Bilgeri: "Der Rock'n'Roll war mein Rettungsanker"
Ein Hit der österreichischen Popgeschichte geht ab sofort auf das Konto von Bilgeri, obwohl er ihn weder geschrieben noch gesungen hat. Es ist 16 Uhr und wir warten seit 45 Minuten auf den bald 70-Jährigen in einem Wiener Tonstudio. Bilgeri lebt im Körper eines 50-Jährigen, deshalb kann ein Gebrechen der Grund für die Verspätung nicht sein. „Oba er kummt net, kummt net“ – wie 1983 das Taxi von DÖF.
Bitte lesen Sie, warum Bilgeri zu spät kam, warum er erst mit 31 Popstar wurde und mit 59 nochmals von vorne begonnen hat.
Bilgeri hatte schon immer eine eigene Zeitrechnung, wurde erst mit 31 Jahren Popstar und gab dafür den lukrativen Job als Gymnasial-Professor auf. Seinen ersten Film als Regisseur drehte er mit 59 und riskierte dafür seine Existenz. Darüber wollen wir mit ihm reden, wenn ... ja wenn er noch kommt. In diesem Moment geht die Türe auf: „Entschuldigt’s bitte, ich hatte einen Termin für ein neues Filmprojekt.“ Bussi links, Bussi rechts – alles ist verziehen. Derzeit tourt Bilgeri mit seiner Abschiedstournee durch Österreich. Abschied? Für immer? Aber lesen Sie selbst!
Und Humor hat er auch: Bilgeri beim Fotoshooting mit Freizeit-Redakteurin Barbara Reiter
Bilgeri, ein runder Geburtstag lädt gerade dazu ein, Bilanz zu ziehen. Welches Lebens-Ereignis hat dich geprägt?
Eine neuralgische Geschichte war meine Internatsinternierung. Ich war in den Augen meiner Eltern ein schwer erziehbares Kind. „Der Bub muss auf die rechte Bahn“, hat meine Mama, die Religionslehrerin war, immer gesagt. Ich entstamme einer Lehrer- und Professoren-Dynastie. Die wollten natürlich, dass ich ein Braver werde. Das wollte ich auch, aber ich hatte immer ein Problem mit Autoritäten.
Das wollte man dir im Internat austreiben?
Ja, im Xaveriushaus bei den Missionaren vom Kostbaren Blut. Ein unheimlicher Name, aber es kamen auch gute Leute dort heraus. Zum Beispiel der Bischof Kräutler, der im Amazonas-Gebiet tolle Sachen gemacht hat. Ich bin dort gelandet, weil ich mit meinem besten Freund (Anm.: dem Schriftsteller) Michael Köhlmeier, einige Zeit autoritärsubversiv unterwegs war und man uns trennen wollte. Er kam zu den Kapuzinern nach Feldkirch, ich zu den Missionaren.
Wie ist es dir dort ergangen?
Es sind zwei wichtige Dinge passiert. Zum Einen wurde mir wieder einmal ein Korsett aufgepflanzt, und zweitens habe ich nachts in meinem Batterie-Radio unter dem Kopfpolster die Welt gehört. Ich habe das schon oft erzählt, aber es war eben prägend! Der Rock'n'Roll ist wie ein Rettungsanker in mein Leben geklatscht. Die Stones, die Animals, die Beatles ... alle großen Cracks kamen damals durch den Äther. In dieser Welt hab ich Zuflucht gefunden. Darum ist auch alles so gekommen, wie es gekommen ist.
Das heißt, das Internat hatte auch positiven Einfluss auf dein Leben?
Ja, man kann sagen, das Internat hat mir auch Gutes gebracht. Aber nur, weil ich stark war und alles gut verarbeitet habe. Einige Internatskumpanen waren nicht so stark und haben sich umgebracht. Drei junge Leute, Teenager, die das einfach nicht ausgehalten haben. Aus der Wut, die dort entstanden ist, kann aber auch Kreatives kommen. Diese Kreativität habe ich in der Musik und in der Literatur gespürt.
Wie lange musstest du dort ausharren?
Ich bin dann mit zehn Jahren Bettnässer geworden und habe mir immer öfter gedacht: Das geht so nicht, Freunde! Also habe ich mich am eigenen Schopf aus der Misere gezogen, bin aus dem Internat geflogen und habe sofort mit dem Micky (Anm.: Köhlmeier) und zwei anderen Burschen eine Rockband gegründet: „The Blacks“, alle in Schwarz gekleidet und leicht existenzialistisch angehaucht.
Du bist auch heute ganz in Schwarz ...
Inklusive Socken. Der Existenzialismus hat mich damals einfach fasziniert und Sartre, Camus und diese Leute haben mich auch später im Philosophie-Studium emotional sehr berührt.
Man hat das Gefühl, als würde die Philosophie gerade wieder eine Hochzeit erleben. Findest du nicht?
Man hat das Gefühl, als würde die Philosophie gerade wieder eine Hochzeit erleben. Findest du nicht?
Vollkommen richtig. Ich denke auch, es gibt eine atmosphärisch registrierbare Sehnsucht der Menschen nach Antworten auf die Grundfragen unseres Daseins. Auch weil Philosophen aufgetaucht sind, die mit brillanter Eloquenz imstande sind, uns an die großen Fragen heranzuführen. Der Wichtigste für mich ist Richard David Precht, obwohl ihn viele als zu modisch empfinden. Ich habe mir seine Philosophie-Trilogie gekauft und bin gerade dabei, alles aus dem Studium wieder aufzuwühlen. Das bringt mich sogar in eine Sehnsucht, in meinem hohen Alter wieder in Hörsäle zu gehen und in dieser Richtung weiterzustudieren.
Laut Udo Jürgens fängt das Leben mit 66 erst an. Ist Alter nicht eine Kopfsache?
Es passiert doch fast alles im Kopf. Wenn du halbwegs auf deinen Körper achtest, ist der Kopf das Instrument, das dich jung oder alt erscheinen lässt. Frag einen Sportler oder schau, wie der (Anm.: französische Slalomläufer) Lizeroux mit vierzig die Piste runterfährt. Er kann jederzeit unter die Top Ten fahren. Ich trage auch viel kreative Wut in mir, das hält jung. Man muss sich gegen alles Mögliche stellen in dieser Welt.
Wogegen genau?
Zum Beispiel gegen den Rechtspopulismus, der wieder erstarkt. Der Gedanke, dass Auschwitz eine ewige Option in uns allen ist, begleitet mich ein Leben lang. Darum bin ich fokussiert auf Ziele. In meinen 20ern war Viktor Frankl (Anm.: der Psychiater), Begründer der Logotherapie, einer meiner größten Heroes. Sinnlehre! That‘s what‘s all about! Frankl hat mit 90 noch angefangen, Fallschirm zu springen. Er ist für mich eine Art Mick Jagger der Psychiatrie.
Bilgeri mit seiner Frau Beatrix und Tochter Laura einst
Bis heute sind die Bilgeris als Familie glücklich
Ein anderer Held deines Lebens ist Magellan, dessen Weltumsegelung du doch verfilmen wolltest. Was ist daraus geworden?
Als ersten Schritt möchte ich ein „Universum History“ drehen. Ich bin auch schon in Gesprächen. Wenn das gelingt, könnte ich auch den Kinofilm drehen. Aber das ist so wahnsinnig teuer und Produzenten haben großen Respekt vor Wasserfilmen.
Können sie nicht schwimmen?
(lacht) Das Problem ist das Wetter. Es ist unberechenbar. Der Dreh von Kevin Costners „Waterworld“ war dahingehend eine Katastrophe. Jeder Produzent schlägt die Hände über dem Kopf zusammen, wenn er hört, dass man mit Schiffen unterwegs ist.
Dabei hast du dich als Regisseur schon über eine Mega-Lawine getraut. Ist ja eigentlich auch Wasser in anderer Konsistenz.
Das war auch nicht unproblematisch und sehr, sehr teuer. Ich habe für meinen ersten Film „Atem des Himmels“ 2010 mein ganzes Leben riskiert. Da war ich schon 59 Jahre alt.
Und du warst 31 Jahre alt, als du vom AHS-Professor zum Rockstar wurdest. Das ist auch recht spät.
Das war schon mein Masterplan als Teenager. Ich wollte zuerst Rockstar werden, dann Schriftsteller und – wenn möglich – einen Bestseller schreiben. In der letzten Phase meines Lebens wollte ich Filme machen. Das hat aber nur geklappt, weil ich radikal war mit meiner eigenen Existenz.
Und wenn der Erfolg ausgeblieben wäre, wärst du unter einer Brücke gelandet?
Natürlich war dieses Selbstbewusstsein immer da, dass es soweit nicht kommt. Meine Familie und ich mussten uns aber auch überlegen, was wir getan hätten, wenn der ORF und das ZDF nicht als Co-Produzenten eingestiegen wären. Ich wäre sofort wieder auf Tournee gegangen und hätte das nächste Drehbuch oder einen Roman geschrieben. Wir hätten uns herausgestrampelt.
Muss man sich Sorgen machen, weil du derzeit ja gerade auf Tournee bist?
Nein, das hat einen anderen Grund. Ich wollte mich einfach bei meinen Fans bedanken. Ich bin ein glücklicher Mann, denn es war großes Glück, dass ich immer dann, wenn es notwendig war, wieder ein Hit geschrieben habe. Und den hast du ja nur, wenn die Leute die Platten kaufen.
Es ist deine Abschiedstournee. Ein Abschied für immer?
Gut, die Stones sind seit 20 Jahren auf Abschiedstournee, vielleicht wird es bei mir auch ein langer Abschied. Ich bin ja süchtig nach dem Geruch der Kabel und Verstärker. Mit dem Rock'n'Roll ist es eine ewige Ehe.
Gut möglich, dass du dann vom Rock-Professor zum Rock-Opa wirst. Das ist mir völlig wurscht. Der Mick Jagger ist 76, Urgroßvater und hat zwei Herzoperationen hinter sich. Und der fegt nach wie vor über die Bühne. Mir haben sie schon im Gymnasium Jagger hinterhergerufen. Er ist ein großes Vorbild für mich.
Erinnerst du dich an dein erstes Konzert?
Ja, weil wir damals gleich einen Bandwettbewerb gewonnen haben, der Micky und ich. Das war in Frastanz, und der Kaplan hat uns vom Bahnhof abgeholt.
Was habt ihr gesungen?
„Balla Balla“ von den Rainbows, ein vollkommen doofer Rocksong mit einem ganz mickrigen Text ...
Warte: „My Baby Baby Balla Balla ...
Genau, im Prinzip ist das der Text. Das zweite Lied hieß „King Jones“ und wir hatten es selber geschrieben in einem Kauderwelsch-Englisch. Damals konnten die Leute noch nicht so gut Englisch und wir haben dem Kaplan erklärt, dass es ein Lied mit sozialpolitischen Aspekten ist – was nicht gestimmt hat. Schlussendlich haben wir aber genau deshalb gewonnen!
Ganz schön gefinkelt. Und die Groupies?
Nach dem Konzert haben wir noch Autogramme geschrieben, und ich kann mich erinnern, dass plötzlich eine Kellnerin auf meinem Schoß gesessen ist. Da wurde mir klar, wie es ist, ein Rockstar zu sein. Es war genauso geil, wie ich es mir erträumt hatte. Jeder Musiker, der sagt, das wäre kein Impact, der ihn in diese Welt gebracht hat, lügt.
Die Namen deiner frühen Hits waren sehr spannend: „Strumpfbandgürtel-Blues“, „Füdlerfetischist“ ...
Weißt du, was das bedeutet?
Ja, Popsch auf vorarlbergerisch.
Du kennst dich aus! Viele mögen einwerfen, das wäre Sexismus, aber ich bin damals einem wahrhaftigen Drang gefolgt. Es ist eine Art Fetischismus, das gebe ich zu, aber ich musste da einiges loswerden: „Es gibt a Sach’ auf dieser Welt, die schöner ist als jedes Geld. Es handelt sich für mich als Mann, um des was Frau hed hintendran ...“
Das kannst man heute, Stichwort #MeToo, eventuell nicht mehr so reimen.
Ich habe ja auch Angst, dass ich gegeißelt werde und die Keule ausgepackt wird. Das hab ich halt vor vielen Jahren geschrieben, und die Frauen in den ersten Reihen haben sich damals zerkugelt und gefreut, dass da oben einer singt, der das bissel zu viel am Popsch auch gern hat.
Frauen könnten natürlich fragen: Wo ist das Lied über das beste Stück?
Da ist mir nichts eingefallen, tut mir leid. Ich gehe in die Knie vor der weiblichen Schönheit, die für mich eine der wichtigsten Quellen in meinem Leben gewesen ist. Und zwar nicht die ebenmäßige Schönheit, sondern eine gewachsene Schönheit. Aber heute gilt es ja schon als desavouierend, wenn man einer Frau sagt, dass sie hübsch ist.
Bilgeri, wie lange wirst du noch enge Hosen tragen?
Da muss ich wieder den Jagger als Beispiel nehmen. Der hat kein Gramm Fett. So lange es also ästhetisch ausschaut, möchte ich meine Hosen an mir spüren. Nehmt mich oder nehmt mich nicht! Vollkommen wurscht.
Reinhold Bilgeri, 59, wurde 1950 in Hohenems in Vorarlberg geboren. Er entstammt einer Lehrerfamilie und wurde, auf Wunsch seiner Eltern, nach dem Internat AHS-Lehrer für Deutsch, Geografie, Philosophie und Psychologie. Bilgeri unterrichtete in Feldkirch, ehe der Musik-Aficionado 1981 beschloss, Rock-Star zu werden. Schon sein erster Song „Video Life“ war ein Hit, dem mehr als 20 andere folgten.
2005 feierte Bilgeri auch als Autor mit dem Bestseller „Der Atem des Himmels“ Erfolge. Seine dritte Karriere als Regisseur startete er 2010 mit 59 Jahren und verfilmte sein Buch. Am 26. März wird Bilgeri 70 Jahre alt und befindet sich derzeit auf Abschiedstournee. „Vielleicht wird es ja ein langer Abschied!“ Hoffentlich!
Bilgeri ist seit 1981 mit Beatrix verheiratet. Seine Tochter Laura, 25, lebt als Schauspielerin in den USA.
Bilgeri on Tour: „70 – And Still Rocking“. 25. 3. St. Pölten Cinema Paradiso, 26. 3. Wien Orpheum www.oeticket.com
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