Wohnbau-Experte warnt: "Österreich darf nicht Italien werden"

Mailand Milano Via Genni Social Housing
Sozialen Wohnbau wie in Österreich sucht man bei unseren Nachbarn vergeblich. Ein Lokalaugenschein.

Finanzhochburg, Modemetropole und Standort zahlreicher Baujuwele – angefangen vom Dom bis zu den extravaganten Bürotürmen und Luxus-Apartments des City-Life-Areals, dem Stararchitekten wie Zaha Hadid, Arata Isozaki oder Daniel Libeskind ihre Stempel aufdrucken durften. Mailand ist in vielerlei Hinsicht Aushängeschild. In einem Punkt jedoch nicht: beim sozialen Wohnbau. Nach einer Studienreise in die Hauptstadt der Lombardei warnt der sozialdemokratisch geprägte "Verein für Wohnbauförderung" sogar: "Österreich darf nicht Italien werden."

Dort zog sich der Staat nämlich komplett aus dem sozialen Wohnbau zurück; die Wohnbauförderung wurde in den 90ern zugunsten der leeren Rentenkassen komplett gecancelt, die Stadtentwicklung Investoren überlassen. Das rächt sich nun: der Markt zeigt einen starken Überhang an Eigentum und nur geringe Manövriermasse an Mietwohnungen.

Akute Wohnungsnot

Während etwa mit dem Porta-Nuova-Areal (wo mit der neuen 231 Meter hohen UniCredit-Zentrale das höchste Gebäude Italiens steht) oder mit City-Life Stadtentwicklungsgebiete mit hochpreisigen und architektonisch aufsehenerregenden Wohnhausanlagen entstanden, herrscht für die weniger finanzkräftige Bevölkerung "Emergenza Casa" – akute Wohnungsnot.

Insgesamt wird der Bedarf in Italien auf 2,5 Millionen Wohnungen geschätzt. Davon warten 650.000 Haushalte auf eine leistbare Wohnung im öffentlichen bzw. gemeinnützigen Wohnungssektor. Der soziale Wohnbau spielt mit einem Anteil von vier Prozent bzw. 960.000 Wohnungen allerdings nur eine sehr untergeordnete Rolle in der Wohnversorgung. Zum Vergleich: in Österreich deckt er ein Fünftel des Wohnungsbestandes ab. In der 1,3-Millionen-Einwohner-Metropole Mailand verwaltet die Kommune 13,2 Prozent der Wohnungen; in Wien beträgt der Anteil an Gemeinde- oder gemeinnützigen Wohnungen etwa 60 Prozent.

Italien ist heute ein Land von Eigentümern – 72 Prozent der Einwohner besitzen eine Wohnung bzw. ein Eigenheim. In Mailand sind es mit 63 Prozent etwas weniger.

Auch eine soziale Durchmischung findet bei unseren Nachbarn nur sehr bedingt statt. Da gibt es zum einen wirkliche Sozialwohnungen der Kommune für Menschen in finanzieller Notlage – mit einkommensabhängigen Monatsmieten von 20 bis 200 Euro. Die sind aber nur als Übergangslösungen gedacht.

Und für jene, die zu viel verdienen, um als bedürftig zu gelten, und zu wenig, um sich Quadratmeter-Preise von 5- bis 10.000 € aufwärts leisten zu können, bieten Investoren "Social Housing" an: Von den Bewohnern selbst verwaltete Wohnanlagen, wie die "Via Cenni" – mit günstigen Mieten (netto kalt: 75 Euro pro im Jahr), geförderten Gemeinschaftsflächen und Kaufoption. "Es stellt sich allerdings die Frage, ob solche Einzelinitiativen die Masse abdecken können", sagt Markus Sturm, Obmann des Vereins für Wohnbauförderung.

Grundkosten senken

Ob steigender Wohnkosten sieht er aber auch in Österreich Handlungsbedarf. "Zum einen müssen möglichst viele gemeinnützige – preisgebundene – Wohnungen gebaut werden, damit die Preisgestaltung am freien Markt eingeschränkt wird. Und zum anderen müssen wir die überbordenden Grundkosten in den Griff bekommen."

In dieselbe Kerbe schlägt Karl Wurm, Geschäftsführer der Wohnbaugenossenschaft "Neue Heimat – GEWOG" und Obmann des österreichischen Verbandes gemeinnütziger Bauvereinigungen. Wie Sturm fordert er eine verfassungsrechtliche Absicherung für Länder und Kommunen, wenn es um den Eingriff in Raumordnungsfragen geht. "Für sozialen Wohnbau brauchen wir günstige Grundstücke. Daher brauchen Länder und Kommunen eine Rechtssicherheit, wenn sie einen Grundpreis unterhalb des Marktpreises festsetzen wollen."

Im Hinblick auf Italien meint Wurm: "Die Tendenz, dass Investoren Stadtentwicklung machen, gibt es auch bei uns. Beim Wiener Nordbahnhof zum Beispiel. Daher muss hier die Flächenwidmung ein Machtinstrument bleiben; die Gemeinden müssen wissen, was sie wollen. Sozialer Wohnbau darf nicht ohne die öffentliche Hand sein." Gerade bei Wien, wo man dies nie privaten Investoren überlassen hat, mache er sich da allerdings wenig Sorgen. "Der Wiener Wohnbau ist in Europa beispielgebend."

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