Die Schöne und der Superspion: Charlotte Philby und die Wien-Connection
Von „James Bond“-Erfinder Ian Fleming über den „Dritten Mann“-Autor Graham Greene bis zu John le Carré: Die britische Literaturszene ist voller Autoren mit Affinität zu Agentenstorys. Aber eine wie sie gab es noch nie – die Londoner Journalistin und Autorin Charlotte Philby. Die dreifache Mutter ist die Enkeltochter von Kim Philby, dem Mitglied des Spionagerings „Cambridge Five“ und bekanntesten Doppelagenten des Kalten Krieges.
Ihr Opa war beim britischen Geheimdienst MI6, aber auch für den KGB aktiv und flüchtete 1963 nach Moskau.
Im "Guardian" hat sie Mitte Dezember einen Nachruf auf John Le Carre verfasst. Charlotte Philby aber strebt neues Terrain an, sie will das Genre der Spionagethriller um die Perspektive starker Frauen bereichern. Im Freizeit-Interview erzählt die Britin, wie es ist, mit der Last dieses Nachnamens zu leben. Und wie sie sich die Ablöse von 007, dem Agenten seiner Majestät, durch eine Agentin vorstellen könnte.
FREIZEIT: Mrs. Philby, als Fünfjährige haben Sie mit Ihren Eltern Ihren Opa in Moskau besucht. Welche Erinnerungen haben Sie daran?
Charlotte Philby: Was sich mir stark einprägte, ist, dass uns Männer in grauen Anzügen am Flughafen abholten und uns mit hohem Tempo in einer Wolga-Limousine mit Blaulicht zur Wohnung des Großvaters brachten. An meinen Opa erinnere ich mich als einen netten alten Mann mit Hosenträgern, weißer Weste und verschmitztem Lächeln. Er und mein Vater spielten lange Schach, umrahmt von vielen Flaschen Alkohol und vollen Aschenbechern. Opa Kim saß stets im Lehnstuhl, auf den ich kletterte, sobald er den Raum verließ. Als er wieder kam, machte ich rechtzeitig Platz, um dann seine dröhnende Stimme zu vernehmen: „Wer saß auf meinem Stuhl?“
Wussten Sie damals, dass es sich bei Ihrem Opa um d e n Kim Philby handelte?
Von klein auf ahnte ich, dass mit meinem Großvater irgendetwas nicht stimmen konnte. Schon alleine, weil er nie nach London kam. Meine Eltern haben die Wahrheit über ihn nie verschwiegen; aber erst als ich ein Teenager war, wollte ich mehr über ihn herausfinden.
Sie schreiben selbst auch Agentenkrimis. Lassen Sie da Ihre ungewöhnliche Familiengeschichte einfließen?
Mit „The Second Woman“ kommt heuer nach „Part of the Family“ - der übrigens soeben in den USA erschienen ist - und „A Double Life“ mein dritter Roman heraus. In einem Mix aus Thriller und Spionagekrimi erledigt hier eine Frau den Job, der üblicherweise Männern vorbehalten ist. Im Mittelpunkt stehen Betrug und Täuschung. „Part of the Family“ beginnt damit, dass eine Mutter mit liebenswerten Zwillingen ihre Familie verlässt, als sie dahinterkommt, wie ihr Ehemann ihren Lifestyle ermöglicht: Mit Geld, dass aus einer Firma stammt, deren verseuchtes Abwasser in Äquatorialguinea für viel Leid sorgt.
Sie erzählten mir, dass Sie im Moment an einem Buch arbeiten, das im Wien der 1920er-Jahre spielt.
Ja, das wird mein vierter Roman. Die Veröffentlichung ist für kommendes Jahr geplant. Die Geschichte wird das Leben von Kim Philby und Edith Tudor-Hart neu interpretieren – jener Frau, die ihn später zu einer Vorläuferorganisation des KGB gebracht hat. Dafür forste ich Kims privaten Briefe durch, die mir mein 2009 verstorbener Vater vermacht hat. Im Mittelpunkt steht die Fotografin Edith Tudor, geborene Suschitzky. Ihr Vater hatte ein Buchgeschäft in der Favoritenstraße und war der Erste, der auf das besondere Talent von Kim Philby aufmerksam wurde.
Harold Adrian Russell "Kim" Philby (1912-1988) erlebte 1934 den Februaraufstand in Wien und war im Kalten Krieg als Doppelagent aktiv. An seiner Uni in Cambridge war er in den späten Dreißiger Jahren als Agent rekrutiert worden und bildete mit seinen Kommilitonen Donald Maclean, Guy Burgess und anderen den Spionagering der Cambridge Five.
Nach dem Krieg erhielt Philby die Position des Verbindungsoffiziers der britischen Geheimdienste MI5 und MI6 in den USA und gelangte so zu zahlreichen Informationen der CIA. Er war nicht der einzige aktive Sowjetspion in den USA. Nach der Enttarnung von Guy Burgess geriet auch er ins Visier der Ermittler. Im Jänner 1963 flüchtete er von London in die Sowjetunion.
Kim war im Jahr 1933 als Cambridge-Absolvent nach Wien gekommen und hat als Untermieter bei Ediths Freundin Litzi Friedmann gelebt, seiner späteren ersten Ehefrau.
Seine Lebensgeschichte spielt eine prominente Rolle in Daniel Silvas 2018 erschienenem Agentenbestseller „Der russische Spion“, jenes Buch, das mich auf Ihre Spur brachte. Kennen Sie den?
Nein. Neben den Romanen von John le Carré bevorzuge ich die Spionagegeschichten von Helen Dunmore oder William Boyd. Hier geht es um die emotionalen Auswirkungen von Verrat und Täuschung. Das interessiert mich mehr als der übliche Kleinkram von Agentenaction.
Ist es eine Bürde, den Nachnamen Philby zu tragen?
Es ist weder eine Last noch eine Erleichterung. Es fühlt sich eher an wie ein Geist, der mich heimsucht. Ich versuche nach wie vor, die Welt zu verstehen, in der er es sich damals eingerichtet hat. Mit all den Auswirkungen, die das auf die Menschen um ihn gehabt hat.
Sie haben als Journalistin des „Independent Magazine“ vor einiger Zeit das Grab Ihres Opas in Moskau besucht. Diese Reise beschrieben Sie in einem Artikel mit dem bemerkenswerten Titel „The Spy Who Loved Me“. Eine nette Referenz an den James-Bond-Film mit Roger Moore und Curd Jürgens übrigens. War das eine Art Abschied von Ihrem Großvater?
Ja, ich schätze, das hätte es sein sollen. Aber es endete damit, dass sich mir immer mehr Fragen stellten. Daher begann ich, Bücher zu schreiben. So gesehen, war diese Reise eher ein „Hello“ als ein „Goodbye“.
Woher kommt Ihr großes Interesse an Österreich und Wien?
Ganz sicher von meinen Eltern und meinem Großvater. Einige meiner Verwandten leben auch in Wien und in Steyr. Meine Cousine Anna hat übrigens mit Freunden das Gasthaus „Brösl“ im Stuwerviertel eingerichtet, das im letzten September eine tolle Erwähnung im KURIER erhalten hat.
Ihre Bücher sind alle auf Englisch erschienen. Können wir uns auf eine baldige Übersetzung ins Deutsche freuen?
Ich hoffe. Bis jetzt habe ich leider keinen deutschsprachigen Verlag. Aber ich hoffe, das ändert sich bald.
Seit der Zeit des Kalten Krieges hat sich die Welt ziemlich verändert, aber in den letzten Monaten und Jahren wurden vermehrt mysteriöse Übergriffe und Attacken auf russische Regimekritiker verzeichnet, auch in London. Machen Ihnen derartige Meldungen Angst?
Absolut. Der Gedanke, dass auf Aktivisten, Reporter oder so genannte Spione ganz offen jederzeit und überall ein Anschlag verübt wird, ist beängstigend. Die Demokratie ist wirklich in Gefahr, in England nicht so ernsthaft wie anderswo, aber Sorge ist angebracht.
Nach diesem verrückten Jahr müssen wir immer noch auf den letzten James-Bond-Film warten. Ist es nicht schon hoch an der Zeit, dass der Agent seiner Majestät von einer Agentin abgelöst wird?
Auf jeden Fall. Und es wäre interessant, wie die Menschen auf eine Spionin reagieren, die zuerst die Männer flachlegt und dann versucht, ihre Sexpartner umzulegen. Die Schlagzeilen kann ich mir jetzt schon ausmalen ...
Nach acht Jahren als Redakteurin und Kolumnistin beim „Independent“ und einem Job beim Magazin „Marie Claire“ fing die britische Autorin an, Agentenstories zu schreiben. Mit ihrem Ehemann, dem Art Director Barney Beech, und ihren drei Kindern, wohnt sie in Greater London.
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