Können Alltagsgegenstände Kunst sein?
„Das Fasten hat ein Ende: Endlich wieder Kunstgenuss!“, denke ich mir, als ich Ende März das Bank Austria Kunstforum Wien besuche. Intermittierendes Fasten trifft es wohl eher, es steht die Osterruhe und damit eine erneute Schließung an. Aber nach einem Jahr Pandemie lässt sich das Kunstforum nicht davon abhalten, Daniel Spoerris Meisterstücke ans Publikum zu bringen, und konzentriert sich auf das hervorragende Digitalangebot.
Kunstgegenstand Essen
Die uns täglich umgebende Dingwelt und das Essen als sozialer Akt: Was Daniel Spoerri in seinem Werk thematisiert, steht bei mir – noch mehr im Lockdown – hoch im Kurs. Spoerris Werke stammen aus einer Spanne von 70 Jahren. Was hat sich geändert in dieser Zeit? Sind unsere heutigen Tafeln ähnlich gedeckt wie damals? Ist Alltägliches überhaupt Kunst? Wie verändert sich unser Blickwinkel im Museum? Die Antworten auf diese Fragen will ich bei der Ausstellung finden.
Ist nicht die Kunst ein Hinweis auf die Weise, wie man die Welt sieht, immer wieder neu, und in jeder Zeit anders?
In die Falle gegangen
Als Erfinder des „Fallenbildes“ oder „Tableau piège“ hat sich Spoerri in die Kunstgeschichte eingeschrieben: Er fixiert vorgefundene Situationen und kippt sie von der Waagerechten in die Senkrechte. Und zwar ganz unaufgeräumt: Rotweinränder, Schlieren von Tomatensauce, Zigarettenstummel und heruntergebrannte Kerzen sind stumme Zeugen einer leblaften Restaurantszene.
Später bringt Spoerri Kunst und Essen in seiner „Eat Art“ noch näher zusammen. Er gründet ein Restaurant, er erschafft Kunstwerke aus Lebensmitteln wie Brot, Lebkuchen oder Schokolade. Es ist seine persönliche Art, Ewigkeitswert, Verdaulichkeit und die Kunst als Konsumgut zu hinterfragen.
Begegnungszone Museum
Die BesucherInnen des Bank Austria Kunstforum Wien, die sich an diesem Märznachmittag nicht tummeln, sondern respektvoll Abstand halten, machen deutlich: Museen ermöglichen Begegnungen. Begegnungen mit Menschen, die sich ebenfalls an Spoerris Werken erfreuen. Begegnungen mit einfachen Nudelradln, Gemüseschälern und Weinflaschen, die in der künstlerischen Zusammenstellung tausend Mal mehr bedeuten als die Summe ihrer Teile. Begegnungen mit uns selbst, wenn wir im Alltäglichen das Besondere erkennen.
Ich habe an die 200 Sparschäler und jeder ist anders. Das zeigt, dass der Mensch immer etwas verändern, verbessern oder auch verschlechtern muss. Das ist es, was mich fasziniert.
Interaktives Kunsterlebnis: Zu Gast bei Viktoria Pfefferstein, 9. April 2021
Kommen Sie in den virtuellen Kunstsalon! Es erwartet Sie ein geführtes, interaktives Video-Gespräch zu Werken aus der aktuellen Ausstellung Daniel Spoerri mit einem etwas anderen Blick auf die Kunst. Hier geht's zur kostenlosen Anmeldung.
Live-Führung am 20. April 2021
Das Bank Austria Kunstforum Wien führt Sie live durch die Ausstellung, jedes Mal mit neuem Fokus. Am Dienstag, 20.04., um 19 Uhr, weiht Barbara Räderscheidt Sie in den Giardino di Daniel Spoerri ein, seinen Künstlergarten. Infos und Anmeldung hier
Live-Führung am 13. Mai 2021
Kuratorin Veronika Rudorfer im Gespräch mit Daniel Spoerri über seine Welt, in der die Grenze zwischen Kunst und Alltag zu verschwimmen scheint. Donnerstag, 13.05., 19 Uhr. Infos und Anmeldung hier
Weitere Termine und Live-Führungen bis Ende Juni finden Sie auf kunstforumwien.at.
Empfehlenswert ist auch der Videopodcast zur Ausstellung.
Tänzer, Künstler, Restaurantbesitzer
Daniel Spoerris Leben ist bunt: 1930 wird er als Daniel Isaac Feinstein im Osten Rumäniens geboren. Nach dem Tod des Vaters 1941 im Pogrom gelingt ihm mit seiner Mutter und seinen Geschwistern die Flucht in die Schweiz. In Zürich und Paris wird er zum Balletttänzer ausgebildet, später entdeckt er die Konkrete Poesie und die Kunst für sich. Ab 1960 entstehen die markanten Tableaux pièges und die Détrompe l’oeils, die Assemblagen auf Bildern des 19. Jahrhunderts. Spoerri verwandelt die Pariser Galerie in ein Restaurant, 1969 gründet er ein solches in Düsseldorf. Sogar sein Garten ist Kunst, 1997 öffnet er den Giardino di Daniel Spoerri für BesucherInnen. Seit 2007 lebt und arbeitet Universalgenie Spoerri hauptsächlich in Wien.
Kunst bewegt
Ein Museumsbesuch geht über die Zeit in der Ausstellung hinaus. Das Gesehene lebt in uns weiter, regt uns zum Denken an, inspiriert. Und wenn auch nur zu einer kleinen Collage mit Eis.
Fazit
Ist Alltägliches überhaupt Kunst? Absolut! Vielleicht besteht Kunst darin, Alltägliches als besonders und wertvoll wahrzunehmen. Sehen unsere Mittagstische immer noch so aus? Oh ja! Spoerris Werke sind – verzeihen Sie, ich bin keine Kunstkritikerin – wirklich witzig anzusehen. Sie haben mich in ihren Bann gezogen, mich berührt und mich begeistert. Und genau das erwarte ich mir von einer Ausstellung.
Daniel Spoerri
24.03.-27.06.2021 | geschlossen von 01.-11.04.2021 | Bitte beachten Sie die aktuellen Hinweise
Um Ihren Besuch so sicher wie möglich zu gestalten, gelten im Haus selbstverständlich weiterhin strenge Sicherheits- und Hygienemaßnahmen wie das ausnahmslos verpflichtende Tragen einer FFP2-Maske und das Einhalten eines Sicherheitsabstands von mindestens zwei Metern.
Wir empfehlen, ein Ticket mit Zeitfenster für Ihren Besuch zu buchen. Nur so wird Ihnen den Zutritt in unser Ausstellungshaus garantiert und lange Wartezeiten vermieden.
Infos und Karten unter kunstforumwien.at
Pamina Hofstädter
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