Himmlische Mission

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Ein Jahr Papst Franziskus. Der erste Lateinamerikaner in diesem Amt und der erste, der sich glaubhaft für die gerechtere Verteilung des Wohlstands einsetzt. Ein Resümee des Publizisten und kritischen Katholiken Hubert Feichtlbauer.

Am 13. März 2013 gewann in der Lotterie von Buenos Aires, der "schönsten Stadt des Universums" (© freizeit), das Los mit der Endnummer 8235. Noch am selben Abend kam jemand drauf, dass dies die Mitgliedsnummer von Erzbischof Jorge Mario Bergoglio im Club Atlético San Lorenzo war, einem der Top-Five-Vereine im argentinischen Fußball. Kardinal Bergoglio wurde an eben diesem Tag in Rom zum Papst gewählt. Zufall? Zeichen? Zauberstück?

Viel später erst war zu erfahren, dass der Katholikenchef von der fernen Copacabana schon bei der Papstwahl 2005 dem damaligen Sieger knapp auf den Fersen gewesen war. Aber der Herr aller Päpste brauchte den Deutschen noch, um ihn zu einer historischen Tat zu verführen: Papst Benedikt geb. Joseph Ratzinger trat am 11. Februar 2013 zurück, weil er seine Kräfte schwinden fühlte. Auch bei Papstwahlen kann ein zweiter Anlauf gelingen. Das Produkt schien schon am ersten Tag gelungen. "Buona sera" statt eines Bibelspruchs, Segen vom Volk erbeten und nicht umgekehrt, Heimfahrt mit seinen Amtsbrüdern im Bus, auch in der Folgezeit Kleinautos statt Limousinen und Papamobilen, Verbleib im Gästehaus Santa Marta, Frühstück mit anderen Bewohnern ("Darf ich mich zu Ihnen setzen, Heiliger Vater?" – "Aber bitte, Heiliger Sohn!"), Rückbau von Liturgie-Exzessen, verbale Donnerwetter gegen "Klerikalismus" und "Karrierismus", Titelsucht und Speichelleckerei."Für Antiklerikale wird es jetzt schwieriger", seufzte ein Schriftsteller. "Ein Wunder der Bescheidenheit in einer Ära der Eitelkeit", befand Elton John. Nicht nur das Time-Magazin beförderte Papst Franziskus zur Person des Jahres, sondern auch die Pop-Illustrierte Rolling Stone.

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Übereifrige italienische Abgeordnete gingen (ein paar Tage lang) zu Fuß ins Parlament, der Senatspräsident erschien in Jeans. "The times they are a-changin", bemühte das einstige Zentralorgan der 1968er Studentenrevolution Bob Dylan. Nach einem Jahr wird der Zampano im Vatikan schon nüchterner gesehen. Nur ein Pointenschleuderer und Gestenakrobat? Wird er etwas ändern in der katholischen Kirche? Ändern wollen? Ändern können? Sind die überraschenden Worte und Gesten eine gezielte Vorbereitung von Taten? Oder vielleicht nur Ablenkung, Propagandanebel über gewollter oder erzwungener Tatenlosigkeit? Er selbst sagt: Neuen Einstellungen sollen neue Strukturen folgen. Dogmen wird er keine ändern. Aber vielleicht "im Kontext" anders auslegen als bisher? Dafür hat, so gut wie unbeachtet, schon Benedikt XVI. in einer "Nota" (Leitlinie) 2001 eine theoretische Brücke gebaut, aber nie selbst überschritten. Ihm fehlte zu vielem nicht nur Kraft, sondern auch Mut. Auch Benedikt wollte die Vatikanbank reformieren, kam aber nicht weiter. Einige spektakuläre Umbesetzungen im Vatikan-Personal scheute Franziskus nicht, den traditionalistischen Ratzinger-Nachfolger als Präfekt der Glaubenskongregation aber, Erzbischof Müller, bestätigte er im Amt – zur Beruhigung oder Bestätigung des Bremserflügels? Der neokatechumenalen Erneuerungsbewegung hat er als argentinischer Bischof misstraut – jetzt schätzt er sie: Beweis für Lernfähigkeit oder Kompromisslerei?

Was tut ein Papst, der den ersten Tag im Amt ist? Er bezahlt seine Hotelrechnung selbst. Das hat auch damit zu tun, dass Franziskus eine Kirche will, die sich anders präsentiert als bisher

Zur Vermeidung künftiger Missbrauchsfälle forderte schon Kardinal Ratzinger von allen Bischofskonferenzen strenge Richtlinien – die italienische hatte bei seinem Rücktritt als Papst noch keine. Anzeigen kinderschändender Priester beim Staat hatte Ratzinger noch 2001 zu verhindern versucht – aber auch Bergoglio in Argentinien vermieden. Als Papst setzte er umgehend eine Untersuchungskommission ein, was der UNO freilich noch zu wenig ist. Von Abtreibung, Verhütung und Homosexualität müsse man nicht immer reden, sagte er, die Welt kenne den kirchlichen Standpunkt. Dass er ihn ändern würde, hat er nicht versprochen. Unüberlegt aus der Hüfte schießt Franziskus nicht. In manchen Streitfragen lässt er Gesinnungsfreunde vorpreschen. Deutsche Bischöfe durften schon mehrmals laut über eine höhere Wertschätzung wiederverheirateter Geschiedener philosophieren. Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin durfte das frühe Christentum als Orientierungsziel aller Reformen erwähnen. Damals gab es noch keinen Pflichtzölibat und keinen Alleinherrscher Papst!Sicher ist: Franziskus will eine Kirche, die sich anders präsentiert als bisher. Benedikt wollte ihre Identität als Hüterin unaufgebbarer Wahrheit gegen Relativismus und Säkularisation (seine Lieblingssündenböcke) stärken.

"Ein Wunder der Bescheidenheit in einer Ära der Eitelkeit." Elton John

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VATICAN CITY, VATICAN - MAY 01: Pope Francis comforts a child as he arrives in St. Peter's Square for his Weekly Audience on May 1, 2013 in Vatican City, Vatican. Marking the feast of St Joseph the Worker and World Labor Day today, the Pontiff launched an urgent appeal to Christians and men and women of goodwill worldwide to take decisive steps to end slave labor. (Photo by Franco Origlia/Getty Images)

Franziskus nimmt die Welt, wie sie ist und möchte in ihr eine "arme Kirche" sichtbar machen, die "wie ein Feldlazarett nach der Schlacht" den Menschen Hilfe und Heilung anbietet und nicht als "Babysitterkirche" fromme Lieder singt und Schnuller verteilt.Schrankenlosen Kapitalismus haben alle Päpste seit 150 Jahren verurteilt – aus einer Schreibtischperspektive. Wenn Franziskus die "Tyrannei eines vergötterten Marktes" pfählt, weiß er aus persönlicher Erfahrung, wovon er spricht. Da brauchen Freunde der in Mitteleuropa seit 1945 praktizierten sozialen Marktwirtschaft nicht vor Schreck aus ihren Kirchenbänken zu fallen: Der lateinamerikanische Papst erwähnt diese nicht, weil er sie nicht kennt. Und eine arme Kirche ist für ihn nicht nur eine mit weniger Protz und Prunk, sondern vor allem auch mit weniger – nicht zuletzt päpstlicher – Macht.Machtteilung ist das Schlüsselwort dieses Pontifikats. Franziskus hat schon mit der Berufung eines achtköpfigen Beratergremiums aus allen Erdteilen dem vatikanischen Zentralismus den Krieg erklärt. Bischöfe und Bischofskonferenzen sollen sogar eine "gewisse Lehrautorität" von Rom zurückerhalten. (Umso weniger werden Diözesen künftig Bischöfe schlucken, die nicht willkommen sind.) Die katholische Kirche soll auch von anderen, z.B. orthodoxen Kirchen lernen. In Buenos Aires hatte Bergoglio einen evangelischen Generaldirektor der katholischen TV-Station bestellt.Die Kirche soll sich nach Vorstellung des Papstes den Menschen – allen Menschen, auch den nicht oder kaum glaubenden – nicht mit Katechismus, Kodex und Krummstab nähern, sondern mit verständnisvollem Herzen. "Die Hirten sollen wie ihre Schafe riechen": Das war kein Herzenswunsch von Benedikt! Ja zur Frauenweihe ist keines zu erwarten, wohl aber eine Änderung des kirchlichen Gesetzbuches, das derzeit Entscheidungsrechte geweihten Amtsträgern vorbehält. Die alte Lehre des Thomas von Aquin, Sünde sei Handeln gegen das gebildete Gewissen, wird neu in den Tabernakel gestellt. Diskussionen in der Kirche werden dennoch nicht verebben. Viele Menschen werden sich mit Vergebung, weil sie am Ideal scheitern, nicht zufriedengeben und sich fragen, ob das heutige kirchliche Idealbild etwa von manchen Menschenrechten – Würde der Frau, Sexualität, Ehe – noch als Idealbild taugt.

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