„Vorsorgen war im Nullzinsumfeld mit klassischem Sparen nicht möglich“
Die Merkur Versicherung ist in Österreich vor allem als Spezialist im Bereich der Krankenversicherung bekannt, hier kommt das Unternehmen auf einen Marktanteil von18,31 Prozent und liegt hinter der Uniqa auf Platz zwei. Ingo Hofmann, CEO der Merkur Versicherung, spricht über niedrige Zinsen, fondsgebundene Lebensversicherungen und die Positionierung als ganzheitlicher Personenversicherer.
Ende 2021 hat die Merkur Versicherung die Nürnberger Versicherung Österreich übernommen. Welche Strategie verfolgen Sie damit?
Ingo Hofmann: Die Möglichkeit hat sich ergeben, wir haben nicht aktiv danach gesucht. Wir haben Mitte 2020 für uns festgelegt, sowohl organisch als auch anorganisch ertragreich wachsen zu wollen. Dabei lag der Fokus im anorganischen Bereich durchaus auf der Lebensversicherungsseite. Damals stand für uns fest, dass es uns bei einer möglichen Übernahme nicht so sehr auf den Bestand ankommen würde, sondern viel mehr auf das Unternehmen selbst. Mit unserer Unternehmensstrategie verfolgen wir das Ziel, uns als erste Wahl für die Absicherung des Menschen zu positionieren. Unsere Kernkompetenz ist die Gesundheits-und Unfallversicherung, insofern braucht es auch noch das Thema der Lebensversicherung in Kombination mit den Bereichen Gesundheit und biometrischen Risiken. De nBereich der Altersvorsorge hatten wir ja bereits im Haus, in den Segmenten Berufsunfähigkeits- und Pflegeversicherung fehlte uns die Expertise. Damit sind wir am Weg zur Personenversicherung.
Das Thema Gesundheitsvorsorge erfuhr durch die Pandemie einen deutlichen Anschub. Wirkt sich das auf das Gesundheitsbewusstsein aus?
In den vergangenen zwei Jahren hat Gesundheit einen neuen Stellenwert bekommen. Die Pandemie hat uns allen gezeigt, wie verletzlich wir als Gesellschaft sind, eben weil Gesundheit keine Selbstverständlichkeit ist. Gesundheit ist kein Trend-Thema, sondern das wertvollste Gut, das es zu schützen gilt. Selbstbestimmung beginnt immer bei der Vorsorge. Und als Gesundheitspartner geht es uns darum, diesen Vorsorgegedanken zu unterstreichen und die persönliche Gesundheitskompetenz unserer Kunden zu stärken. Wir wollen dabei mithelfen, die gesundheitsbezogene Lebensqualität unserer Kunden zu erhalten und zu verbessern. Was man aus dieser Krise ableiten kann, wenn es um den persönlichen Gesundheitsschutz geht: Wenn es mir schlecht geht, will ich selbst bestimmen können, wo und wie ich behandelt werde und vor allem von wem. Und ja, man merkt, dass die Sensibilität rund um das Thema Gesundheit, auch im Bereich der Vorsorge, größer geworden ist.
Wie ist das konstante Wachstum in der privaten Gesundheitsvorsorge zu erklären. Ist das staatliche Gesundheitssystem in Österreich nicht gut genug?
Wir haben in Österreich ein öffentliches Gesundheitssystem, das sehr gut ausgebaut ist. Im EU-Schnitt liegen wir mit der Dichte praktizierender Ärzte sowie Krankenhausbetten pro 1000 Einwohner im absoluten Spitzenfeld. Dadurch konnten wir in den letzten eineinhalb Jahren auch größere Katastrophen, wie wir sie aus benachbarten Ländern mit ansehen mussten, verhindern. Gleichermaßen ist das österreichische Gesundheitssystem sehr kostenintensiv und hat in Sachen Effizienz viel Luft nach oben. Auch was den flexiblen Umgang mit Spitalskapazitäten betrifft, müssen wir künftig auf akute Krisen besser vorbereitet sein. Digitale Gesundheitstechnologien sind dabei unser wichtigster Partner, um Kosten zu reduzieren und gleichzeitig Effizienz und Qualität zu steigern. Dazu braucht es neben mehr Gesundheitskompetenz und Bildung auch mehr Interaktion mit den Patienten. In digitalisierten Zeiten müssen wir als Gesundheitspartner ganz besonders darauf achten, den Mensch in den Mittelpunkt zu stellen. Die technologischen Möglichkeiten dazu gibt es ja, man muss sie nur nutzen.
Beim Thema Lebensversicherungen gibt es aufgrund der Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank mittlerweile große Umstellungen. Im Juni wird der Garantiezins von der Finanzmarktaufsicht auf null gestellt. Lohnt sich eine klassische Lebensversicherung?
Vorsorgen und Vermögensaufbau waren im Nullzinsumfeld mit klassischen Sparformen wie Sparbuch und Bausparer oder mit einer klassischen Lebensversicherung nicht möglich. Aufgrund der starken Inflation kam es mit diesen Sparformen zu einer Geldentwertung. Und auch wenn jetzt der Druck auf die EZB immer größer wird, die Leitzinsen wegen der hohen Inflation anzuheben, wird eine Zinserhöhung erst in der zweiten Jahreshälfte realistisch. Erleben fondsgebundene Lebensversicherungen deshalb gerade wegen der aktuell hohen Inflation ein Comeback? Nein, ich würde nicht von einem Comeback sprechen. Fondsgebundene Produkte waren nie weg. Sie hatten vielleicht ein etwas schlechteres Image als ihnen zusteht. Ich glaube, die neue Generation von Fondsprodukten bietet einen guten Ausgleich zwischen Performance und Sicherheit. Wenn man davon ausgeht, kann man von einer Renaissance sprechen. Aber im Grunde sind die Produkte nur intelligenter geworden.
Welche Rolle spielt das Ende Oktober 2020 gegründete Merkur Innovation Lab für die Zukunft der Merkur Versicherung?
Wir konnten in der kurzen Zeit, seit es das Innovation Lab gibt, schon sehr viel bewegen. Da das Innovation Lab außerhalb der Versicherung angesiedelt ist, hat es eine übergeordnete Sicht und kann so unabhängig von Befindlichkeiten innerhalb der Versicherung agieren. Innerhalb kurzer Zeit haben wir über das Lab gelernt, unsere Daten zu verstehen. Und aus dem ersten Verständnis der Daten konnten wir bereits wichtige Rückschlüsse ziehen. In Zukunft lernen wir, unsere Kunden noch besser zu verstehen. Dadurch können vorausschauende und maßgefertigte Produktempfehlungen für jeden einzelnen Kunden individuell erstellt werden. Zudem hat sich das Innovation Lab von einer Ideenschmiede zu einem Ausbildungshub für internationale Fachkräfte entwickelt, immer mehr Softwareentwickler und IT Spezialisten klopfen bei uns an und arbeiten mit uns an Zukunftslösungen.
STEPHAN SCOPPETTA
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