Der Meister und Marietta

Der Meister und Marietta
Sind Komiker die traurigsten Menschen? Nicht immer, aber oft. Manfred Deix, der hinterfotzigste Zeichner österreichischen Triebwesens, also das zartest besaitete Seelchen? Genau weiß das – vielleicht – seine Lebensfrau. Marietta erschien ihm, beide 14-jährig, am Schulweg in St. Pölten. Am Sonntag wird Deix 66 Jahre alt.
Von Ro Raftl

Dem Alter zu werden viele katholisch. Manfred Deix wird „mariettisch“. Erleuchtet betet er nur noch seine Lebensfrau an. Sämtliche dunklen Seiten der österreichischen Seele hat er seit den Siebzigerjahren seziert, Bigotterie und Biedersinn antiklerikal antifaschistisch antiautoritär provoziert, die Begierden quellenden Fleisches mit Dutteln und Zumpferln illustriert. Irgendwann hat Billy Wilder angerufen. Und den schreikomisch rabiaten Karikaturen von Manfred Deix eine innere Verwandtschaft mit den Satiren von Karl Kraus attestiert: „Diese ekelerregende Gemütlichkeit, die vorgibt, es sei eh nix passiert, und die Arroganz, die verkündet, den Walzer, den Gugelhupf und den Handkuss habe man aus dem Ärmel geschüttelt und die Donau sei blau wie eh und je.“ Steht im Vorwort vom fünften Deix-Buch „Augenschmaus“ – gleichzeitig ein Ohrenschmaus durch den Sprachrhythmus perfektperfider Poesie. Aber jetzt. Ausgeätzt. „Mohammed, Putin, Obama, Kirchenfürsten, Potentaten, Börsenspekulanten, diese ganzen Vögel interessieren mich überhaupt nicht mehr. Nur Marietta. Und das schon seit sehr langem.“

Hat einen immer umgehaut, sein Charme, sein Spitzbubenlachen. Doch, hm, seit wann genau diese Wende? „Glaub, seit einem Monat.“ 66 wird er am 22. Februar. Feixt jedoch unschuldssüß wie ein Sechsjähriger und bettet den Kopf übers Tischeck an Mariettas großem Herzen. Ihre Katzenaugen glänzen wie Christbaumkugeln. Das Lächeln mixt Frivolität mit Humor mit Mütterlichkeit mit allem Wissen nach 46 Jahren Zusammenleben mit diesem unartigen Wunderkind. Komiker sind die traurigsten Menschen? Nicht immer, aber oft. Deix, der hinterfotzigste Zeichner heimischen Triebwesens also die zartest besaitete Seele? Hilflos ausgeliefert seinem Röntgenblick für menschlichen Makel, seinem Bleistift, seiner Katzenliebe (sind momentan nur 39), auch seinen ruinösen Gewohnheiten. Im Medikamentendusel hat er Marietta aus dem AKH angerufen: „Wann kommst endlich nach Hause?“ Zur Albtraumminimierung eines Nachtmenschen bat sie die Schwestern, ihm die Kopfhörer aufzusetzen, mit dem Surfrock der Beach Boys als wirksamstem Sedativ. Fesch gemacht, als wäre nix passiert, wenn auch erschöpft – no na – sitzt Deix im Gmoakeller, isst Hirn mit Ei, trinkt einen Weiß Gspritzten, ein kleines Bier und zieht fest an der E-Zigarette, sehnsüchtig nach Nikotin: „Ich rauch so gern. Eine Lieblingsspeise.“ Bis vor kurzem auf achtzig oder hundert Portionen rund um die Uhr verteilt, ähnlich ausbalanciert die Tagesdosis an Weinviertler Kost. „Aus purer Lust am Angenehmen“ sagt er. Freundlich, aber störrisch. Auch nach dem dritten und so ziemlich ärgsten Zusammenbruch. „Ich will keine Anleitungen fürs gesunde Leben. Alles lachend überstehen. Und. Vorsätze fasse ich nicht, weil ich weiß, dass ich sie nicht durchhalten kann. Versucht hab ich’s schon: Es muss gehen ohne Tschick. Einen Vormittag lang. Dann bin ich vor dem weißen Blatt Papier gesessen – und nicht ein Bröserl ist rausgekommen. Ich bin im Wirtshaus aufgewachsen.“ Punkt. „Mit 16, 17, in Wien an der Graphischen, haben – vielleicht außer Helnwein? – alle geraucht. Wir sind in den Lokalen rumgesessen, haben wild über Kunst diskutiert und getschechert. Nach meinem Rausschmiss dort, wegen Aufmüpfigkeit und Schulschwänzen, weiter beim Studium an der Schillerplatz-Akademie.

Ein Leben ohne Alkohol? Unvorstellbar.“ Wobei: „Ich war nie ein Tschecherant, dem man es angesehen hätte. Umfallen oder Händezittern gab es nie.“ Der Schmäh, „hochqualitativ!“, das tiefschwarze Humorverständnis war der Kitt zwischen den Freunden Deix, Gottfried Helnwein, Josef Bramer, Bernhard Paul. Die glühende Auseinandersetzung mit ihren Bildern, ihrer Arbeit, ihrer Kunst: Spotten, lästern, sich übereinander und über sich selber schief und kropfert lachen, stets bereit zu „practical jokes“. Qualtinger ließ grüßen. Marietta erinnert sich kudernd, wie Deix als gütig ums Jugendwohl besorgter Kieberer bei einem „gstopften Tiroler Sohn“ aus der Künstlerclique anrief, der am Haschisch hing: „Hier Kommissariat Wieden. Wir wollen kein Aufsehen. Doch wir haben einen Zund. Kommen in zehn Minuten vorbei.“ Panisch schmiss der Kollege den gesamten Haschischvorrat ins Klo. 6.000 Schilling!“ Bös war er, am bösesten über die Blödheit, reingesaust zu sein. Helnwein wieder stocherte bei Manfreds Vater in der tiefsten aller Wunden: „Hier spricht Professor Ernst Fuchs! – Denn. Wenn man in Böheimkirchen sonst kan Künstler kannte, jeder Österreicher hat Ernst Fuchs gekannt. – Also Helnwein als EF: Ihr Sohn bekommt einen wichtigen Preis. Im Palais Palffy (damals der Inbegriff von Noblesse). Aber bitte. Könnten S’ net mit ihm reden, dass er sich die Haare schneiden lässt?!“ Die langen Zotten. „Nicht nur meine Mutter hat über meine Frisur geweint“, resigniert der „Zeichner der Nation“ (© Falter). „War aller Eltern Hauptproblem. Sie haben nichts verstanden. Okay, Langhaarige sind vor ’68 auch auf der Straße manchmal abgefotzt worden.“ Strich drunter.

Die Eltern? „Ich hab beide mittelmäßig gern gehabt. Den Kontakt aufs Notwendigste reduziert. Gewusst, die ändern ihre Meinung nicht. Die Mutter war eine Spur gütiger. Der Vater lauter. Grob. Von seiner schnellen mächtigen Faust hab ich schon ab und zu a Flaschen kassiert. – Da. Er. Einarmig aus dem Krieg zurückgekommen war, alles mit der Rechten tat, war sie fast abnormal kräftig ausgebildet.“ Die zärtlichste Kindheitserinnerung behält der Spötter dem lesbischen Paar vor, das manchmal auf ihn aufgepasst hat. „Kein Thema übrigens damals im Haus. Und ich war mit 2, 3, 4 viel zu jung, um mich auszukennen. Sie haben aber auch nicht öffentlich geschmust.“ Deix’ Bonmots dazu sind bekannt, doch: „War prägend, das erste Mal nackte schön geformte Dutteln zu sehen. Etwas Heiliges!“ Schnurrt: „Ich hab ja einen guten Fang gemacht.“ Lange geangelt. „Extrem schüchtern war er“, meint Marietta. „ Ja“ stimmt er zu, „randvoll mit Komplexen. Okay, ich lebe von meiner fatalen Begabung, an jedem sofort die Schwachstellen zu sehen. Aber damals. Fand ich mein eigenes Gesicht unfassbar hässlich: Schasaugen – viel zu klein! Wulstige Lippen – aufgequollen wie ein paar Frankfurter.“ Lacht. Vermeidet das glättende Wort: Pubertät. Nur nix Landläufiges. Marietta erschien ihm, beide waren 14, am Schulweg in St. Pölten: Blauschwarzes Haar, Tigerbluse, rote Stöckelschuhe, rotes Fahrrad. Als Wunder, als Lichtgestalt, in einer grauen Masse brav bezopfter Flachtreterinnen: „Sie hat mein Denken ins Wanken gebracht.“ Fuhr ihm in Seele und Körper ein, wie vielleicht nur noch die beglückende Musik der Beach Boys. Er recherchierte, bekam die Antwort: „Des is die Marietta, aber des is a so a Hur.“ Ha! Nur weil sie unüblich buntgrell angezogen war. Bumm, hatte der Kerl schon seine Watschen. Denn. Manfred ging boxen. Respekt! Kaum einer legte sich an mit ihm, und er mochte keine Raufereien. Doch hier sprach der Zorn des Gerechten. Er zeichnete sie: Marietta Berger, große Frisur, kurzer Rock. Schaffte es mit Freundeshilfe bis zum Heimwegs-Geplänkel. Legte ihr täglich eine Zeichnung vor die Tür. Na. Das erste Mal „gespatzelt“ hat er mit einer anderen, einer Tankstellenbesitzerstochter. Tja, und noch mit der einen oder anderen mehr, bis es endlich „handfest“ wurde mit der ersten Liebe. „Mir ging’s nur um die Weiber“ erklärte er später in einem Spiegel Online-Interview. Na ja.

Als Volksschüler, noch nicht mit dem völligen Durchblick, hat er große Busen mit einem kleinen Spatzi dran gezeichnet und unter aufgeweckten Buben verkauft. Als Elfjähriger mit seinem Talent (und nicht nur dadurch, wie er allerdings erst viel später dachte) den „plüschäugigen“ Religionslehrer betört und einen Comics-Auftrag für die NÖ-Kirchenzeitung – damals mit 200.000 Abonnenten – an Land gezogen. Ein Pfadfinderabenteuer, „Unter der Sonne Afrikas“, illustriert. Um 1.000 Schilling monatlich. Trotzdem seine letzten frommen Zeichnungen. Schon auf der Graphischen brachte ihm eine lustige Jesus-Karikatur die ersten Wickel. Grotesk / schockierend / schmutzig / blasphemisch / war das Mildeste, was über Deix’ Unsittenbilder der Siebzigerjahre im Satireblatt Neue Freie Presse, in profil oder trend gesagt und geschrieben wurde. „Natürlich will ich verletzen“, bekannte er damals. Doch auch: „Lachen ist eine Urgewalt. Sogar entsetztes Lachen reinigt.“ Dennoch kam’s härter, mit zerstochenen Autoreifen, Fäkalien in der Post, Drohanrufen, etlichen Klagen und Verurteilungen, Rauswurf aus der Kronen Zeitung wegen Blasphemie – „und unpünktlicher Lieferung“. Haha. Auch seine Last-Minute-Abgaben sind legendär. Zum ersten sagt er: „Na, aus der Kirche bin ich gar nie ausgetreten. Zu mühsam der Amtsweg. Und endlich hat mir Bischof Krenn im Dullijöh gepredigt: ,Bewahren sie bitte ihr Talent. Es kommt von Gott!“ Ich war perplex. Aber: Alle Religionen sind mir sowas von egal. Gut, Jesus war in Ordnung. Ein Mensch, über den man nix kommen lassen kann.“ Zum zweiten sinniert Marietta über Manfreds völligen Mangel an Ehrgeiz: „Er hat sich nie ernsthaft um irgendwas bemüht.“ Orden, ungefähr 21 Bücher, der Auftritt mit seinen Abgöttern, den Beach Boys, davon eine CD und andere, ein fixer Platz im Karikaturmuseum Krems, große Ausstellungen. In den nächsten Jahren sind weitere geplant. Wie ein Film von Wolfgang Aichholzer und Rupert Henning ... Und bei den Weibern? „Na ja, i glaub, war a net schlecht.“ Sie sagt’s nüchtern. „Eifersüchtig? „Am Anfang schon. Dann habe ich’s mir abgewöhnt. Denn. Er war viel eifersüchtiger.“ Sie muss lachen, tief aus dem Bauch: „Krieg einen Anruf aus Luzern. Ein wichtiges Comic-Festival mit allen Vertretern der Frankfurter Schule. Deix der Ehrengast. Wann er kommt? Ich sag: Er wird zurückrufen. Stimmklirren: ,Was heißt, zurückrufen? Das Fest beginnt in einer halben Stunde.’ I hab net g’wusst, wo er ist. Nur in Luzern sicher net.“ Oder dringend der NDR: Sie haben das Studio mit überlebensgroßen Deix-Figuren ausgestattet. Ein Flugticket geschickt. Wo er steckt? Er muss in die Maske! Die Sendung hat ohne Deix stattgefunden. Der Art Director vom Spiegel wollte ein Cover abholen. Beppo Votzi hat den profil-Cartoon urgiert. Natürlich gewusst, dass ich lüg, wenn ich sag, Manfred ist krank. Aber i konnt net zugeben, dass ich ihn seit einer Woche nimmer g’sehen hab. Sicher wollt ich oft abhauen, aber was mach ich mit den ganzen Katzen? Also. I wart zumindest, bis er wieder auftaucht. Und dann war’s das ja auch.“ Mariettas Augen schleiern versonnen: „Was i net glaubt hab, wie sehr ich an ihm häng. Im AKH auf der Intensivstation hab ich schon Todesangst gehabt.“ Deix braucht noch ein kleines Bier. Sehr zart und in feinen Farben zeichnet er jetzt. Nur für sich. „Das kann in Glücklichsein ausarten.“ Na, und bitte keine Kur. Keine Reisen zu Freunden oder ans Meer. So sein und bleiben.

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