Ziegen für Menschen in armen Regionen: Was hinter der Idee steckt

Ein Mann lächelt neben einem Ziegen-Maskottchen vor einem Laden mit der Aufschrift "Kauf eine Ziege".
Ziegen-Shop auf der Mahü, Eselsautomat beim Stephansdom: Die Geschichte handelt von Krieg, ermordeten Familienmitgliedern und Vergebung. Es ist die Lebensgeschichte des Simon Ntamwana.

Wenn Simon Ntamwana auftaucht, ist die Verehrung, die ihm entgegengebracht wird, nicht zu übersehen. Der pensionierte Erzbischof von Gitega bekommt stets als Erster zu essen, niemand kostet von den Speisen, bevor er es getan hat. 

Bei Besuchen in Dörfern wird getanzt, die Frauen wollen ihm stolz ihre Ziegen zeigen. Als der „Monsignore“, wie er genannt wird, erkrankt, und erst geglaubt wird, es sei eine Organtransplantation nötig, melden sich mehr als 30 Menschen, die ihm eine Niere spenden wollen.

In seiner Heimat ist er eine Legende. Und ein bisschen hat er auch zum Wiener Stadtbild beigetragen. Dass man im Shop der Caritas auf der Mariahilfer Straße oder beim Automaten neben dem Stephansdom Nutztiere für Menschen in den ärmsten Regionen der Welt kaufen kann, ist zu einem gewissen Teil ihm zu verdanken.

Erzbischof Simon steht in weißer Soutane in Burundi und gibt Ziegen an Frauen weiter.

Der ehemalige Erzbischof bei der Ziegenausgabe in Burundi. 

Die Geschichte beginnt eigentlich in Graz. Als Student kam Ntamwana in die steirische Hauptstadt, um Deutsch zu lernen, weil es „von Rom so verlangt“ wurde. „Ich verstehe mich immer noch als Sohn der Diözese Graz.“ 

Das erzählt der Geistliche in seinem Zuhause in Burundi – in exzellentem, wenn auch blumigem Deutsch. Das Licht ist wegen einer Notfalllampe und einer Kerze schummrig, wie so oft ist der Strom ausgefallen. Vor der Tür warten Wachen, im Laufe der Jahre wurde dem ehemaligen Erzbischof mehrmals mit dem Tod gedroht.

Einzige Opposition

Die katholische Kirche ist mächtig in Burundi, aber auch gefürchtet. Die Bischofskonferenz gilt als die einzig echte Opposition im Land, die Geistlichen sind die Einzigen, die öffentlich an der Einheitspartei Kritik üben. Nach einigen Jahren des Aufschwungs sind die politischen Verhältnisse wieder düsterer geworden.

An Graz hat Ntamwana nur gute Erinnerungen, er pflegt bis heute seine Kontakte dorthin. „Ich bin dort so gut aufgenommen worden. Das war für mich der Beweis, dass wir tatsächlich dem einzigen Vater gehören. Wir sind alle seine Geschöpfe und wir haben dieselbe Würde.“

Selbst hat er sich der Versöhnung verschrieben. In Burundi kam es zu erbitterten Kämpfen und Massenmorden zwischen den Bevölkerungsgruppen Tutsi und Hutu – bewusst forciert von den deutschen und belgischen Kolonialmächten. Diese Zeit wirkt bis heute nach.

Und hier kommen die Ziegen ins Spiel. Sie sind nicht nur dazu da, Familien in der Hungersnot zu helfen – 56 Prozent der Kinder in Burundi leiden an chronischer Unterernährung. Die Ziegen sind auch Teil eines Friedensprojekts, eine Idee Ntamwanas.

Friedens-Klausel

Jede Frau, die eine Ziege bekommt, verpflichtet sich, das erste weibliche Nachkommen des Tieres an eine Frau einer anderen Bevölkerungsgruppe weiterzugeben. 

Schummriges Licht beim Interview mit dem Erznischof. Der Strom ist ausgefallen.

Schummriges Licht beim Interview: Der Strom ist ausgefallen, eine Notfalllampe wurde geholt.

Am Tag vor dem Gespräch mit Ntamwana waren 200 Frauen zu einer Ziegenverteilung gekommen, 100 von ihnen bekamen ein Tier und mussten sich mit jeweils einer anderen Frau vernetzen, um ihr das nächste Kitz übergeben zu können. „Ich bin nicht enttäuscht, dass ich heute keine Ziege bekommen habe“, sagt Belyse. „Ich habe ja ein Versprechen.“

Versöhnung ist für Ntamwana nicht nur ein Wort. Seine Brüder und sein Vater wurden ermordet – politisch motiviert. 

Einige Jahre später hat er den Soldaten ausfindig gemacht, der für den Tod seines Vaters verantwortlich war. „Ich möchte wissen, ob es wahr ist“, habe der Geistliche gesagt. Der Soldat habe geweint, nach fünf Minuten habe er es zugegeben, sei auf die Knie gegangen und habe um Vergebung gebeten. „Ich habe ihm im Namen meiner Familie vergeben. Es war für mich tief berührend. Ich habe mich frei gefühlt.

Gefahr

An Flucht habe er nie gedacht, auch wenn er seit seiner Priesterweihe sich nicht mehr unbewacht bewegen kann. „Ich möchte hierbleiben und das Evangelium Christi vertreten und verteidigen.“ Besonders gefährlich seien die ersten Jahre seines christlichen Dienstes gewesen, wie er sagt. 

Nach seinen kritischen Predigten sei er oft darauf angesprochen worden, ob er die Regierung damit in die Pflicht nehmen wolle – das sei bei selbiger nicht gut angekommen. Dann sei er im Zentralstadion in Bujumbura zum Bischof geweiht worden – also im Schutz der großen Öffentlichkeit. „Meine Güte“, soll einer der Minister damals gesagt haben. „Wir können nichts mehr gegen ihn tun.“

Die Verbindung zwischen Burundi und Österreich ist jedenfalls nach wie vor eng. „Wir haben drei Priester, die gerade in Graz sind, einer wohnt bei den Barmherzigen Brüdern. Es ist klar, dass man uns dort tatsächlich im Herzen trägt.“ I

In Burundi leben im Gegenzug Ziegen, die dank Österreicherinnen und Österreichern die Not etwas lindern. Und im besten Fall, zu ein bisschen mehr Frieden in der Welt beitragen.

Die Reise wurde zum Teil von der Caritas finanziert.

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