„Hunger nach Erfolg ist kein Widerspruch zu Wertschätzung“

„Hunger nach Erfolg ist kein  Widerspruch zu Wertschätzung“
Philipp Wassenberg, Vorstandsvorsitzender der ERGO Versicherung in Österreich, spricht über die Zusammenführung der D.A.S Rechtsschutz AG mit der ERGO, New-Work-Konzepte und Wertschätzung als Prinzip.

Die ERGO Versicherung Österreich hat in den letzten Jahren einen großen Wandel vollzogen. Philipp Wassenberg, Vorstandsvorsitzender der ERGO Versicherung in Österreich, gibt einen Einblick über seine aktuellen Pläne.

Die ERGO Versicherung hat den Rechtsschutzversicherer D.A.S. Rechtsschutz übernommen. Warum kam es zu diesem Schritt?

Philipp Wassenberg: Die beiden Unternehmen waren Tochtergesellschaften der ERGO Group AG. Aufgrund konzerninterner Überlegungen hat man nun beschlossen, sie in Österreich zu vereinen. Über Jahre hinweg wurde diskutiert, ob die D.A.S. Rechtsschutz AG tatsächlich als unabhängige Einheit agieren sollte. In jüngerer Vergangenheit hat die Regulierung zugenommen. Themen wie Compliance, Revisionen, Aufsichtsräte, Berichterstattung an die FMA und sämtliche Governance-Mechanismen aus Solvency mussten mehrfach durchgeführt werden. Deshalb entschied der Mutterkonzern nun, den österreichischen Markt zentral mit einer größeren Gesellschaft zu bedienen.

Bleibt die Marke erhalten?

Wir haben beschlossen, den bekannten D.A.S. Rechtsschutz als Produktmarke im österreichischen Markt beizubehalten, da er als Synonym für Rechtsschutz steht. Zudem haben wir in der ERGO ein eigenes Rechtsschutzressort ins Leben gerufen, wodurch das Rechtsschutzprodukt eigenständig betrieben werden kann. Mit der Effizienzsteigerung in vielen Prozessen und einer Belegschaft von nun 900 Mitarbeitern durch die Hinzufügung von 300 neuen Kräften können wir zahlreiche neue Projekte vorantreiben.

Was ändert sich für die Kunden?

Für die Kunden hat sich kaum etwas geändert, da wir alle Rechte und Pflichten übernommen haben. Bei ERGO bleibt das Rechtsschutzprodukt, wie es war. Wichtig ist, dass Kunden ihre Versicherung, einschließlich ERGO, bei Rechtsstreitigkeiten weiterhin verklagen können.

Früher war ERGO in Österreich hauptsächlich als Bankversicherer tätig. Mittlerweile sind sie ein Multiversicherer warum dieser strategische Wandel?

In den letzten Jahren haben wir einen strategischen Wandel vollzogen: Statt als Bankenversicherer mit einem Schwerpunkt auf Lebensversicherungen agieren wir nun als vielseitiger Multiversicherer. Dabei haben wir auch unsere Betriebs- und Produktleistung deutlich breiter aufgestellt.

Der Sättigungsgrad im heimischen Versicherungsmarkt ist sehr hoch. Ist hier noch für einen weiteren Versicherer ausreichend Platz?

Österreich ist zwar ein etablierter Markt, doch in Segmenten wie der Krankenversicherung besteht noch Wachstumsraum. Vor zweieinhalb Jahren haben wir uns dort mit zwei Nischenprodukten positioniert. Auch in Bereichen wie Unfall- und Rechtsschutzversicherung sehen wir noch Potenziale. Es zeigt sich auch an den Zahlen, dass wir bei den Österreichern gut ankommen. Aktuell haben wir in Österreich über 650.000 Kunden und über eine Million Verträge im Bestand.

Welche Herausforderungen müssen Versicherer derzeit bewältigen?

Unsere Kunden legen heute verstärkt Wert auf Nachhaltigkeit und erwarten, dass unsere Produkte, einschließlich der Fondspalette in der Lebensversicherung, diesen Kriterien entsprechen. Außerdem bevorzugen sie vielfältige digitale Kontaktmöglichkeiten, von E-Mail bis Digitalservice, und entscheiden flexibel über den Kommunikationskanal. Wir passen uns diesen veränderten Erwartungen kontinuierlich an.

Wie verändert das Thema Nachhaltigkeit die Versicherungsbranche?

Seit Jahren ist Nachhaltigkeit Teil unserer Strategie. Auf der Investmentseite bieten wir jenen Kunden, die es wünschen 100 Prozent nachhaltige Fonds an. Bei den Produkten fokussieren wir uns auf die Themen Remote, Reuse, Recycle und Repair. Zum Beispiel nutzen wir Videotelefonie für Schadenbegutachtungen, wodurch Kosten und Zeit gespart werden. Wir fördern zudem Recycling und kooperieren mit Werkstätten. Kunden werden ermutigt, nachhaltige Technologien wie Geothermie oder Photovoltaikanlagen zu nutzen. Intern setzen wir auf Elektrofahrzeuge und bieten Elektrotankstellen an. Unsere Mitarbeiter sind Botschafter für Nachhaltigkeit.

Viele Unternehmen der Versicherungswirtschaft klagen über Personalnotstand. Ist auch die ERGO davon betroffen?

Obwohl der Arbeitsmarkt knapper wird, ziehen unsere Unternehmenskultur und Angebote potenzielle Mitarbeiter an. Mit unseren Werten, unserem Fokus auf Nachhaltigkeit und attraktiven Arbeitsplätzen können wir uns als bevorzugten Arbeitgeber positionieren. Wir implementieren aktuell ein modernes Open-Space- und New-Work-Konzept. Wir haben den Anspruch, in der Versicherungswirtschaft Österreichs die besten Arbeitsplätze zu schaffen.

Was macht eine gute Unternehmenskultur aus?

Kultur kann man nicht verordnen, sondern man muss sie vorleben. Unser zentraler Unternehmenswert ist Wertschätzung, den wir in all unseren Handlungen und Aussagen verankern. Wir streben nach Veränderungsbereitschaft, denn die Welt verändert sich ständig. Zu unseren Kernwerten zählen: Wertschätzung, Fehlerkultur, Veränderungsbereitschaft, Kundenfokussierung und Erfolgshunger. Für uns ist ein Hunger nach Erfolg kein Widerspruch zur Wertschätzung, denn ein erfolgreiches Unternehmen erzeugt eine ganz andere Dynamik und Motivation.

Viele Unternehmen beklagen die mangelnde Leistungsbereitschaft der Generation Z. Welche Erfahrungen machen Sie mit den jungen Menschen, die heute auf den Arbeitsmarkt drängen?

Ich teile diese Wahrnehmung nicht. Die jungen Menschen, die zu uns stoßen, sind sehr leistungsbereit, vorausgesetzt, sie erhalten die nötige Motivation und Wertschätzung. Zwar ist eine angemessene Bezahlung wichtig, jedoch stehen Feedback und Förderung oft im Vordergrund ihrer Wünsche. Wichtig ist auch, dass sie das Gefühl haben, ihre Arbeit macht Sinn. Wir als Unternehmen müssen heute also daran arbeiten, den Arbeitsalltag für unsere Mitarbeiter interessanter und flexibler zu gestalten.

Legen wir heute zu viel Wert auf Wohlfühlfaktoren und zu wenig auf Leistung?

Beides ist essenziell. Ein erfolgreiches Unternehmen erfordert Leistung und ein gutes Arbeitsklima. Es ist falsch zu behaupten, dass junge Menschen nicht leisten wollen. Sie suchen nach Sinn in ihrer Arbeit und möchten sich wohlfühlen. Wenn diese Bedingungen erfüllt sind, zeigen sie vollen Einsatz. Einige Unternehmen erkennen diesen Zusammenhang jedoch nicht.

Wie sieht die künftige Strategie von ERGO aus und gibt es bereits konkrete Pläne?

Wir fokussieren uns auf Nischenprodukte im Krankenversicherungsmarkt, demnächst im Bereich Zahnerhalt, statt auf eine Vollversicherung. Beim D.A.S. Rechtsschutz bleiben wir führend in Produktentwicklung und Rechtsservice. Unsere Haushaltsdeckung ist eine der Besten am Markt, und wir planen weitere innovative, nachhaltige Produkte. Unser Ziel ist ein überdurchschnittliches Wachstum in der Schaden-/Unfallversicherung und den vierten Platz in der Lebensversicherung zu behaupten.

Welche Vision haben Sie für die ERGO?

Ich möchte die ERGO zum modernsten und innovativsten Versicherer auf dem österreichischen Markt machen. Und wir sind aus meiner Sicht auf einem sehr guten Weg.

Stephan Scoppetta

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