Spionagezentrum Wien

Spionagezentrum Wien
Österreich hat eine große Tradition als Treffpunkt internationaler Geheimdienste. Denn nirgendwo kommen einander Ost und West so nahe wie hier.

Wien, so erfuhr man’s diese Woche, ist neben New York das größte Spionagezentrum der Welt. Aber ist das wirklich neu? War das nicht schon zu Kaisers Zeiten so? Und nach dem Zweiten Weltkrieg, als "Der dritte Mann" die Stadt verunsicherte?

Am Schwarzmarkt

Sicher, "Der dritte Mann" ist nur eine Filmfigur, die vor allem in Schwarzmarktgeschäften verwickelt war. Als aber der britische Autor Graham Greene im Februar 1948 nach Wien reiste, um für die Filmhandlung zu recherchieren, wurde ihm klar, dass die vierfach besetzte Stadt eine Drehscheibe der internationalen Geheimdienste war. Denn nirgendwo sonst kamen einander Ost und West so nahe wie hier. Doch die Agenten haben Wien weder nach dem Abzug der Besatzungsmächte noch nach dem Ende des Kalten Kriegs verlassen, im Gegenteil: Es wurden immer mehr. Zur Zeit sollen in Wien 7000 Spione leben.

Menschen bespitzeln einander seit sie Kriege führen, also immer schon. Zwar haben sich die technischen Möglichkeiten durch elektronische Abhöranlagen ("Wanzen"), Internet, Handys und Videokameras radikal geändert, doch die Tricks der Kundschafter blieben im Lauf der Jahrtausende ähnlich: Die Struktur von Caesars Geheimdienst im alten Rom unterschied sich nicht wesentlich vom Aufbau der modernen Spionagezentralen in Russland, Grossbritannien und in den USA.

Geöffnete Briefe

In Österreich beginnt die Geschichte des professionellen Geheimdienstes im Jahr 1490, als Kaiser Maximilian I. die Post gründete, um die Bürger durch illegales Öffnen der Briefe überwachen zu lassen. Über das beste Spitzelwesen verfügten dann Prinz Eugen und Staatskanzler Metternich, der die Spionage perfektionierte. "Die Wände", sagte man damals, "haben Ohren". Und das Auge des Gesetzes ist überall. Metternichs Schnüffler saßen in den Staatskanzleien und Kaffeehäusern, an den Universitäten und in Redaktionen. Er scheute selbst davor nicht zurück, die privaten Vorlieben Kaiser Franz I. und seiner Frau ausspähen zu lassen.

Ein falscher Agent

"Ein Spion am rechten Ort", wusste Napoleon, "erspart 20.000 Mann an der Front". Tatsächlich wäre der Korse mit seinen Truppen ohne seinen besten Agenten Karl Ludwig Schulmeister nie bis nach Wien gekommen. Schulmeister hatte sich in das Lager des österreichischen Generals von Mack geschlichen und ihm seine Dienste als Spion angeboten. Als ihm Schulmeister erklärte, dass "Napoleon an keine Offensive denke", vertraute ihm der General und wurde Tage später mitsamt seiner 23.000 Mann starken Armee von den Franzosen überrascht und gefangen genommen.

Die französischen, britischen und russischen Spionagezentralen waren denen der k. k. Monarchie haushoch überlegen, besonders in der Zeit Kaiser Franz Josephs, der den Geheimdienst auf Sparflamme hielt. Dabei war das Büro von Oberst Redl, als er noch als hoch angesehener Chef der Spionageabwehr im Wiener Kriegsministerium Am Hof saß, mit den modernsten Hilfsmitteln seiner Zeit ausgestattet: In zwei Gemälden, die an den Wänden hingen, waren unsichtbare Öffnungen angebracht, durch die jeder Besucher fotografiert werden konnte. In einem als "Hausapotheke" getarnten Kästchen lag ein Schallrohr, das Tonaufnahmen aller Gespräche ermöglichte. Ebenso wurde jedem Gast, ohne dass er es merkte, der Fingerabdruck abgenommen: Alfred Redl reichte seinem Gegenüber Bonbonniere und Zigarrenschachtel, die mit Seidenpulver bestreut waren und so den Fingerabdruck festhielten. Doch der beste Agent des Landes setzte sein Können nicht für Österreich-Ungarn ein, sondern für die kommenden Kriegsgegner Russland, Frankreich und für den Balkan. Redl beging 1913 Selbstmord.

Meisterspion in Wien

Spionagezentrum Wien
Während des Ersten Weltkriegs standen – laut Angaben des britischen Generalstabs – 150.000 Agenten im Dienste der beteiligten Nationen. In der Ersten Republik ließ sich dann ein Spion in Wien nieder, der es später zu Weltruhm bringen sollte: Der Engländer Kim Philby trat als Sir vom Scheitel bis zur Sohle auf, hatte aber den kleinen Schönheitsfehler, nicht Agent Seiner Majestät des Königs von Großbritannien zu sein, sondern des sowjetischen KGB, als der er jahrzehntelang westliche Geheimdienste aushorchte.

Der Coup seines Lebens

Der Frauenschwarm war 1933 nach Wien gekommen, um Sozialisten und Kommunisten anzuwerben. Philby versorgte die in Österreich politisch Verfolgten mit Kleidung, Arzneien und Lebensmitteln und schickte ihre Informationen nach Moskau. Als er nach zwei Jahren erkannte, dass er von Wiener Polizei-Detektiven verfolgt wurde, verließ er Österreich mit seiner Geliebten, die hier ebenfalls als Agentin tätig war. Um dann in London den Coup seines Lebens zu landen: Kim Philby heuerte beim britischen Geheimdienst MI6 an, dem er seine kommunistische Herkunft so perfekt verschleierte, dass er es zum Chef der Spionageabwehr gegen die Sowjetunion brachte.

Philby lieferte den Sowjets während und nach dem Zweiten Weltkrieg politische und militärische Geheimnisse aus England und den USA, bis er 1962 enttarnt wurde. Nun gelang ihm die Flucht nach Moskau, wo er den Rest seines Lebens als freier Mann im Range eines KGB-Generals zubrachte. Er starb 1988 im Alter von 76 Jahren.

Keine Helden

Doch Kundschafter sind bestenfalls in Spionageromanen und in James-Bond-Filmen Helden. In Wahrheit betreiben sie ein schmutziges Geschäft, denn schon am Beginn jeglicher Agententätigkeit stehen nur allzu oft menschliche Schwächen. Die "Gegenseite" wird so lange unter die Lupe genommen, bis ihr ein außereheliches Liebesverhältnis, homosexuelle Neigungen, Drogen- oder exzessiver Alkoholkonsum nachzuweisen sind. Ist der auf frischer Tat Ertappte nicht bereit, dem Gegner "freiwillig" Informationen zu liefern, wird damit gedroht, sein Geheimnis publik zu machen.

Staatsgeheimnisse

In der Zweiten Republik ist es zwar nie so weit gekommen wie in Deutschland, wo Bundeskanzler Willy Brandt 1974 zurücktrat, weil sein engster Berater Günter Guillome der Spionage für die DDR überführt wurde. Allerdings wurden auch hierzulande eine Reihe hoher Beamter als Verräter von Staatsgeheimnissen verurteilt.

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