Der Mann, der das Rapid-Stadion abreißen wollte, tritt ab

Ein Mann sitzt in einer Bank im Parlament
Wolfgang Gerstl legt Ende September sein Amt als Bezirksparteichef nieder. Dabei rumort es in Penzing so laut, dass man es bis in die Landespartei hört.

Es ist fast genau 15 Jahre her, da erschütterte ein politischer Vorstoß den 14. Bezirk: Das Hanappi-Stadion solle abgerissen und andernorts neu aufgebaut werden – und zwar auf dem Areal des leer stehenden Novotel in Auhof. Den Aufschrei der Rapid-Fans hörte man bis weit über die Bezirksgrenzen hinweg. Und die Wiener ÖVP geriet kurz vor der damaligen Gemeinderatswahl in Bedrängnis.

Denn hinter der Forderung stand niemand Geringerer als der damalige Gemeinderat und Penzinger ÖVP-Chef Wolfgang Gerstl.

Heute ist er ein Urgestein seiner Partei; die Ämter, die Gerstl im Lauf der Jahrzehnte bekleidete, sprengen jeden Rahmen: Der Jurist war Polizist und arbeitete im Verteidigungs- sowie im Innenministerium, wo er das Interpol-Büro leitete. In Wien war er unter anderem Bezirksrat und ÖVP-Landesgeschäftsführer (Ende der 90er unter Bernhard Görg), bevor er 2011 in den Nationalrat wechselte, dem er bis heute angehört.

Einem Job blieb er 29 Jahre lang treu: Jenem des Penzinger ÖVP-Chefs. Am 29. September endet seine Ära. Zwei Tage nach dem ÖVP-Landesparteitag wählt die Penzinger ÖVP einen neuen Obmann. Übernehmen soll Andreas "Eisi" Eisenbock, der im April als Spitzenkandidat die Bezirksvertretungswahl bestritt.

51.500 Hausbesuche

Gerstl sieht im KURIER-Gespräch die Zeit für einen Generationenwechsel gekommen: Nach rund 51.500 Hausbesuchen, die er nach eigener Berechnung absolviert habe, fordert er "Mut für Veränderung". Dafür brauche es einen Jüngeren, schrieb er zuletzt in einem Newsletter. Ein "Zugpferd", das "stark, jung und dynamisch" sei.

Er selbst bleibe "natürlich" als „Ideengeber“ erhalten. Das passt zu Gerstl. Er ist ein Ruhe- und Rastloser. Einer, der auffällt und umrührt. So war auch der Vorschlag, das Rapid-Stadion zu verlegen, symptomatisch für seine Art, Politik zu machen. Gerstl eckt an – intern wie in der öffentlichen Debatte.

In Erinnerung bleibt etwa, als er FPÖ-Chef Herbert Kickl (in Anspielung an die Polizeipferde) als "Gaulleiter" bezeichnete.

Innerhalb der ÖVP gilt Gerstl als konservativ

Für die ÖVP saß er anfangs als Delegationsleiter im Ibiza-U-Ausschuss, trat den Posten (aus gesundheitlichen Gründen) aber dann an Andreas Hanger ab. Innerhalb der ÖVP gilt Gerstl, der Mitglied der katholischen Studentenverbindung Norica ist, als Konservativer; 2015 stimmte er entgegen der Parteilinie gegen das Fortpflanzungsgesetz, dass Eizellenspenden gestattet und lesbischen Frauen eine künstliche Befruchtung ermöglicht.

Umtriebig war Gerstl zuletzt in der Causa Transgourmet. Er gilt als Verhinderer des Projekts, im Zuge dessen der Gastro-Händler einen Großmarkt samt Logistikzentrum an der Stadteinfahrt bauen wollte. Die ÖVP im Bezirk lief Sturm und lobbyierte, bis Transgourmet sich zurückzog. Gerstl und seine Getreuen verärgerten damit die eigene Landespartei, die sich lieber auf der Seite der Wirtschaft gesehen hätte. (Dass das umstrittene Areal jenes ist, auf dem Gerstl einst das Stadion neu aufbauen wollte, ist ein Treppenwitz der Geschichte.)

Die Strippen zu ziehen, darin gefällt sich der 63-jährige gebürtige Niederösterreicher. In der türkisen Landespartei gilt Penzing hingegen als "Problembezirk". Bei der jüngsten Bezirksvertretungswahl verlor man 11 Prozentpunkte und fiel mit 12,4 Prozent hinter Grüne und FPÖ zurück; auf Gemeinderatsebene kam man im Bezirk auf 10,9 Prozent.

Die Fraktion im Bezirk ist zerstritten

Viel schwerer wiegt, dass die Fraktion im Bezirk grob zerstritten ist. Im Wahlkampf wurde – wie der Standard berichtete – nicht nur über die Stromrechnung des Parteilokals diskutiert, die man einem Untermieter wohl unrechtmäßig weiterverrechnet haben dürfte. Explodiert ist auch der Streit um die Zusammensetzung der Kandidatenliste.

Eigentlich, so heißt es, hätten sich die ÖVP-Bünde im Bezirk auf eine ausgewogene Liste für die Bezirksvertretungswahl geeinigt gehabt: Neben Eisenbock, der vom Wiener Wirtschaftsbund kommt, hätte der ÖAAB prominente Plätze für sich verbuchen sollen. In der entscheidenden Sitzung des Parteivorstands kam dann alles anders. Gestrichen wurden Penzings ÖAAB-Obfrau Simone Schalk-Jaschke, Elisabeth Lerch-Muß sowie ihr Vater, der langjährige Mandatar Franz Lerch, der die Partei postwendend als „hinterhältige Truppe“ von „Lügnern und Ausgrenzern“ bezeichnete.

Insbesondere das Ausscheiden von Lerch-Muß, die als erste gehörlose Bezirksrätin Bekanntheit erlangte, sorgte für Unverständnis. Sie habe „tolle Arbeit geleistet“, sagen einstige Kollegen. Lerch-Muß beklagte die „Machtspielchen“ und trat im April mit ihrer eigenen Liste „Fair“ an.

Viele sehen Gerstl und Eisenbock als Drahtzieher der Aktion. Vor allem der ÖAAB war verschnupft. (Dass Gerstl auf Landesebene ÖAAB-Vizechef ist, ist ein weiterer Treppenwitz.) Gerstl wies damals alle Vorwürfe zurück.

Eisenbock hat als neuer Bezirksparteiobmann Gerstls Unterstützung. „Als Einziger hat er sich entschlossen, die Führung zu übernehmen – das verdient Respekt und Anerkennung“, schreibt dieser in seinem Newsletter. Für den 29. September bittet er um ein klares Votum für Eisenbock, der vom Vorstand einstimmig nominiert wurde.

Dass es mit der Einstimmigkeit weit her ist, darf bezweifelt werden. Partei-Insider stellen im Gespräch mit dem KURIER dem Obmann die Rute ins Fenster: Eisenbock sei mit dem erklärten Ziel angetreten, die Partei zu einen. "Ob ihm das gelingt, daran wird er zu messen sein." Und: "Wenn er daran scheitert, wird er nicht lange das Vertrauen genießen." Die ÖVP liegt in Penzing unter ihrem Potenzial. Jetzt müsse rasch "ein Aufwärtstrend spürbar werden", fordern Kollegen. Eisenbock war für den KURIER nicht erreichbar.

Und Wolfgang Gerstl? Er will "den Bezirksbewohnern erhalten bleiben und für sie noch mehr Energie in die Arbeit im Nationalrat stecken", sagt er. Künftig werde er sich stärker dem Thema der internationalen Sicherheit widmen.

2010 musste übrigens die damalige ÖVP-Obfrau Christine Marek ausrücken, um die Wogen bei Rapid zu glätten: "St. Hanappi" sei ein "heiliger Ort", erklärte sie. "Und heilige Ort versetzt man nicht."

Kommentare