„Notariate wird es auch in 150 Jahren geben“

„Notariate wird es auch  in 150 Jahren geben“
Vor 150 Jahren wurden die Aufgaben des Notariats in einem eigenen Berufsrecht festgelegt. Vieles davon hat sich im Laufe der Zeit weiterentwickelt. Michael Umfahrer, Präsident der Österreichischen Notariatskammer, zieht im Interview nicht nur Bilanz, sondern wirft auch einen Blick in die Zukunft.

Für die 528 österreichischen Notar:innen ist 2021 ein besonderes Jahr, wird doch der 150. Geburtstag des Berufsstandes gefeiert ...
Michael Umfahrer:
Das ist richtig. Am 25. Juli 1871 hat Kaiser Franz Josef die neue Notariatsordnung im Reichsgesetzblatt Nr. 161 unterschrieben. Damit wurden erstmals die Aufgaben des Notariats in einem eigenen Berufsrecht festgelegt.

Welche Aufgaben waren das?
Im Wesentlichen haben sie das Grundbuch, Vermögensrecht und die Funktion des Gerichtskommissärs umfasst – wie auch heute noch.

Wo liegen eigentlich die Wurzeln des Notariats?
Ursprünglich waren Notare Schnellschreiber im Römischen Reich, die Verträge, Vereinbarungen und ähnliches aufzeichneten.

Das heißt, diese Notare waren keine Juristen?
Genau. Aber sie sowie die Aufzeichnungen galten als besonders vertrauenswürdig. Im Mittelalter hat sich der Beruf weiterentwickelt: Im weltlichen Bereich wurden Notare beispielsweise durch Kaiser Friedrich Barbarossa in oberitalienischen Städten wie Bologna oder Florenz stärker etabliert. Und auch im kanonischen Recht wurden sie gestärkt, indem ihnen erlaubt wurde, öffentliche und vollstreckbare Urkunden zu errichten.

Wie ging es weiter?
Nachdem 1495 Versuche, den Beruf auf ein einheitliches Fundament zu stellen, scheiterten, haben sich im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation viele Notariatsverordnungen entwickelt. 1850 schließlich wurde für das Österreichische Kernland eine einheitliche Notariatsordnung erlassen, Notare wurden damals übrigens erstmals als Gerichtskommissäre bestellt. 1871 schließlich folgte die Notariatsordnung für die gesamte Monarchie, die die Basis für unseren heutigen Stand ist.

Ab wann mussten Notare Juristen sein?
Ab 1810. Diese Vorgabe kommt übrigens aus der französischen Notariatsordnung, die nach den Napoleonischen Kriegen in den von Frankreich besetzten Gebieten des Reichs eingeführt worden war. Sie hat schließlich 1850 beziehungsweise 1871 Eingang in die jeweilige Notariatsordnung gefunden.

„Notariate wird es auch  in 150 Jahren geben“

Michael Umfahrer, Präsident der ÖNK, ist davon überzeugt, dass der Bedarf an juristischer Beratung weiter zunimmt.

…es österreichweit 528 Notar: innen gibt?
...Notare vom Gesetz – ähnlich wie Richter – verpflichtet sind, unparteiisch zu sein?
…in cyberDOC knapp 13 Millionen Dokumente, davon mehr als 2,7 Millionen notarielle Urkunden, gespeichert sind?
... jährlich aus cyberDOC rund 800.000 Urkunden dem Grund- und Firmenbuch zur Verfügung gestellt werden?
...im elektronischen Testamentsregister aktuell mehr 2,3 Millionen Testamente registriert sind?

Etwas, worauf die österreichischen Notar:innen sehr stolz sind, ist ihre Unparteilichkeit …
Absolut. Unparteilichkeit, Unabhängigkeit und das Bestreben, präventiv Streit zu vermeiden, liegen in unseren Genen. Das gibt es ausschließlich im lateinischen Notariat, das es nur in Kontinentaleuropa gibt. Man hat erkannt, dass es Sinn macht, wenn neben Anwält:innen und Gerichten noch eine präventive Säule existiert. Diese drei Eigenschaften ziehen sich übrigens wie ein roter Faden durch die 150 Jahre: Während sich unsere Tätigkeit an die Anforderungen und Gegebenheiten der Zeit angepasst hat, sind Unparteilichkeit, Unabhängigkeit und Prävention eine wichtige Konstante.

Inwiefern haben sich Ihre Tätigkeiten verändert, ein Kaufvertrag ist doch nach wie vor ein Kaufvertrag?
Das ist schon richtig. Aber wir verfassen ja nicht nur die Verträge. Bevor es soweit kommt, beraten wir die Klienten und erarbeiten mit ihnen gemeinsam maßgeschneiderte, zukunftsorientierte Lösungen. Angesichts der immer komplexer werdenden rechtlichen Rahmenbedingungen, die ein Laie schon gar nicht mehr durchblickt, kommt der Beratung immer mehr Bedeutung zu. Wir müssen allerdings noch mehr daran arbeiten, dass der Aspekt der Beratung in der Bevölkerung stärker wahrgenommen wird. Parallel dazu hat sich die Technologie rasch weiterentwickelt.

Österreichs Notar:innen gelten ja als Vorreiter der Digitalisierung …
Das sind wir definitiv. Das elektronische Testamentsregister, in dem heute mehr 2,3 Millionen Testamente registriert sind, gibt es seit fast 50 Jahren. 2000 wurde cyberDOC, das elektronische Urkundenarchiv des österreichischen Notariats, eingerichtet, das das erste e-Archiv war und seit 2017 können GmbHs auch digital im Notariat gegründet werden. Im Frühjahr 2020 haben wir es binnen kürzester Zeit ermöglicht, dass alle notariellen Tätigkeiten außer der Errichtung von Testamenten und letztwillige Verfügungen sowie das Bekanntmachen von Erklärungen und die Zustellung von Urkunden an Dritte, während der Pandemie auch digital abgewickelt werden können. Seit heuer ist das dauerhaft möglich. Damit sind wir die einzigen Notare in Europa, die die Digitalisierung voll inhaltlich umgesetzt haben.

... und damit weit vom Klischee des Notars entfernt, das immer noch herumgeistert ...
Mit den „alten“ Notaren verbindet uns nur der bereits erwähnte rote Faden. Natürlich sind wir nach wie vor Ansprechpartner und Berater bei Fragen aus dem Familien-, Erb- und Immobilienrecht sowie Unternehmens- und Gesellschaftsrecht und begleiten Menschen rechtlich in ihren entscheidenden privaten und beruflichen Lebensphasen. Aber dabei haben wir uns Neuem nie ver-schlossen.

Wird es in 150 Jahren noch immer Notar:innen geben?
Notare wird es auch dann geben. Nicht zuletzt deshalb, weil die Rechtsentwicklung immer komplizierter und schneller passiert und ein Mensch allein damit überfordert ist. Die Beratung wird somit noch stärker in den Vordergrund treten als bisher.

Wenn Sie sagen, einer allein ist überfordert – bedeutet das, dass sich Notariate künftig stärker spezialisieren müssen?
Teils ist das bereits der Fall, der Trend wird sich aber verstärken. Damit wir diesem Trend Rechnung tragen können, brauchen wir größere Kanzleien. Das heißt, wir brauchen Erleichterungen, um Partnerschaften gründen zu können. Das ist derzeit wegen der Sprengelgrenzen eher schwierig.

Gibt es diesbezüglich Bestrebungen?
Ja, wir haben kürzlich am Delegiertentag Vorschläge für eine Reform des Berufsrechts beschlossen, die wir an das Justizministerium herantragen werden.

Haben Sie einen Geburtstagswunsch für das österreichische Notariat?
Ich würde mir wünschen, dass in der breiten Bevölkerung die Bedeutung des Notariats für die Rechtssicherheit, den Rechtsfrieden und den Rechtsstaat, und somit auch für den sozialen Frieden, mehr wahrgenommen und anerkannt wird als bisher.

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