Ach, man darf nur keine Ledersohlen haben, ansonsten ist hier alles kein Problem“, sagt Wolfgang Urstadt und schwingt sich auf eine Leiter in einem Eisenkäfig. Sie führt direkt hinunter zum Bühnenausstieg in Rigolettos Gesicht, in die innere Maschinerie des Clownkopfes, der direkt über dem Wasser schwebt. Dorthin können wir ihn leider, mangels Gummisohlen, nicht begleiten. Gitter und Gestänge, auf denen der Kran, der Rigolettos 35 Tonnen schweren Kopf trägt, befestigt ist, sind klatschnass. Die Wege hinter der Bühne, zwischen Leitern, Containern und Garderoben, die dicht über dem See liegen, sind aber für Sänger und Statisten längst zur täglichen Routine geworden. Die blickt gemeinsam mit dem Technischen Direktor Wolfgang Urstadt und dem Künstlerischen Betriebsdirektor Michael Csar hinter die Kulissen der größten Seebühne der Welt, die auf rund 120 Pfählen aus Stahl und Fichtenholz mitten im See steht. Eine Bühne, die technisch alle Stückerln spielt, die Wind und Wetter trotzt und mittels Computertechnik und hydraulischen Schwenkantrieben Verdis Musik in poetische Bilder umsetzt.
„Nicht jedes Theater kann von sich sagen, von unter Wasser bis in den Himmel zu spielen“, sagt Wolfgang Urstadt. In der 175 Tonnen schweren Maschinerie des Bühnenbildes von Philipp Stölzl und Heike Vollmer sind technische Präzision und das Zusammenspiel aller beteiligter Teams das Um und Auf. Eine Bühne im und am Wasser ist herausfordernd. So wird das Schwemmholz täglich von eigenen Betriebsbooten eingesammelt, und während jeder Vorstellung kommen Taucher zum Einsatz. Etwa wenn die Leiche des Grafen von Monterone in einem Sack ins Wasser geworfen wird. Die Taucher holen sie wieder herauf.
„Die größte Herausforderung ist, neben Wasser und Wetter, die Interaktion der einzelnen Bauteile mit den Darstellern. Denn die stehen ja immer genau dort, wo gerade nicht gespielt werden kann“, sagt Urstadt, während er für unser Foto auf Rigolettos Nase lehnt, die während der Aufführung vom Clowngesicht abgenommen wird und auf den Bühnenboden, Rigolettos Kragen, versetzt wird.
Drei Jahre Vorbereitungszeit brauchte die Entwicklung für das Zusammenspiel des „Leading Teams“. Erst wurde ein 3D-Modell von Rigolettos Kopf entwickelt, dann die Steuerungstechnik für die technischen Bewegungen der Hand.
„Das passiert alles in sehr enger Zusammenarbeit zwischen Regie, Technik und Künstlern und wird über Jahre weiterentwickelt. Man arbeitet sich richtig für jedes Bühnenteil heraus: erst kommt der Kopf, dann die Hand, der Kragen, auch den Ballon hat ein eigener Projektleiter jahrelang erarbeitet“, erklärt Michael Csar auf dem Weg von der Zuschauertribüne zur Seebühne. Unter 30 Sitzreihen sind hier übrigens 270 zusätzliche Lautsprecher installiert, die für ein räumliches Klangerlebnis sorgen. „Es ist oft schwer zu unterscheiden, ob das Gewitter jetzt echt ist oder nur im Stück“, lacht Csar.
Vom Wetter zur Poesie
„Wir haben immer einen direkten Draht zu den Wetterwarten, auch während der laufenden Vorstellung.“ Das Wetter am See ist dynamisch und kann sich plötzlich ändern. „Manchmal müssen wir aber auch gegen den Sonnenuntergang anspielen“, so der Betriebsdirektor. Die Aufmerksamkeit der Zuseher von einem Naturschauspiel zurück auf die Bühne zu lenken ist oft gar nicht so leicht. Heuer spielt erstmals sogar das Bühnenbild aktiv mit. Der 13 Meter hohe Kopf Rigolettos, das hohle, 35 Tonnen schwere Gesicht und die beweglichen 6 Meter langen Finger der Hände, die je 12 Meter hoch sind, kommentieren die Oper, dank Computersteuerung, mit. So verwandelt sich die Maske vom fröhlichen Clownskopf bis zum schrecklichen Totenschädel. Dass sich der gewaltige Kopf hebt, die Augen öffnet und schließt, der sich öffnende Mund als Bühne dient, und ein Riesenfinger Gilda emporheben kann, ist eine enorme technische Herausforderung. Auch alle Details auf der Bühne sind funktional, nichts bleibt dem Zufall überlassen, jeder Haken muss sitzen, jedes Geländer genau dort sein, wo es zu einem bestimmten Zeitpunkt gebraucht wird.
Wenn Rigoletto zum Beispiel der Kragen während des Fluchs platzt, sinkt der Kopf ins Wasser, die Bühne, auf der die Darsteller stehen, bricht in vier Teile auseinander, und alle müssen über eine schnell aufgebaute Brücke hin- und hergehen. Auch die Augen der Maske spiegeln Rigolettos Gefühle wider. So springen die Augäpfel mit 2,7 Meter Durchmesser sogar in den See, treiben im Wasser davon und hinterlassen leere Augenhöhlen, aus denen Seewasser auf die Bühne sprüht.
Wie lässt sich Francesco Maria Piaves Poesie für die Bühne umsetzen? „Wenn der Herzog, in der Dachkammer angekommen, singt, hier schläft man im Freien, dann wird das im Stück direkt umgesetzt. Er liegt singend in einer Hängematte hoch oben auf dem Kopf“, erklärt Csar. Und der Ballon, in dem Gilda entführt wird, sollte laut Regie in den Himmel steigen und Rigolettos Kopf beleuchten, wie der Mond. „Da ist die Technik gefordert. Wie bringt man LED mittig an? Das ist ein langes Herumexperimentieren“, erklärt wiederum der Technische Direktor.
Stunts, Taucher, Ballonpiloten
„Jeden Abend ist irgendetwas anders, technisch, szenisch, weil ein Darsteller ausfällt oder der Wasserstand höher ist und die Bühne überschwemmt“, so Urstadt. „Da muss man improvisieren, Szenen während der laufenden Vorstellung uminszenieren. Trends, die in anderen Häusern stattfinden, wie etwa Drehbühnen, gelten daher nicht für die Seebühne.“ Verständlich, denn manche Szenen erinnern an James-Bond-Filme, etwa wenn sich die Darsteller während der Vorstellung über die Brüstung ins Wasser werfen, Rigoletto einen Köpfler in den See macht oder die Gräfin Ceprano in ihrem Zirkuskleid ins Wasser fällt. Da sind Sicherheitstechniker gefragt.
„Natürlich haben wir Rettungs- und technische Taucher engagiert, die im Kostüm, mit Neopren-Anzügen darunter, mitspielen.“ Auch die Luftartisten Wired Aerial Theatre mit etwa 20 Stunt-Leuten werden täglich eingesetzt und übernehmen den Part, wo es für Sänger gefährlich wird. „Jede Truppe hat eine genaue Aufgabe. Gesteuert wird alles vom Technikpult aus, das mit einem digitalen Zwilling eine Kollisionskontrolle simuliert.“ Darsteller, die im Wasser landen, schwimmen oder tauchen zum Kragen Rigolettos zurück, wo es einen direkten Bühnenaufgang aus dem Wasser gibt. „Auch wenn die Nase des Clowns abmontiert wird, muss das ein Bühnenarbeiter machen, der in ein Kostüm schlüpft sowie ein Stuntman, der den Sänger sichert.“ Weitere gefährliche Szenen gibt es, wenn Gilda entführt wird, im schwebenden Ballon am Korbrand „Caro Nome“ singt, dabei lässig mit einem Bein wippt, und das alles in luftiger Höhe, 18 Meter über dem See – gesichert mit Seilen von einem Stuntman. Und wenn sie am Schluss mit dem Fesselballon in den Himmel fährt, erreicht dieser eine Höhe von bis zu 45 Metern.
Deshalb sind auch drei Ballonpiloten angestellt, die ständig mit den Wetterdiensten Kontakt halten, Helium und Korb überprüfen. „Ein Freilufttheater ist immer eine sensible Sache weil Naturgewalten mitwirken“, so Michael Csar und spielt dabei auch auf das Wasser an. Der Bodensee hat Trinkwasserqualität und ist auch das Wasserreservoir Stuttgarts. Deshalb muss die Produktion strenge Umweltauflagen erfüllen. So wird etwa Biorapsöl als Hydrauliköl eingesetzt, alle Bauteile werden außerhalb der Bühne gefertigt, damit kein Abfall ins Wasser gelangt. Und wenn doch etwas hineinfällt? „Dann holen das unsere Taucher wieder heraus. Dabei begegnen sie öfter einem 1,5 Meter langen Wels.
Leider dürfen wir den aber nicht herausfischen, denn das Fischereirecht unserer Bucht liegt seit den k. u. k. Zeiten bei einem Fischer, dem wir sogar den Fischereientgang abgelten müssen“, lacht Wolfgang Urstadt.
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