Achseltalent

Achseltalent
Ein lukratives Fotoshooting kann auch ganz einfach sein. So wie dieses hier. Im Mittelpunkt: meine Achselhöhle. Was man dafür braucht? Vor allem Durchhaltevermögen.

Mit 18 übersiedelte ich zum ersten Mal nach New York, um auf dem amerikanischen Markt mein Glück als Model zu versuchen. Da ich nicht komplett von meinen Agenturen in Europa abgekoppelt war, erreichte mich noch in der Jetlag-Phase eine Anfrage für einen Auftrag in Deutschland: Ein Beauty-Shoot in Hamburg, nur ein Arbeitstag. Um den Kunden aber restlos von mir zu überzeugen – immerhin waren auch noch andere Models im Rennen – sollte ich aktuellste Polaroids von mir schicken. Die Anforderungen für diese Schnellschüsse waren genau vorgegeben. Headshot, Profile, Close-up, alles bitte ungeschminkt.
Zwei Wochen später kam die höchst erfreuliche Nachricht: Ich war gebucht für den überaus lukrativen Job und sollte nur für diesen einen Arbeitstag von New York nach Hamburg eingeflogen werden. Der großzügige Kunde bezahlte auch die Flüge NY-Hamburg-NY und eine Nacht in einem Luxushotel an der Alster.
Vom Flughafen wurde ich direkt ins Studio chauffiert, meine Hoffnung war, dass Make-up und Styling die Beauty aus mir machen würden, die sich der Kunde geleistet hatte. Das Marketingteam des Kosmetik-Konzerns erwartete mich, Assistenten schwirrten umher, es herrschte emsige Betriebsamkeit am Set. Ich wurde in Lingerie gesteckt, der norwegische Top-Fotograf beschrieb mir zum ersten Mal die Anforderungen des Shootings: „Sophie, heb deinen Arm hoch“, sagte er und hielt sein Objektiv dicht darunter. Die Werbung sei für ein populäres Deodorant. Auf den Fotos sei also nur meine Achselhöhle zu sehen. Ausschließlich. Weder mein Gesicht noch irgendein anderer Körperteil. Genauso wenig wurde irgendein Talent von mir erwartet. Nur Durchhaltevermögen. Ich verbrachte einen Tag damit, meinen Arm hochzuklappen, meine rechte Achsel (auch da hat man seine Schokoladenseiten) „lächelte“ in die Kamera, und ich hatte Muße, darüber zu sinnieren, warum sich in ganz Hamburg keine ähnlich jugendlich-adrette Achselhöhle hatte finden lassen.
Am nächsten Tag trat ich, noch leicht verwirrt, meine lange Reise zurück nach New York an. Während meine rechte Achselhöhle in Hamburg noch verkaufswirksam per Photoshop geschönt wurde. Vermutlich nur deshalb hat mich bis heute auch noch niemand auf mein Achsel-Porträt angesprochen.

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