötzliche Aufforderung verstehe, dieses unendlich lange Sinnieren zu beenden und mich zu fragen, was mir in diesen Tagen eigentlich gerade am meisten fehlt, was das Zeug hat, mich traurig zu machen, weil es fehlt, blue, wie Paul Weller es nennt.

Mir fehlt, dass ich nicht einfach hinüber ins Kunsthistorische gehen kann, Jahreskarte zücken, und für eine Stunde vor zwei, drei Bildern herumstehen, die mir erst bei längerer Betrachtung ihre Schönheit und ihre Rätsel preisgeben. Mir fehlt, dass ich nicht ins Café meiner Wahl kann, vorzugsweise ins Prückel, einen Platz suchen und dabei ungeniert nachschauen, wer denn heute seinen Vormittag hier vertändelt, die Zeitungen auswendig lernt oder sogar ein Kreuzworträtsel – die Königin des Müßiggangs – löst. Dafür nehme ich sogar die Qualität der Melange billigend in Kauf.

Kino?

Mir fehlt, dass ich mich nicht ins Kino setzen kann und forttragen lasse von einer Breitwandgeschichte, sie muss gar nicht anspruchsvoll und von höchster Qualität sein, sondern mich nur an der Hand nehmen und staunen lassen, übrigens in Gegenwart von anderen Staunenden, die – merkt ihr, wie konziliant ich schon bin? – dabei durchaus Sportgummi kauen und Popcorn naschen dürfen.

Mir fehlt, dass ich kein Konzert besuchen darf und zum Beispiel fassungslos in der zweiten Reihe des großen Konzerthaussaals sitze und den Pianisten Igor Levit dabei betrachte, wie er Beethoven spielt, eine der späten Klaviersonaten, sagen wir die Sonate Nr. 30 in E-Dur, Op.109, welches Wunderwerk Levit darin entdeckt, welche Welt er entstehen lässt, und das alles findet direkt vor meinen Augen statt – nein, es fände direkt vor meinen Augen statt. Ich werfe einen Blick hinauf zum Denkmal der Maria Theresia. Paul Weller singt jetzt „My Ever Changing Moods“, ich grüße die Kaiserin und gehe langsam nach Hause.

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