„Komplexität der Finanzwelt aufbrechen“
Das Sparverhalten und auch die Bedürfnisse der Bankkunden ändern sich. Gerda Holzinger-Burgstaller, CEO der Erste Bank, gibt einen Ausblick auf das Finanzjahr 2024.
Die Europäische Zentralbank hat die Leitzinsen auf 4,5 Prozent hochgeschraubt. Dies scheint den Aktienmärkten zu schaden, aber die Anleihen werden wieder attraktiver. Was sollen Anleger jetzt tun?
Gerda Holzinger-Burgstaller: Es stimmt, die Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank haben den Aktienmärkten sicherlich nicht geholfen. Aber das bringt auch Chancen. Mit der aktuellen Zinssituation rücken Anleihen wieder stärker in den Fokus der Anleger. Besonders in einem Umfeld, in dem sowohl die Inflation als auch die Zinssätze ihren Höchststand erreicht zu haben scheinen.
Macht das nicht auch Sparbücher wieder attraktiv?
Die jüngsten Zinsanhebungen haben dem klassischen Sparkonto sicherlich neuen Auftrieb gegeben. Aber interessant ist, dass alternative Anlagen, die in der Nullzinsphase populär wurden, immer noch stark gefragt sind. Das unterstreicht die Umfrage, die wir anlässlich des Weltspartags durchgeführt haben.
Wie wichtig ist das Sparen in Österreich?
Es hat einen enormen Stellenwert. Acht von zehn Österreicher sagen, dass es ihnen wichtig ist, Geld beiseitezulegen. Das ist beeindruckend.
Wie hat die Nullzinsphase das Verhalten Ihrer Kunden beeinflusst?
Viele haben aktiv Geld vom Giro- auf ein Sparkonto verschoben, um von höheren Zinsen zu profitieren. Aber viele lassen ihr Geld unverzinst auf dem Girokonto.
Wertpapiere bleiben aber in Österreich weiterhin ein Minderheitenprogramm. Wie ist das erklärbar?
Das stimmt so heute nicht mehr. Das zeigt auch unsere letzte Umfrage. Produkte wie Aktien, Anleihen und Fonds sind heute populärer. Unsere Studie zeigt, dass sieben von zehn Österreichern diese mittlerweile als gute Ergänzung zum Sparkonto sehen.
Gleichzeitig fehlt hier aber noch immer das Wissen, wie Kapitalmarktinstrumente funktionieren.
Genau, sechs von zehn Befragten finden diese schwer verständlich. Viele fühlen sich bei Finanzthemen unwohl. Und wir sehen es als unsere Aufgabe, Finanzwissen zugänglich zu machen. Wir haben erst kürzlich eine Finanz-KI, den „Financial Health Prototype“ vorgestellt, um genau das zu tun. Es ist ein Tool, das Finanzwissen 24/7 einfach zugänglich macht.
Was kann diese künstliche Intelligenz leisten?
Mit dem Financial Health Prototype möchten wir die Komplexität der Finanzwelt für unsere Kunden aufbrechen. Dieser textbasierte Chatbot ermöglicht es den Nutzern, rund um die Uhr Antworten auf finanzbezogene Fragen zu erhalten. Dies ist ein weiterer Schritt in unserer 200-jährigen Mission, finanzielle Gesundheit zu fördern. Man kann ihn ganz einfach unter erstebank.ai ausprobieren. Er ist kostenlos und steht allen Menschen zur Verfügung, egal ob Kund:in oder nicht.
Für viel Ärger sorgte 2023 die sogenannte KIM-Verordnung bei der Vergabe von Immobilienkrediten. Welche Folgen hat diese?
Wir wollen Menschen dabei unterstützen, eigengenützten Wohnraum zu schaffen und nicht zu spekulieren. Mit der KIM-Verordnung wird uns das erschwert. Angesichts der gestiegenen Zinsen, der stagnierenden Immobilienpreise und der hohen Inflation ist die ursprüngliche Grundintention, nämlich exzessives Kreditwachstum zu bremsen, bereits durch den Markt erreicht. Eigentum ist auf lange Sicht eine wesentliche Vorsorgekomponente und leistet einen wichtigen Beitrag zur Prävention von Altersarmut.
Wie sollten Anleger angesichts der Multikrise 2024 ihr Portfolio gestalten?
Die Anpassung des Portfolios hängt von vielen individuellen Faktoren ab. Obwohl die Aktienmärkte momentan teilweise hoch bewertet wirken, haben Investitionen in Aktienfonds oder gemischte Fonds, insbesondere mit einem langfristigen Blickwinkel, durchaus ihre Berechtigung in einem diversifizierten Portfolio. Wichtig ist aber, sich hier beraten zu lassen.
Stephan Scoppetta
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