Traditionelle Werte und fossile Profite

Traditionelle Werte und fossile Profite
Der Ölpreis hat im Zuge des Kriegs in der Ukraine den Höchststand seit 2008 erreicht. Die Gewinne in der Branche dürften heuer noch höher sein als im Vorjahr. Aber haben Investments in den Sektor ein Ablaufdatum?

Knapp zwei Jahre, nachdem die Corona-Pandemie die Energiepreise ins Bodenlose fallen ließ, ist die totgesagte Branche wieder mit dicken Gewinnen in den Schlagzeilen. Die Preise von Öl und Gas haben sich mehr als erholt und erreichen teilweise sogar Rekordwerte. Die Konsumenten zahlen längst mehr als vor der Pandemie und das liegt nicht nur am Krieg in der Ukraine.

Im vergangenen Jahr erwirtschaftete die Branche die höchsten Gewinne seit sieben Jahren. Denn die Energiepreise sind seit dem weltweiten Rebound der Konjunktur gestiegen, die Kosten der Produzenten und Händler aber nicht im selben Ausmaß. Vergangenes Wochenende präsentierte der weltgrößte Ölkonzern Saudi Aramco seine Zahlen für das Geschäftsjahr 2021. Das Staatsunternehmen hat den Gewinn auf 110Milliarden Dollar (knapp 100 Mrd. Euro) mehr als verdoppelt. Der Trend zeigt sich auch in den Zahlen der westlichen Ölmultis wie ExxonMobil, Shell, BP und Chevron. Auch die österreichischen OMV profitierte von der Entwicklung und verdoppelte den Periodenüberschuss auf 2,8Milliarden Euro. Das sind auch gute Nachrichten für die Eigentümer, denn die Dividende soll um 24 Prozent auf 2,30 Euro pro Aktie steigen.

Doch ist das eine gute Gelegenheit für Anleger, ihr Geld zu vermehren, oder das letzte Aufbäumen einer Branche, die den Weg der Dinosaurier geht? Denn die politische Stoßrichtung ist klar. Fossile Energieträger sollen in absehbarer Zukunft ersetzt werden, am besten mit Ökostrom, Wasserstoff und anderen CO2-ärmeren Energieträgern. Das gilt zumindest in Europa. Dass der Weg zur Klimaneutralität auch hier weit ist, zeigt ein Blick auf die Einschätzung der Internationalen Energieagentur (IEA): Gut 80 Prozent der weltweit verbrauchten Energie sind derzeit fossilen Ursprungs, werden als aus Öl, Gas und Kohle gewonnen. Auch in Europa entfällt mehr als ein Drittel auf Öl und knapp ein Viertel auf Gas. Auch wenn die fossilen Energien in Europa auf dem Rückzug sind, wird die Nachfrage vor allem in Asien voraussichtlich noch wachsen. Der weltweite Verbrauch von Öl und Gas wird nach Einschätzung der IEA zumindest noch bis 2025 ansteigen. „PeakOil“, also der Zeitpunkt der maximalen Ölförderung könnte je nach Szenario zwischen Mitte der 2020er- und Mitte der 2030erJahre erreicht werden.

Traditionelle Werte und fossile Profite

Bernd Maurer, Raiffeisen Research

Die großen Konzerne der fossilen Energiebranche reagieren unterschiedlich auf die neuen Herausforderungen. Manche, etwa die amerikanischen Unternehmen Chevron und ExxonMobil, konzentrieren sich auf ihr Kerngeschäft. In Europa hingegen ist der politische Druck höher. Deswegen diversifizieren sich große Konzerne wie Shell, BP und Total. Zusätzlich zu dem Geschäft mit Öl und Gas investieren sie in die Produktion von Ökostrom, also etwa in Windparks oder grünen Wasserstoff. Die österreichische OMV geht einen anderen Weg und will, wie zuletzt in der „Strategie 2030“ verlautbart, zunehmend als Chemiekonzern wachsen. Die Übernahme von Borealis im Jahr 2020, die dem Unternehmen ob des hohen Kaufpreises massive Vorwürfe eingebracht hat, war dafür kritisch. Für Bernd Maurer, Aktienexperte bei Raiffeisen Research, sind Aktien von Konzernen,die sich breiter aufstellen, heute bereits die bessere Wahl, zumindest wenn man einen langfristigen Anlagehorizont hat. Denn er rechnet damit, dass auch Konzerne wie ExxonMobil oder Chevron hier noch nachziehen werden müssen. Und diese Transformation gehe „nicht von heute auf morgen“. Einen signifikanten Anteil am Umsatz haben die neuen Geschäftsfelder vielleicht erst in etwa zehn Jahren. Bis dahin gibt es noch die Profite aus fossilen Energieträgern, die – wie das auch die OMV angekündigt hat – Investitionen zur Transformation finanzieren sollen.

Dass politische Entscheidungen sehr wohl Kapitalströme lenken können, zeigt der jüngst angekündigte Ausstieg von BP beim russischen Rosneft-Konzern. Nach Einschätzung Maurers war dieser nicht ausschließlich betriebswirtschaftlich motiviert, sondern ist „als private Sanktion zu verstehen“. Generell hätten Standards zu Umweltschutz, sozialer Verantwortung und Unternehmensführung an Relevanz gewonnen. „ESG-Überlegungen sind Teil des Investmentprozesses“, sagt Maurer zum KURIER. Auf schöne Worte muss man sich dabei als Investor nicht verlassen, denn der Markt sei hier „schon sehr konkret geworden“. Unternehmensziele zu ESG-Standards sollten mindestens ein Mal im Jahr veröffentlicht und die Fortschritte auch an Hand quantifizierbarer Kriterien belegt werden. Zu Lasten der Profite muss diese Entwicklung laut dem Experten nicht gehen, denn „je besser die Unternehmensführung („Governance“, Anm.), desto ertragsstärker sollte das Unternehmen sein“. Die Situation im großen Förderland Russland sorgt derzeit für Verunsicherung am Energiemarkt. Denn niemand weiß, wie lange der Krieg und der politische und auch wirtschaftlich ausgetragene Konflikt noch dauern werden. Je länger Russland sanktioniert werde, desto weniger seien Beteiligungen dort wert, sagt Maurer. Das mache sich derzeit auch in der Bewertung der OMV bemerkbar, die 20 Prozent ihrer Öl- und Gasproduktion in Russland hat.

Die Aktie des Konzerns hat im vergangenen Monat etwa15 Prozentverloren, während die Kurse der meisten Mitbewerber gestiegen sind. Insgesamt könnte der Überfall auf die Ukraine dazuführen, dass Europa die Energiewende stärker forciert, um weniger abhängig von russischem Öl und Gas zuwerden. Denn die EU bezog zuletzt mehr als 40 Prozent der Gas- und etwa ein Viertel der Ölimporte aus Russland. Wie lange dasGeschäft mit Öl und Gas profitabel sein wird, kann man nur schwerlich prognostizieren. Die letzten im Geschäft werden voraussichtlich die großen Staatsbetriebe wie Saudi Aramco, Gazprom und Qatar Energy sein. Erstens, weil sie auf den größten Vorkommen sitzen und dementsprechend billiger fördern können. Zweitens, weil sie mit deutlich weniger Druck vonseiten des Kapitalmarkts rechnen müssen. Denn die strategischen Interessen der Eigentümerstaaten überwiegen etwaige Nachhaltigkeits-Bedenken. Für Anleger bleiben die westlichen Multis trotzdem interessant, schätzt Maurer. Derzeit liefern sie hohe Renditen und wenn sie sich erfolgreich an die neuen Bedingungen anpassen, kann das auch so bleiben, obwohl fossile Energie langfristig an Relevanz verlieren sollte. Gewinne können in Zukunft auch mit erneuerbaren Energien oder, wie etwa im Fall der OMV, mit modernen Kunststoffen erzielt werden. Insofern würde er derzeit „nicht zum Absprung aus diesen Unternehmen raten“.

VON M. MEYRATH

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