„Die Versorgungslücken werden immer größer“

Robert Lasshofer, Generaldirektor der Wiener Städtischen
Robert Lasshofer, Generaldirektor der Wiener Städtischen, über Vorsorgelücken durch die niedrigen Zinsen, das Vernachlässigen der eigenen Person und private Gesundheitsvorsorge.

Die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank stellt die Vorsorge der Österreicher vor neue Probleme: Die Pensionen sinken und am Sparbuch lässt sich aufgrund der niedrigen Zinsen kaum noch Geld zusammensparen. Robert Lasshofer, Generaldirektor der Wiener Städtischen, spricht im Interview darüber, welche Wege aus der Zinsfalle sich bieten und weshalb die Österreicher immer öfter privat für ihre Gesundheit vorsorgen.

Welche Auswirkungen hat die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank auf das Thema Vorsorgen?

Robert Lasshofer: Mit der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank ist das Schließen von Versorgungslücken generell schwieriger geworden. Denn angesichts der extrem niedrigen Zinsen werden sie im Alter größer. Viele stehen vor einem Doppeldilemma: Zum einen werden die staatlichen Pensionen künftig geringer ausfallen, zum anderen kommt durch die Nullzinspolitik beim Ansparen fürs Alter weniger zusammen. Einen Ausweg aus dieser Situation bietet die fondsgebundene Lebensversicherung, die die Chancen ermöglicht, von den Entwicklungen am Kapitalmarkt zu profitieren – allerdings, und das muss man betonen, zu einem mitunter höheren Risiko.

Welchen Stellenwert hat aus Ihrer Sicht Vorsorge in Österreich generell?

Wir Österreicherinnen und Österreicher versichern unser Hab und Gut besonders gern, pointiert gesagt, wir schützen unsere Autos vor Kratzern und Dellen, unsere Wohnungen vor Wasserschäden, aber unsere eigene Person vernachlässigen wir. Im Speziellen denke ich hier an zentrale Bereiche wie eine private Unfallversicherung, das Risiko der Berufsunfähigkeit oder auch das große Thema Pflege. Das können Sie im internationalen Vergleich gut ablesen: Während Österreich pro Kopf in der Sachversicherung ein ähnliches Prämienniveau wie Westeuropa aufweist, beträgt es in der Personenversicherung mit 600 Euro pro Jahr nur rund die Hälfte. Da haben wir sichtlich noch viel Nachholbedarf.

Wo sehen Sie hier den höchsten Bedarf?

Zur Vorsorge gehört nicht nur die finanzielle Absicherung im Alter, sondern auch eine private Unfallversicherung, die finanzielle Folgen eines Freizeitunfalls abfedert. Immerhin werden fast 600.000 Personen pro Jahr bei ihren Freizeitaktivitäten und im Haushalt verletzt. Die gesetzliche Sozialversicherung kommt natürlich für die Behandlungskosten auf, die Kosten für Folgebehandlungen oder die finanziellen Einbußen aufgrund einer bleibenden Behinderung müssen entweder selbst getragen werden oder die private Unfallversicherung übernimmt sie. Und nicht zu vergessen bei der Vorsorge der eigenen Person ist das Megathema Gesundheit: Dadurch, dass wir immer älter werden, stößt das an sich sehr gut funktionierende Gesundheitssystem in Österreich an seine Grenzen.

Was wir schon jetzt an den langen Wartezeiten bei Ärzten merken!

Nicht nur die Wartezeiten werden länger, auch die Zahl der Wahlärzte nimmt, speziell im urbanen Raum, deutlich zu. Das hängt in erster Linie damit zusammen, dass die Gesundheitsvorsorge immer mehr in den Mittelpunkt der Österreicherinnen und Österreicher rückt. Kurz gesagt, man will verstärkt sein kostbarstes Gut schützen – nämlich die eigene Gesundheit und die seiner Liebsten. Österreich hat grundsätzlich ein gutes öffentliches Gesundheitswesen. Viele wollen jedoch mehr als die gesetzliche Krankenversicherung bietet, zum Beispiel ein Einbettzimmer im Krankenhaus oder einen raschen Termin bei einer Wahlärztin bzw. einem Wahlarzt und attraktive Angebote zur Gesundheitsprävention. Zusätzlich bemerken wir einen Trend zur individuell besten Behandlung, zur zweiten Meinung und den Wunsch, dass diese nicht durch die Vorgaben des staatlichen Gesundheitswesens beschränkt ist. Im Vordergrund steht dabei der Wunsch, dass sich der Arzt Zeit nimmt.

Das Thema Berufsunfähigkeit findet in Österreich kaum Beachtung. Sind die Österreicher davon weniger betroffen?

Die staatliche Versorgung in Österreich ist grundsätzlich gut, aber es gibt noch immer gefährliche Lücken im System. Das Risiko durch eine psychische oder physische Erkrankung berufsunfähig zu werden, ist hoch. Besonders psychische Erkrankungen sind aufgrund des immer größeren Drucks in unserer Arbeitswelt weiter auf dem Vormarsch. Gleichzeitig steigen aber die Eintrittsbarrieren in die staatliche Invaliditäts- und Berufsunfähigkeitspension: Jährlich werden rund zwei Drittel aller Anträge abgelehnt.

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