"Gärten sind nie unschuldig", sagt Felicitas Thun-Hohenstein. Die Kunstwissenschafterin und Kuratorin hat ein Gespür dafür, welche Kräfte in vordergründig lieblichen Dingen schlummern: Irgendwo finden sich immer Spuren von Macht oder Unterdrückung, und wenn sie sich nur in abgezirkelten Beeten und gestutzten Pflanzen zeigen. Allerdings gelingt es Künstlerinnen und Künstlern immer wieder, sich in diese Gefilde einzuschleichen – und subtile Botschaften des Widerspruchs zu senden.
Als Kommissarin des Österreichischen Pavillons brachte Thun-Hohenstein 2019 die Künstlerin Renate Bertlmann in die Giardini der Venedig-Biennale – den Gartenparcours der nationalen Repräsentationswünsche schlechthin. Unter dem Motto „Discordo Ergo Sum“ („Ich widerspreche, also bin ich“) setzte Bertlmann Widerhaken: Rosen aus Muranoglas, mit gezackten Messern bewehrt, widersprachen jeglicher Lieblichkeit. Später übersiedelte ihr Ensemble ins Belvedere in Wien, wo es auf kaiserlich-barocke Repräsentationskunst traf.
Thun-Hohenstein hat seitdem weitere widerständige Blumenbuketts aufgetischt: Im Wiener Künstlerhaus zeigt sie derzeit die aus Sarajevo stammende Lana Čmajčanin, die Blumen mit Frauennamen (Iris, Rosa, Liliana) mit Statistiken kontrastiert, die Diskriminierung von Frauen belegen. Anna Jermolaewa zeigt in der Schau Blumen, die zum Symbol der Auflehnung wurden: So gab es eine Tulpenrevolution, eine Kornblumenrevolution, eine Safran-Revolution, eine Lotus-Revolution.
Aufrührerische Pflanzen
Dass Künstlerinnen aus feministischer Perspektive den aufrührerischen Gehalt von Blumen entdecken, ist freilich in der Geschichte angelegt: Waren Frauen doch über Jahrhunderte auf die Pflege des Dekorativen festgelegt.
Entfaltungsmöglichkeiten
Allerdings erlaubte die Blumenmalerei Künstlerinnen schon relativ früh künstlerische Entfaltung – wenn auch innerhalb enger Grenzen. Als Leitfigur gilt hier die Niederländerin Rachel Ruysch (1664 - 1750), die es zum Titel einer Hofmalerin brachte. Auch in Wien, wo die Blumenmalerei im 18. und 19. Jahrhundert eine Blütezeit erlebte, konnten es Malerinnen wie Pauline von Koudelka-Schmerling oder Rosalia Amon an Renommee und Preisniveau mit Männern aufnehmen. An der Kunstakademie studieren durften sie dennoch nicht.
Malerinnen und Maler orientierten sich lange an den Blumenstillleben, die in den Niederlanden des 17. Jahrhunderts in Mode kamen. Diese Bilder waren freilich auch nie bloß Darstellungen von hübsch arrangierten Pflanzen: Der „Große Blumenstrauß“ von Jan Brueghel d. Ä., ein Glanzstück des Wiener KHM und der Stilllebenkunst schlechthin, zeigt etwa Blumen, die nie in der abgebildeten Form zeitgleich blühen könnten. Stattdessen ist ein ganzer Jahresablauf von Blühen und Vergehen in dem Arrangement zusammengebunden.
Der Kolonialismus, der exotische Gewächse in den Fokus rückte, hinterließ ebenso seine Spuren in der Blumenkunst wie die aufkeimende Wissenschaft mit ihrem Drang, alles zu erfassen und zu katalogisieren: Der Vater der Malerin Rachel Ruysch war etwa nicht zufällig ein angesehener Botaniker. Und als der Maler Johann Knapp 1821/’22 ein Blumenstillleben samt Ananas und einem exotischen Kakadu malte, schuf er in Wirklichkeit ein „Denkmal“ für den Botaniker Nikolaus Joseph von Jacquin (1774-1806), der das von Carl von Linné (1707- 1778) entwickelte System zur Benennung von Pflanzen und Tieren in Österreich eingeführt hatte.
Nach wie vor bilden solche historische Bildwelten das Fundament für künstlerische Auseinandersetzungen: Der niederländische Künstler Willem de Rooij kontrastiert etwa die neuere und jüngere Historie seines Herkunftslandes, wenn er prächtige Blumensträuße binden lässt, deren Bestandteile allesamt „Migrationshintergrund“ haben: Konflikte der Gegenwart verstecken sich dabei auf gefinkelte Weise im Blumengewand.
Während de Rooijs Blumen in jeder Ausstellung frisch bleiben – Welkes wird sofort ausgetauscht – greifen andere Kunstschaffende auf die Fähigkeit von Blumen zurück, das Vergehen alles Lebenden darzustellen.
Was in Renaissance und Barock als sogenanntes „Vanitas-Motiv“ galt, zitiert etwa die britische Künstlerin Jesse Darling, die derzeit im Kunstraum Niederösterreich in der Wiener Herrengasse echte Blumenbuketts in Vitrinen platziert hat – und sie dort verwelken lässt. Das Werk baut seinerseits auf einer Aktion der Künstlerin Carolyn Lazard auf, die an einer chronischen Krankheit (Morbus Crohn) leidet und das Ritual eines Krankenbesuchs als „Performance“ inszenierte: In 30-Minuten-Abständen sollten ihr dabei Menschen je einen Strauß Blumen bringen, 12 Stunden lang.
Fürsorge, Hoffnung, Liebe oder einfach das momentane Empfinden von Schönheit – die Kunst strebte und strebt gerade auch in schwierigen Zeiten danach, diese Qualitäten zu konservieren. Dabei ist die Grenze zwischen der scheinbar elitären Kunstsphäre und der real duftenden Blumenwelt längst in beide Richtungen durchlässig: Nach Gemäldevorbildern gestaltete Blumenbuketts mit dem Hashtag #dutchmasters sind auf Instagram höchst beliebt, Kunsträume nehmen ihrerseits Abstand von Präsentationen in klinisch-weißen Sälen und experimentieren mit Blumenschmuck.
Sehnsuchtsort mit Trockenblumen
„Es gibt auch viele, die sich unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit und des Klimawandels mit dem Thema Blumen beschäftigen“, weiß Barbara Urbanic.
Die Wienerin, die auf ihrem Instagram-Account @stadtblume_wien Arrangements aus saisonal gewachsenen, selbst gezogenen oder in Wien gesammelten Blumen postet, betrat im Sommer 2020 das Kunst-Territorium, als sie mit ihrer Freundin, der Künstlerin Verena Dengler, eine Installation in der Wiener Secession schuf.
Eine „Gstettn“ – für die gemeinsam am Stadtrand aufgewachsenen Frauen eine Art romantischer Sehnsuchtsort – wurde da mit Trockenpflanzen nachgebildet, Urbanic selbst fand sich als Bronzeskulptur in der Schau verewigt wieder. „,Natürlichkeit’ steht da sehr unter Anführungszeichen“, sagt sie. Doch gerade weil die Kunst gern zehnmal ums Eck denkt, bleiben die Ideen, die sich an Blumen und Gärten entfalten, lange frisch.
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