Gecastete Ehe

Gecastete Ehe
Als Model muss man schon manchmal Happy Family spielen. Auch wenn es dazu kein schlüssiges Drehbuch gibt.

Gelegentlich steht man als Model nicht alleine, sondern mit Shooting-Partnern vor der Kamera. Sei es, um mit einer Gruppe auffällig fescher „Freunde“ die Party des Jahres nachzustellen, eng umschlugen mit einem gutaussehenden Mann die glückselig machende Wirkung des zu bewerbenden Hygiene-Produktes zu demonstrieren oder einfach um ein idealisiertes Familienleben vorzuspielen. Für eine solche Familien-Idylle wurde ich im Rahmen eines Katalog-Shoots gebucht, der im romantischen Park einer alten Grafschaft in Kent stattfand. Unsere Aufgabe war es, in sommerlicher Umgebung ein picknickfreudiges Paar mit Kindern darzustellen, das sein Familienglück in den passenden Kleidungsstücken – nämlich des Katalogproduzenten – zelebriert. Während ich mit hingebungsvollem Lächeln den ungustiösen Plastik-Truthahn zu tranchieren hatte, rannten meine zwei erstaunlich erwachsenen Sprösslinge um den Tisch herum. Von Zeit zu Zeit warf mir mein neuer britischer Rockabilly-Ehemann zufriedene „Sind-unsere-Fratzen-nicht-ein-Segen“-Blicke zu. Dass mein aufmerksamer Beau zwischen den Sujetwechseln jedes weibliche Wesen am Set nimmermüde anbriet, versuchte ich tolerant zu übersehen.

Dass zwischen meinen „Kindern“ und mir maximal ein Altersunterschied von sieben Jahren bestand, gab mir allerdings zu denken. Auch dass mein blondgelockter Sohn, sobald nicht fotografiert wurde, augenblicklich sein perfektes Lächeln verlor und frauenfeindliche Äußerungen von sich gab. Was hab ich in der Erziehung verabsäumt? Doch der Fotograf und das Marketingteam nahmen uns die „Happy Family“ ab, und wir fotografierten ein Motiv nach dem anderen.

Gegen Nachmittag wurde aber jede Konvention gesprengt. Ein weiteres Model, eine wunderschöne Griechin Mitte dreißig, die den Part der Familienmutter zweifellos glaubhafter als ich verkörperte, war am Set erschienen. Nun sprangen wir freudig zu fünft durch die grüne Wiese. Wir ließen uns nicht anmerken, dass für keinen von uns diese neue Konstellation recht schlüssig war: Eben hatte ich noch meinen dauerverliebten vermeintlichen Ehemann mit rosa Cupcakes gefüttert; jetzt war da unübersehbar eine andere. Als wir im letzten Sujet dann alle zu fünft in einem aufblasbaren Campingzelt lagen, da der Warenkatalog neben Anziehsachen eben auch Outdoor-Produkte im Sortiment hatte, fand ich mich endgültig damit ab, dass sich unsere vormittägliche Traditionsfamilie innerhalb weniger Stunden zur progressiven Patchwork-Familie des 21. Jahrhunderts gewandelt hatte.

Kommentare