„Worüber man nicht sprechen kann, darüber soll man dudeln“
Dudeln, das ist so wie Jodeln, nur auf Wienerisch. Oder?
Eine, die es wissen muss, ist Agnes Palmisano, die Meisterin des Wiener Koloraturjodlers, Wienerliedsängerin und Erneuerin ebendieses Genres. Dass Wienerisch nicht ihre Muttersprache ist – auf diese Idee käme man nie. Tatsächlich aber liegen die Wurzeln der Künstlerin in Süditalien (daher der Name), Salzburg und im slowenischen Kärnten. Wienerisch war eine Fremdsprache.
Wie kam das Dudeln, eine Wiener Tradition, die durch Sängerinnen wie Maly Nagl oder die 2009 verstorbene Trude Mally bekannt wurde, zu Agnes Palmisano? Bei den Palmisanos daheim wurde immer viel gesungen, die Eltern hatten einander einst im Chor kennengelernt. Und irgendwann trat die Fernsehserie „Heidi“ in Agnes Palmisanos Kinderleben. „Heidis berühmter Jodler war mein erster Anknüpfungspunkt. Ich als Kind am Sessellift – ich konnte einfach nicht anders als jodeln.“
Als angehende Sonderschulpädagogin kam Palmisano mit Anfang 20 nach Wien und fand ihren Weg auf die Musikuni und zu Extrem-Schrammler Roland Neuwirth. „Ich wollte immer schon singen, aber dass das, was Spaß macht, auch Beruf sein kann, war mir nicht klar. Das Singen war auch ein Selbstfindungsprozess.“ Neuwirth hatte da gerade ein Buch mit Wienerliedern herausgebracht – inklusive zweier Dudler, die Palmisano sang und vom Fleck weg vom Wiener Volksliedwerk für das „Wean hean“-Wienerlied-Festival engagiert wurde. Mitte 20 war sie da und bald bekannt als die Dudlerin.
Der Almdudler
„Damals gab es wenige, die das konnten. Trude Mally, Tini Kainrath, Doris Windhager und eben ich. Das positive Echo hat mir gutgetan“, sagt sie. „Ich glaube, jeder kann Dudeln lernen. Es ist ein freier, spielerischer Zugang zur Stimme, ein angstfreies Ausprobieren – es erinnert an Babylallen, aus dem man Emotionen genau heraushört. Es braucht keine Worte. Frei nach Wittgenstein: Worüber man nicht sprechen kann, darüber soll man dudeln.“
Zurück zur Ausgangsfrage, dem Unterschied zwischen Jodler und Dudler. Er hat nichts mit Stadt und Land zu tun – bekanntlich wird auch auf der Alm gedudelt. Der Unterschied besteht in der Kunstfertigkeit und der Harmonik. „Das alpine Jodeln ist ein soziales Element, das Wiener Koloraturdudeln war immer eine Kunstform und für ein Publikum gedacht.“
Und gedudelt wird auch beim Hengl-Haselbrunner. Verheiratet mit dem Weinbauern Matthias Hengl, hat Agnes Palmisano den Heurigen Hengl-Haselbrunner mit Wiener Musik auch kulturell belebt. Szene-Größen und weniger Bekannte, natürlich auch Palmisano selbst, treten hier auf. Als das in der Corona-Zeit schwierig wurde, begann Fotograf Stephan Mussil, Konzerte unter dem Titel „Wiener Liedkunst“ aufzunehmen und ins Netz zu stellen. Zuerst sendete W24, nun sprang ORF III auf.
In der neuen Wiener Musikszene ist gerade viel los. Von Wiener Blond bis Voodoo Jürgens. Vieles, alles scheint möglich. „Ich denke nicht in Genres, kann für mich aber gut definieren, was ich für Wienerlied halte, und was nicht. Da gibt es natürlich Konstanten: Typisch fürs Wienerlied ist eine gewisse Harmonik und dass es keinen konstanten Beat gibt, sondern dass die Zeit gedehnt und komprimiert wird. Wie im richtigen Leben. Und der Text ist wichtig. Es muss eine Doppelbödigkeit geben. Das Wienerlied ist keine Nebenbeimusik. Es gibt Gruppen, die machen das genial. Das deckt sich leider nicht mit der Erfolgswahrnehmung.“
Doch egal, wie man’s definiert: Das Wienerlied wird wahrgenommen. Beim Heurigen, im Konzerthaus und demnächst auch im Fernsehen.
Die Dudler-Expertin
Nach der Ausbildung zur Sonderschullehrerin studierte Agnes Palmisano, 49, an der Universität für Musik und darstellende Kunst Gesang und setzte sich insbesondere mit dem Wiener Dudler auseinander, als dessen führende Interpretin sie heute gilt. Palmisano ist Dozentin für Wiener Lied an der Musik- und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien
Wiener Liedkunst
Beim Heurigen Hengl-Haselbrunner kuratiert Palmisano die Musikreihe „Wiener Liedkunst“, nun auch in Kooperation mit W24 und ORF III.
Termine: wienerliedkunst.at
Marie Weiler – das Stück
„Nestroy und die Frau Weiler. Ein szenischer Liederabend mit Musik“ – zu sehen in Wien am 18. 2. im Vindobona, am 18. 3. im Bockkeller. Dazwischen in Bad Erlach, Melk, Grein, Linz. Alle Termine unter agnes-palmisano.at
Dudeln wie die Weiler
Wichtig ist Agnes Palmisano momentan aber auch ein anderes Projekt: Marie Weiler. Die berührende Geschichte der Sängerin, Mutter, Hausfrau, betrogenen Geliebten und Managerin von Johann Nestroy. Langjährige Lebens- und Bühnenpartnerin des „österreichischen Shakespeare“, hatte sie den Humor und die Ausdauer, 35 Jahre an der Seite Nestroys ein allzu bekanntes Stück zu spielen: jenes vom berühmten Mann, der das nur geworden ist, weil eine Frau ihm den Rücken stärkte, selbst von der Bühne abtrat, ihm das Leben ermöglichte und vieles tolerierte. Die beiden waren nicht einmal verheiratet (er hatte bereits eine Frau, die ihn mit dem gemeinsamen Sohn sitzen ließ; Weiler kümmerte sich um das Kind, gebar Nestroy drei weitere).
Marie Weiler managte Nestroys Leben, war Muse, Sängerin, Lebensmensch. Selbst Künstlerin, ermöglichte sie ihm die Karriere. Ihr Name wurde erst 2004 am gemeinsamen Grab angebracht. Diese Geschichte bringt Palmisano nun auf die Bühne. Ohne politische Agenda, aber mit Leidenschaft. Und es wird natürlich gedudelt.
Ganz so, wie schon zu Nestroys, besser: zu Marie Weilers Zeiten.