Barbara Broccoli: „Die Menschen mögen Helden“
von Karl Riffert
Kurz vor der Premiere des jüngsten Bond-Abenteuers „Keine Zeit zu sterben“ konnte die als einzige österreichische Zeitung mit den Bond-Produzenten Barbara Broccoli und ihrem Stiefbruder Michael Wilson sprechen. Der Vater beziehungsweise Stiefvater der beiden ist Albert Broccoli, genannt „Cubby“. Er gründete 1962 mit seinem Partner Harry Saltzman die Bond-Reihe, die längste und erfolgreichste Kinofilmserie der Welt. Seit damals spielten die 25 Bond-Filme über 17 Milliarden Dollar ein (inflationsbereinigt). Opus 25, „Keine Zeit zu sterben“, ist gerade in den Kinos gestartet. Ein Blick hinter die Kulissen des Phänomens James Bond.
Freizeit: Ihr neuester Bond-Film „Keine Zeit zu sterben“ hat eine Viertelmilliarde Dollar gekostet. Sein Start musste immer wieder verschoben werden. Wie nervös hat Sie diese Zitterpartie gemacht? Dachten Sie einen Moment lang: Das war’s. Das ist unser letzter Bond-Film.
Barbara Broccoli: Nein, das haben wir nie gedacht!
Michael Wilson: Den Start eines Films dieser finanziellen Größenordnung zu verschieben, ist natürlich eine sehr schwierige Entscheidung. Wir bestanden jedoch darauf, den Film in den Kinos zu zeigen. Aber alle Bond-Filme waren eine Herausforderung, sie waren nie einfach, jeder hatte seine eigenen Probleme. Das war halt der erste, dessen Start wir verschieben mussten. Zum Glück war der Film schon fertig, als die Pandemie losbrach.
Haben Sie nicht doch einen Moment lang ernsthaft überlegt, den Film auf einer Streaming-Plattform zu starten?
Broccoli: Nein. In unseren Gesprächen mit unseren Produktionspartnern haben wir das rigoros abgelehnt und das Studio hat das verstanden. „Keine Zeit zu sterben“ ist ein sehr cinematisches, ganz wunderbar fotografiertes Werk und Cary Fukunaga erwies sich als ein großartiger Regisseur. Diesen Film muss man auf einer großen Leinwand sehen. Wir haben deswegen auch zum Teil im Imax-Format gedreht, und es gibt sogar in einigen Ländern 3-D-Versionen. Buchstäblich großes Kino! Und ich glaube, die Leute freuen sich auch darauf, wieder ins Kino gehen zu können.
Die Premiere von Spectre ist sechs Jahre her. Bond-Filme sind eigentlich seltene Ereignisse, obwohl sie kommerziell so erfolgreich sind. Warum kommt 007 nicht öfter ins Kino?
Wilson: Filme brauchen so lange, wie sie brauchen. Der eine dauert länger, der andere kürzer. So ist das nun einmal. Aber diesmal haben wir durch die Pandemie eineinhalb Jahre verloren. Es gibt schon jetzt Spekulationen über den nächsten Bond.
Barbara, Sie haben ausgeschlossen, dass der nächste Bond eine Frau wird. Wäre das zu weit weg vom Fleming-Original?
Broccoli: Für mich ist das eine sehr seltsame Frage. Bond ist eine durch und durch männliche Figur und es wäre kompletter Unsinn, das zu ändern. Aber es sollte mehr Filme von Frauen, mit Frauen, für Frauen geben. Das wäre viel besser, als Frauen Männerrollen spielen zu lassen.
2015 sagte Daniel Craig, er würde sich eher die Pulsadern aufschneiden, als noch einmal den Geheimagenten zu geben. Kolportierte 25 Millionen Dollar Gage haben seine Meinung geändert, aber jetzt ist endgültig Schluss. Haben Sie sich innerlich schon damit abgefunden, dass ein neuer Bond-Darsteller kommen muss?
Broccoli: Ich verdränge das so gut ich kann. Nach Spectre war Daniel erschöpft. In langen Gesprächen habe ich ihm klar gemacht, dass das letzte Kapitel seiner erfolgreichen Bond-Story noch nicht geschrieben war. Das hat ihn dann sehr gereizt. Er hat seine Meinung nicht deswegen geändert, weil wir mit Geld herumgeworfen hätten.
Daniel Craig war am Anfang höchst umstritten. Man amüsierte sich über einen blonden Bond ohne Charme und ohne das gute Aussehen von Pierce Brosnan. War Craigs realistischere Darstellung eines Geheimagenten der Grund, warum er dennoch der vielleicht beste Bond seit Sean Connery geworden ist?
Broccoli: Ich habe die Kritik am Anfang überhaupt nicht verstanden. Was hat die Haarfarbe damit zu tun, wie gut ein Schauspieler ist? Diese Kritik war sehr oberflächlich. Casino Royal zu verfilmen, dieses erste Buch von Ian Fleming, war ein Traum für mich, und Daniel war dafür perfekt. Er ist die Inkarnation Bonds. Wir haben nicht einen Augenblick an ihm gezweifelt. Casino Royal, überhaupt alle seine fünf Bond-Filme, haben ihm weltweite Anerkennung gebracht. Und der neue Film ist eine fantastische Vollendung seiner großartigen Bond-Darstellung.
Sie produzieren die Bond-Filme gemeinsam mit mächtigen Partnern wie MGM. Wollten die im Lauf der Jahre wechselnden Studiobosse das Bond-Rezept öfter mal verwässern?
Wilson: Die meisten von ihnen haben begriffen, wie wichtig die Original-Figur für die Filme ist. Natürlich gab es Versuche, die Bond-Filme zu verändern, das konnten wir verhindern. Aber es waren letztendlich wenige Studiobosse, die das Erfolgsrezept der Bond-Filme missverstanden.
Die Bond-Figur hat sich im Lauf der Jahrzehnte immer etwas dem Zeitgeist angepasst. Wie weit darf sich der Film-Bond von Flemings Original entfernen?
Wilson: Bond ist ein Zeitgenosse. Er lebt immer im Hier und Jetzt. Das hat ihn so erfolgreich gemacht. Es war immer das Verdienst der Bond-Darsteller, Flemings Figur am Leben zu erhalten, auch wenn sie James Bond immer wieder neu interpretiert haben.
Flemings Bond ist Mitte 30, Daniel Craig wird 54. Es wird also einen neuen Bond-Darsteller geben. Wird das den Charakter der Bond-Filme wieder so stark verändern wie das beim Antritt Craigs der Fall war?
Wilson: Sicher ist nur, es wird auf jeden Fall wieder alle Ingredienzen aus Flemings Romanen geben: Q und M, Moneypenny und all das, was die Leute lieben.
Broccoli: Ehrlich, wir haben uns über den künftigen Bond-Darsteller noch überhaupt keine Gedanken gemacht. Frühestens 2022 werden wir uns mit dem nächsten Film beschäftigen und mit der Richtung, die Bond dann einschlagen wird. Jetzt denken wir mit Freude an unser jüngstes Bond-Abenteuer „Keine Zeit zu sterben“. Es hat Jahre gebraucht, diesen aufwendigen Film zu machen. Und wir feiern jetzt, dass er endlich weltweit in die Kinos kommt.
Michael, Sie tauchen wie einst das Regie-Genie Alfred Hitchcock als Komparse oder Kleindarsteller in 13 Bond-Filmen auf. Welche Mini-Rolle spielen Sie im neuen Bond?
Wilson: Ich bin kurz als ein General zu sehen. Aufmerksame Zuschauer kennen mich schon seit „Spectre“ in dieser Rolle.
Sie feiern im Jänner ihren 80. Geburtstag. Werden Sie auch den nächsten Bond-Film gemeinsam mit Barbara produzieren?
Wilson: Ich denke, ich bin am Ende meiner Laufbahn angekommen ...
Broccoli: Nein, ist er nicht! Er macht seinen Job besser als viele Jüngere.
Ich habe meinen Vater verehrt und liebte es, mit ihm so viel Zeit zu verbringen (...)Wenn mein Vater eine Pizzeria gehabt hätte, wäre ich heute wahrscheinlich Pizza-Bäckerin.
Barbara, wenn Ihr Vater kein Filmproduzent gewesen wäre und es die Bond-Reihe gar nicht gäbe, welchen Beruf hätten Sie sich gewünscht?
Broccoli: Ich habe meinen Vater verehrt und liebte es, mit ihm so viel Zeit zu verbringen wie möglich. Deshalb war ich auch schon mit 22 Regie-Assistentin bei „Octopussy“. Wenn mein Vater eine Pizzeria gehabt hätte, wäre ich heute wahrscheinlich Pizza-Bäckerin. Michael und ich haben so viel von Cubby Broccoli, meinem Vater, gelernt! Er war ein fantastischer Produzent. Das Wichtigste, was ich von ihm fürs Leben gelernt habe, war, dass man seinen Job mit Leidenschaft machen muss, dass man hart arbeiten muss und dass man Respekt vor Anderen haben sollte. Die schlimmste Zeit meines Lebens war, als wir Vater verloren und die Bond-Filmreihe ohne ihn weiterführen mussten.
Wilson: Ich bin nicht sicher, ob Barbara gute Pizza machen würde. Aber sie ist eine Vollblut-Produzentin, dieses Geschäft ist in ihrer DNA.
James Bond ist sehr britisch. So hat ihn Ian Fleming konzipiert. Ist das für Sie als Produzenten für einen globalen Markt und mit amerikanischen Partnern manchmal ein Problem?
Broccoli: Natürlich ist die Britishness von Bond zuweilen eine Bürde, denn wir haben ein weltweites Publikum. Aber der Geheimagent Ihrer Majestät genießt überall auf der Welt Popularität, vielleicht sogar wegen seiner britischen Identität, und das soll auch so bleiben. Wir wollen unser Publikum nicht vergraulen und wir möchten nicht die Produzenten sein, die den letzten Bond-Film machen.
Sie sind beide mit Bond aufgewachsen. Haben Sie selbst schon Angewohnheiten von 007 übernommen? Bestellen Sie manchmal einen Wodka-Martini geschüttelt, nicht gerührt?
Wilson: Also ich glaube, alle Jungs finden die Männlichkeit von Bond cool und die meisten von uns möchten insgeheim auch so sein wie er.
Broccoli: Das gilt nicht für mich ...
Wilson (lacht): Schon klar. Aber auch für Männer gilt: Wir werden natürlich erwachsen und finden unsere eigene Persönlichkeit. Ich muss freilich zugeben, manches was Bond mag, liebe ich auch ...
Broccoli: Mir gefällt zum Beispiel Bonds Loyalität, die selbstlose Bereitschaft, seinem Land oder einer guten Sache zu dienen. Ich denke, das sind Dinge, die die Welt heute braucht.
Werden die Leute trotz Covid in Scharen in die Kinos strömen, um den neuen Bond zu sehen?
Wilson: Das hoffen wir. Ich denke, es ist jetzt der richtige Zeitpunkt für die Premiere.
Barbara Sie waren ein Baby als Ursula Andress so unnachahmlich im Bikini den Jamaikanischen Wellen entstieg. Was ist das Geheimnis, dass Bond heute immer noch ein globales Phänomen ist?
Broccoli: Die Menschen mögen Helden. Und trotz aller Action ist besonders seit Daniel Craigs Interpretation eine große Portion Menschlichkeit in Bond. Die Leute werden von ihm inspiriert. Unser neuer Film ist ein gutes Beispiel dafür. Er handelt auch von Opferbereitschaft und der Bedeutung menschlicher Beziehungen, von Dingen, die uns Menschen bewegen.
Danke für das Gespräch.
Barbara Broccoli, 61, ist die Tochter des Filmproduzenten Albert „Cubby“ Broccoli, der 1962 gemeinsam mit Harry Saltzman die Bond-Serie begründete. Seit 1995 fungierte Barbara gemeinsam mit ihrem Stiefbruder Michael Wilson als Chefin von EON Productions und als Produzentin von neun Bondfilmen – von Goldeneye bis „Keine Zeit zu sterben.“ Cubby Broccolis Stiefsohn
MichaelWilson, 79, ist gelernter Elektroingenieur und Anwalt für Internationales Recht. Er ist verheiratet und Vater zweier Söhne. Barbara Broccoli hat eine Tochter.
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