Investieren in Europa oder doch den USA?

Europas Börsen haben eine lange Geschichte, aber die US-Märkte mehr Geld.
Die Kapitalmärkte haben sich 2023 besser geschlagen als erwartet. Aber der Ausblick für die Börsen in Europa und den USA könnte nicht unterschiedlicher sein.

Nachhaltigkeit bietet Chancen

Europa ist wirtschaftlich angeschlagen, aber es gibt Potenziale.

Traditionell. Europa beherbergt zahlreiche global agierende Konzerne wie LVMH, Volkswagen, Shell, BP und Siemens. Erich Stadlberger, Leiter Private Banking & Asset Management der Oberbank AG, betont die Stärken des Kontinents: „Wir dürfen uns da nicht selbst schlechtreden. Gerade im Bereich der Nachhaltigkeit gibt es viele Unternehmen in Europa, die den Nachhaltigkeitsanforderungen unserer Anleger gerecht werden. Europa spielt in dieser Hinsicht eine Vorreiterrolle.“

Investieren in Europa oder doch den USA?

Gerade im Bereich der Nachhaltigkeit gibt es viele Unternehmen in Europa, die führend sind

von Erich Stadlberger, Oberbank

Zinssenkungschance

Die wirtschaftliche Verlangsamung und sinkende Inflationsraten dürften den Anstieg der Zinsen dämpfen. Für 2024 wird eine mögliche Zinssenkung erwartet. Stadlberger: „Nicht zuletzt deshalb rückt der Euro-Anleihenmarkt ins Zentrum des Interesses. Allgemein investieren wir gerne am Heimatkontinent. In der Eurozone gibt es ein breites Spektrum an Unternehmen, ohne Währungsrisiken zu kaufen. Aber auch die großen Marktplätze Schweiz und Großbritannien haben attraktive Konzerne zu bieten, die wir so zum Teil in der Eurozone nicht finden.“ Für Stockpicker sind derzeit einige Perlen mit einer sehr günstigen Bewertung zu haben.

Attraktive Bewertungen

Europäische Aktien haben in diesem Jahr teilweise deutlich an Wert verloren, was attraktive Investitionsmöglichkeiten eröffnen könnte. Ein Blick auf den breit gefassten Index zeigt: Europa ist gegenwärtig im Vergleich zu seiner eigenen Historie und den Vereinigten Staaten attraktiv bewertet. Das erwartete Gewinnwachstum erscheint trotz der aktuellen wirtschaftlichen Verlangsamung solide. Stadlberger hebt hervor: „Sowohl im Nahrungs- als auch im Luxusgüterhersteller-Bereich stellt Europa den Marktführer. Auch im Pharma-Bereich bietet Europa eine hohe Dichte an Bluechips. Wenngleich man diese Breite im Technologiesektor nicht findet, so gibt es doch den einen oder anderen spannenden Kandidaten. Hinzu kommen noch Banken und Versicherungen, die aktuell einen Rückenwind durch das Zinsumfeld erfahren und im Hinblick auf Bewertung und Dividenden spannend erscheinen.“

Euronext

Die Euronext Amsterdam,  gegründet 1602, ist die älteste Börse weltweit, initiiert durch Geldbedarf der Dutch East India Company. Trotz Turbulenzen im 20. Jahrhundert (z.B. Weltkriege) haben sich Europas Börsen stetig entwickelt. Heute sind sie globale Finanzzentren mit Schlüsselbörsen in London, Frankfurt, Paris und Madrid, die eine breite Palette von Branchen repräsentieren. Aber die Marktkapitalisierung liegt hinter den US-Börsen.

Hohe Gewinndynamik

Die US-Börsen könnten 2024 ein spannendes Comeback feiern.

Finanzmarktlokomotive. Der US-Kapitalmarkt, traditionell als weltweite Lokomotive gesehen, zeigte in den vergangenen Jahren eine bemerkenswerte Krisenresistenz. Doch 2023 bot er ein anderes Bild: Während der Dow Jones in den vergangenen zwölf Monaten nur um 5,40 Prozent zulegte, stieg der Euro Stoxx 50 um fast 14 Prozent. Monika Rosen, Vizepräsidentin der Österreich-Amerikanischen Gesellschaft, kommentiert: „In den USA zeigt sich derzeit keine generelle Rezession, doch eine Gewinnrezession ist sichtbar. Bei erneuten negativen Werten im S&P 500 für das kommende Quartal wären es vier Quartale in Folge mit sinkenden Gewinnen. Das könnte 2024 paradoxerweise günstig sein, da niedrigere Erwartungen einfacher zu übertreffen sind und eine positive Gewinndynamik generiert werden könnte.“

Investieren in Europa oder doch den USA?

In den USA zeigt sich derzeit keine generelle Rezession und es gibt eine starke Tech-Präsenz

von Monika Rosen, Finanzexpertin

Ölpreis belastet Europa

Europas Wirtschaft leidet nicht zuletzt durch einen schwächeren Euro und steigende Ölpreise, die die Inflation in der Eurozone verstärken, da Öl in Dollar gehandelt wird. Rosen: „Europäische Top-Unternehmen enttäuschten zuletzt mit ihren Gewinnen und im Gegensatz zu den USA fehlt eine starke Tech-Präsenz.“ Europa fokussiere sich auf Luxusaktien, beeinflusst durch den chinesischen Tourismus. Doch Rosen betont: „Aber die jüngsten Quartalsergebnisse waren auch hier enttäuschend. Mit Abflauen von Covid und der immer noch hohen Inflation wurde der Sachkonsum zuletzt deutlich gedämpft. Derzeit stehen eher Dienstleistungen wie Reisen im Fokus der Konsumenten.“

Keine Rezession

Goldman Sachs hat die Rezessionsprognose für die USA von 35 Prozent im Sommer 2023 auf 15 Prozent gesenkt. Die Notenbank signalisiert, dass die Zinsen länger hoch bleiben könnten – „Higher for longer“. Rosen gibt zu bedenken: „In der Eurozone sind die wirtschaftlichen Aussichten deutlich schlechter. Insbesondere Deutschlands Abhängigkeit von China wirkt sich negativ aus. Gleichzeitig machen hohe Inflationsraten und steigende Energiepreise auch in der Eurozone eine schnelle Zinssenkung unwahrscheinlich.

New York Stock Exchange

Die NYSE mit einer Marktkapitalisierung von 25 Billionen US-Dollar und die Nasdaq mit 21,7 Billionen US-Dollar sind die Dreh- und Angelpunkte des globalen Finanzmarktes. Hier sind einige der weltweit wertvollsten Unternehmen gelistet. Der Dow Jones als Leitindex der NYSE konnte in den vergangenen fünf Jahren um 32 Prozent zulegen. Die Nasdaq 100 als Leitindex der Technologiebörse verzeichnete im gleichen Zeitraum ein Plus von 105 Prozent.

Fazit: Top-Titel finden sich in Europa und den USA

Derzeit leidet der europäische Markt unter wirtschaftlichen Drucksituationen wie dem steigenden Ölpreis und einer schwächeren Tech-Präsenz. Aktuelle Quartalsergebnisse in Branchen wie Luxusgütern und Tourismus waren enttäuschend. Trotz der gegenwärtigen wirtschaftlichen Verlangsamung in Europa eröffnen niedrigere Aktienbewertungen mögliche Investitionschancen und eine potenzielle Zinssenkung für 2024 könnte attraktiv sein. Aber die wirtschaftlichen Aussichten sind getrübt. Nicht zuletzt hat sich der Ölpreis aufgrund der Krise im Nahen Osten deutlich verteuert und auch der Dollar hat im Vergleich zum Euro deutlich zugelegt. Das könnte die europäische Wirtschaft 2024 zusätzlich belasten.

Andererseits hat der US-Kapitalmarkt, trotz eines jüngsten Rückgangs im Dow Jones, in den vergangenen Jahren bemerkenswerte Krisenresistenz gezeigt. Darüber hinaus gibt es in den USA derzeit keine Anzeichen einer umfassenden Rezession. Zudem bleibt Tech-Sektor ein treibender Faktor für die Zukunft und hier ist die USA deutlich stärker aufgestellt als der alte Kontinent. Zusammenfassend bietet der US-Markt derzeit stabilere und potenziell positivere Aussichten als Europa. Trotzdem zeigen einige europäische Konzerne große Investitionschancen, besonders in Branchen, in denen Europa eine führende Rolle spielt.