Weiterbildung im Weingarten

Diesen Sommer nutzte ich zur Weiterbildung. Obwohl der Wein eine der ältesten kulturellen Leistungen der Menschheit ist, bleibt auch er nicht von der Mode verschont, und so schwört zurzeit die vinophile Welt darauf, dass natürliche, unverfälschte Weine das einzig wahre Trinkvergnügen seien. Ich versuchte also an warmen lauschigen Abenden Weine, die noch nie Schwefel sahen, die in Amphoren im Weingarten vergraben worden waren, und gänzlich frei von Schönungsmitteln sind. Besonders faszinieren mich vegane Weine. Ich weiß zwar noch nicht, was ihr Geheimnis ist, vermute aber, zur Erntezeit wird allen Fliegerln und Käferln ein großräumiges Einreiseverbot in den Weingarten erteilt, damit sich bloß nichts Tierisches in den Wein verirrt. Mein Fazit: Es gibt wunderbare Tropfen, die großen Spaß machen, aber was alle Trends in der Welt der Gaumenfreuden vereint, ist diese fast religiöse Verehrung ihrer Anhänger. Man vergleiche den Kult um Chia-Samen oder die Predigten über die bösen weltzerstörerischen Machenschaften von Gluten. So nahm mich wunder, wie Naturalisten einen Wein priesen, den ich jetzt eher zum Salat-Anmachen genutzt hätte. Aber wer weiß, vielleicht erleben wir hier die Wiedergeburt des Dionysos-Kultes. Wenn ich höre, wie die Natural-Wine-Jünger einen schlichtwegs fehlerhaften sauren Tropfen als mineralische Würze loben, kann ich mir vorstellen, dass sie sich bald ein Himation überwerfen, das Haupt mit Lorbeer bekränzen und selig zum Lyra-Klang einen Chorreigen rund um eine im Weingarten vergrabene Amphore stampfen. So sehr ich alles liebe, was mit der Antike zu tun hat, beim Wein hört der Spaß auf. Die Griechen nämlich tranken Wein nur mit Wasser verdünnt.
Pur zu trinken war für sie ein Merkmal der Barbaren. Und wieder einmal zeigt sich: Früher war nicht alles besser.

vea.kaiser@kurier.at