Amsterdam neu: Rotlicht und Rembrandt
Wenige profitieren vom Brexit. Wie Amsterdam. Internationale Konzerne beschämen die Briten mit dem Umzug ihrer Europazentralen von London in die niederländische Metropole. Asiatische Elektrogiganten wie Panasonic und Sony oder die mächtige Norinchukin-Bank verlassen London rechtzeitig vor dem EU-Austritt. Bereits ab kommender Woche ziehen fast 1.000 Angestellte der EMA, jener EU-Agentur, die europaweit für die Überwachung von Arzneimitteln zuständig ist, nach Amsterdam.
Immer mehr Menschen kommen ins Biotop der Grachten. Rund 18 Millionen Touristen sind es pro Jahr, eine Million mehr als die gesamte Bevölkerung der Niederlande. Unter den Besuchern auch renitente Partytouristen wie die britischen Junggesellinnenabschieds-Horden, die mittags schon so besoffen sind, dass sie nicht mehr wissen, wo ihre bloody Airbnb-Bude ist. Zuvor hat ihnen das Portal www.pissup.de exotische Cocktails und sexy Männer versprochen.
Kalifornische Kiffer
Aber auch viele Fußballfans, die im grellen Rot der Bordellfenster ihre Schlachtgesänge grölen, sind da. Oder kalifornische Kiffer, die nach dem ersten Space-Cake glauben, dass sie noch gar nichts spüren – nach dem zweiten allerdings nur noch eine vage Vorstellung davon haben, wer sie sind.
Liedermacher Hermann van Veen (am 30. März tritt er im Wiener Konzerthaus auf) hat schon lange kein zärtliches Gefühl mehr für den Alltag in Amsterdam: „Die Tauben scheißen Rembrandt weiß … Ne besoffene Frau lallt über den Platz, wird von einem Tandem zweimal überfahren … Ajax-Hooligans schlagen Autofenster ein, Gummiknüppel machen Überstunden … in der Altstadt gibt ein Jesusfreak stockalten Hippies Hallelujas und Giga Joints.“
Ob die Bürgermeisterin Femke Halsema auf van Veen gehört hat, weiß man nicht. Jedenfalls gilt seit Kurzem „schlechtes Benehmen hat einen hohen Preis“: Wer auf der Straße säuft, bezahlt 95, wer grölt oder pinkelt 240 Euro. Die resolute Politikerin setzte auch andere Maßnahmen gegen den Massentourismus: Den Airbnb-Exzessen hat sie den Kampf angesagt und nahm den Selfie-Touristen ihr Lieblingsmotiv: Auf dem etwas trostlosen Museumplein vor dem Rijksmuseum wurde vor ein paar Wochen der riesige I AMsterdam-Schriftzug abgebaut.
Gaffer am Strich
Und die Bürgermeisterin reagierte auch auf die Beschwerden der Legion von Sexarbeiterinnen: Immer mehr grölende Gaffer bevölkerten den legendären Amsterdamer Strich – ohne zu konsumieren. Jetzt wird alles anders. Der Rotlichtbezirk wird durch neu errichtet Bordelle am Stadtrand entlastet. Mit mehr Platz und Diskretion.
Trotz aller Probleme ist Amsterdam eine wunderbare Stadt. Liberal, lebendig und weltoffen. Tolerant, aber auch traditionsreich, kunstsinnig, aber auch kommerziell, hochherrschaftlich-elegant, aber auch allem Neuen gegenüber aufgeschlossen. Eine kleine, überschaubare Metropole mit Geschäften, Galerien und Museen, die eine Brücke von der goldenen Vergangenheit in die multimediale Zukunft schlagen. Vom Van-Gogh-Museum, wo nicht nur die Meisterwerke des einsamen Exzentrikers zu bewundern sind, sondern auch seine Briefe und Malutensilien, bis zum renommierten Stedelijk Museum für moderne Kunst.
Fröhlich und entspannt
Während der 1970er-Jahre war Amsterdam Anziehungspunkt für Hippies, Hausbesetzer und Aussteiger aus aller Welt. Liberale Politiker setzten die Legalisierung sanfter Drogen durch und jede Randgruppe konnte auf ihre Art glücklich werden. In einer fröhlichen, entspannten Atmosphäre. Von diesem Ruf lebt Amsterdam auch heute noch – nicht nur Grachten und Tulpen, Museen und Prachthäuser haben das Image der Stadt geprägt.
Mit rund 7.500 denkmalgeschützten Bauten hat Amsterdam eine der höchsten Dichten an beeindruckenden Bau-Monumenten in Europa: Das historische Ensemble des giebelgeschmückten Grachtenrings ist auch während des Weltkriegsbombardement weitgehend verschont und fast komplett erhalten geblieben. Deshalb wurde vor 20 Jahren auch die gesamte Innenstadt unter Denkmalschutz gestellt.
Während des Zweiten Weltkriegs formierte sich massiver Widerstand gegen die deutschen Besetzer, der allerdings die fast vollständige Auslöschung der jüdischen Gemeinde nicht verhindern konnte. Anne Frank, ein jüdisches Mädchen aus Deutschland, versteckte sich zwei Jahre lang vor den Nazis in einem Hinterhaus an der Prinsengracht 263 und hielt Gedanken und Gefühle in ihrem berühmten rot-weiß-karierten Tagebuch fest. Seit 1960 steht an der Stelle des geheimen Verstecks ein Museum.
Sumpfiges Fischerdorf
Der Ursprung Amsterdams, das sich über fast 100 Inseln erstreckt, liegt in einem sumpfigen Fischerdorf an der Mündung des Flusses Amstel in das Ijsselmeer, heute ein mehr als 50 Kilometer langer See, damals jedoch noch ein Arm der Nordsee. Als die Stadt aus allen Nähten zu platzen drohte, begann man im 17. Jahrhundert den Grachtenring anzulegen, an dem reiche Kaufleute prachtvolle Domizile mit angeschlossenen Lagerhäusern errichten ließen. Gleichzeitig erlebte auch die Kunst ein goldenes Zeitalter – Rembrandts „Nachtwache“ bewundern heute im Rijksmuseum Millionen Touristen.
Ab Juli plant man hier eine drei Millionen teure, einzigartige Aktion: Die „Nachtwache“, das kostbarste Kunstwerk der Niederlande, hat seine Leuchtkraft verloren und wird zum heurigen 350. Todestag Rembrandts restauriert: Das 16 Quadratmeter große Gemälde wird auf eine Staffelei gestellt. Drumherum errichtet man ein gläsernes Atelier, in dem das Bild vor den Augen der Besucher restauriert wird. Zuletzt wurde das Meisterwerk 1976 ausgebessert, als ein psychisch verwirrter Mann es mit Messerstichen beschädigt hatte.
Amsterdam ist kein verstaubtes Freilichtmuseum – sondern eine lebendige, turbulente Stadt, in der Individualismus und Vielfalt dominieren. Man ist allem Neuen aufgeschlossen. Fast die Hälfte der rund 850.000 Einwohner ist jünger als 35 Jahre, mehr als 40 Prozent der Amsterdamer stammen nicht aus den Niederlanden. In den Restaurants werden äthiopische, chilenische und kambodschanische Spezialitäten angeboten. Und natürlich auch traditionelle Gerichte wie Stamppot – Erdäpfelbrei mit Wurst oder Erwtensoep – Erbseneintopf mit Speck: Jahrhundertelang galt im Calvinismus jede Art von Delikatesse als überflüssig, sogar als sündig.
Wer bremst, verliert
Die Radfahrer haben in Amsterdam längst die Macht übernommen. Mehr als 60 Prozent aller Wege werden mit dem Rad zurückgelegt. Es ist ein ewiges Spiel: Erst kurz vor der Motorhaube stoppen die Radfahrer, um Autofahrer passieren zu lassen. Und Fußgänger betrachten sie als bewegliche Slalomstangen. Alles fließt – wer in Amsterdam bremst, verliert. Um sich nicht an jeder Brücke über die Grachten neuen Schwung erstrampeln zu müssen, flitzen die Radfahrer rasant auf ihren Fiets, den Fahrrädern, durch die engen, kopfsteingepflasterten Schluchten der Altstadt.
Amsterdam ist schräg. Mit verzerrten Treppen und schiefen, nach vorne geneigten Häuserfronten. Die verwinkelten Giebelhäuser der Altstadt wirken, als ob sie betrunken wären oder als hätten sie Riesen während der letzten Jahrhunderte verbogen. Die schmalen Häuser scheinen sich den Menschen auf der Straße zuzuwenden. Davon lebt die Tischlerin Karin van der Lee, die schiefe Tische, Türen und Kästen produziert. Denn von IKEA passt hier nichts.
Bevor das Wasser kommt
Koen Olthuis, Vordenker einer neuen Architekten-Generation, profitiert vom Klimawandel: Bald könnte es durch den steigenden Meeresspiegel, Starkregen und Sturmfluten in drei Vierteln aller wachsenden Megametropolen Land unter heißen – denn sie liegen in Deltagebieten großer Flüsse. Doch bevor das Wasser kommt, meint Olthuis, gehen wir zu ihm. Ein revolutionärer Ansatz, bei dem man ganze Städte schwimmen lässt.Das ist allerdings in den Niederlanden, wo rund ein Viertel des Landes unterhalb des Meeresspiegels liegt, nichts Neues: Schon vor Jahrhunderten schuf man riesige Kanalnetze und Pumpensysteme, um Überschwemmungsgebiete trockenzulegen. Bisher baute man Dämme und Deiche, besser sei es, findet Visionär Olthuis, schwimmende Häuser zu bauen – denn wenn Gebäude auf dem Wasser treiben, kann ihnen auch ein schwankender Wasserstand nichts anhaben …
Vor Tahiti beginnt man ab 2022 eine komplette Stadt auf den Ozean zu setzen, die sich über schwimmende Algenfarmen und Hydrokultur selbst versorgt. In London überlegt man, während des Umbaus der Houses of Parliament die Regierung in einem schwimmenden Saal auf der Themse unterzubringen. Und auch in Paris sollen bald auf der Seine floating houses entstehen.
Überlebenswichtige Zukunftspläne, deren Grundlagen in den Niederlanden entwickelt wurden. In Amsterdam, wo mit den schwimmenden Häusern des künstlichen Archipels Ijburg im Osten der Stadt aus Visionen längst Realität wurde. In der neuartigen Wasserwelt des Koen Olthuis, einer lebenswerten Symbiose von Hausbooten und schwimmenden Häusern.
ESSEN
De Kas
Dieses ehemalige Gewächshaus im Frankendael Park ist eine außergewöhnliche Location. Hier werden frisch geerntete Lebensmittel aus dem eigenen Anbau verkocht, das Service ist herzlich und unprätentiös. Täglich findet hier eine Inszenierung statt, die man sich gönnen sollte.
https://www.restaurantdekas.nl/
Scheepskameel
Ein neues Szene-Lokal, in dem der Küchenchef eine klare Linie vorgibt: Es gibt fast ausschließlich regionale und saisonale Speisen. In der puristischen Atmosphäre eines ehemaligen Marinegebäudes an der Waterkant. Das täglich wechselnde Speisenangebot huldigt vor allem Gemüse und Fisch.
https://scheepskameel.nl/
The Seafood Bar
Von diesem Lokal wird man von der üppigen, frischen Auswahl an Fisch- und Meeresfrüchten schon von außen wie magisch angezogen. Und drinnen weiß man nicht mehr in welche Langustenschwänze oder Hummerbrüstchen man zuerst hineinbeißen soll ... Frischer, einfacher und authentischer können Meeresfrüchte nicht auf den Teller kommen.
https://www.theseafoodbar.com/
Dignita-Café
Dignita ist der hippe Treffpunkt in Amsterdam. Und das gleich an zwei Locations. Beide im Herzen der Stadt – einmal hinter dem Hermitage Museum, einmal im Vondelpark. Seit 2015 werden hier köstliche All-Day-Brunch-Menüs geboten. Frisch, knackig, mit viel Liebe zum Detail und Zutaten aus der Region.
https://eatwelldogood.nl/
SCHLAFEN
The Dylan
Edles Designhotel mit 41 Zimmern in einem eleganten Grachtenhaus aus dem 17. Jahrhundert. Die Gäste haben die Wahl zwischen sieben verschiedenen Zimmerstilen, von klassisch-antik bis asiatisch-minimalistisch.
https://www.dylanamsterdam.com/
Pillowshotel
Dieses kleine Boutique-Hotel nahe dem Vondelpark wurde vor Kurzem komplett renoviert und präsentiert sich jetzt mit dreißig very stylish eingerichteten Zimmern und Suiten.
https://www.pillowshotels.com/
Lloyd Hotel
Das Kunst- und Designhotel in einem prachtvollen Gebäude auf den östlichen Hafeninseln hat seinen Namen von der einstigen Emigrantenherberge der Schifffahrtsgesellschaft Lloyd.
https://www.lloyd.nl/
Seven Bridges
Von diesem 300 Jahre
alten, kleinen Hotel kann man das Treiben auf sieben Grachten-Brücken beobachten. Jedes der nur elf Zimmer ist individuell und geschmackvoll mit Antiquitäten und Kunstgegenständen ausgestattet.
http://www.sevenbridgeshotel.nl/
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