Der Neustifter Kirtag in Döbling: Ein fast unpolitisches Fest

Archivbild aus einer anderen Zeit: Michael Ludwig, 2018 erst seit Kurzem Bürgermeister, mit der heutigen SPÖ-Finanzstadträtin Barbara Novak und dem damaligen FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache. Links hinten: Johann Gudenus und Dominik Nepp.
Dass am Neustifter Kirtag alle „blau“ seien, ist ein gut gealterter Wortwitz.
Dem übermäßigen Alkoholkonsum des zahlungskräftigen Publikums treten die Veranstalter immer wieder aufs Neue entgegen – dieses Jahr etwa legt man (mit einem erweiterten Kinderbereich) besonderen Wert darauf, ein Familienfest zu sein. Aber auch politisch will man das Feld nicht der FPÖ überlassen. Wo käme man denn da hin! Immerhin befinden wir uns im ÖVP-dominierten Döbling.
Der Neustifter Kirtag, der dieses Jahr von 21. bis 24. August über die Bühne geht, ist seit jeher Aufmarschgebiet von FPÖ und ÖVP. Das sorgt dahingehend immer wieder für Kontroversen, als sich das Fest nach außen hin als unpolitisch präsentiert. Lange Zeit, berichten Wegbegleiter des Kirtags, hätten sich alle Seiten dem politischen Stillhalteabkommen verbunden gefühlt.
Die Farbe der Stutzen
Warum dem seit geraumer Zeit nicht mehr so ist, darüber gehen die Erzählungen auseinander. Bei der ÖVP beklagt man, dass die FPÖ den Kirtag gekapert und immer mehr für ihre eigenen Zwecke genutzt habe, bis man sich gezwungen gefühlt habe, ebenfalls stärker aufzutreten. Bei den Blauen klingt die Geschichte ganz ähnlich – aber mit vertauschten Vorzeichen. Einig ist man sich in einem: Als ungekrönter König des Neustifter Kirtags galt lange Zeit Heinz-Christian Strache, der als damaliger FPÖ-Chef mit seinen Parteikollegen das Fest selbstbewusst zu seiner Bühne machte.
Und wer sich länger mit Parteienvertretern unterhält, landet jedenfalls beim Thema Socken – also bei den Stutzen, die die Männer zur Lederhose tragen. Die FPÖ habe einst – weil jede Form der offensichtlichen Parteienwerbung verboten ist – damit begonnen, blaue Stutzen zu tragen. Nicht sehr subtil – aber offenbar ausreichend provokant, um die ÖVP-Funktionäre dazu zu bewegen, ihrerseits in türkisen Stutzen zu erscheinen.

Hietzings Bezirkschefin Johanna Zinkl auf einem Archivbild mit türkisem Lebkuchenherz
Während die Sache mit den Stutzen noch als modische Spinnerei durchgehen konnte, gab es 2017 richtig Ärger. Verantwortlich war – wie so oft – der damalige Kanzler Sebastian Kurz, unter dem die ÖVP jeden Genierer verlor und am Kirtag unter anderem türkise Lebkuchenherzen mit Polit-Slogans verteilte. Die Nationalratswahl stand bevor, die FPÖ schäumte. Heute hat der Weinbauverein, der als Veranstalter auftritt, explizit in den Verhaltensregeln festgeschrieben, dass das Verteilen „von Werbematerial und sonstigen Gegenständen“ untersagt ist.

Die ÖVP-Politiker Gernot Blümel, Karl Mahrer, Sebastian Kurz, Adi Tiller und Daniel Resch im Jahr 2017.
Feiern auf gegenüberliegenden Straßenseiten
Feiern werden die Parteien auch dieses Jahr wieder auf gegenüberliegenden Straßenseiten: Die Wiener FPÖ trifft sich am Donnerstag traditionell im „Kronenstüberl“ von Michael Eischer, seines Zeichens Ex-Gemeinderat und derzeit FPÖ-Klubchef im Bezirk. Mit dabei ist die blaue Polit-Prominenz von Parteichef Dominik Nepp abwärts. Die Party kann sich – wie jedes Jahr – wohl sehen lassen.
Beim „Heurigen Wolff“ hat sich wie immer die ÖVP-Landespartei eingemietet. Die Familie rund um Heurigenchef Peter Wolff ist eng mit der ÖVP verbunden. Seine Tochter und Junior-Chefin Elisabeth Lindner-Wolff war nicht nur mehrfache Wiener Weinkönigin, sondern saß für die ÖVP bis zur Wahlschlappe im April auch im Bundesrat; derzeit ist sie Bezirksrätin in Döbling.

ÖVP-Party beim Heurigen Wolff.
Bei der ÖVP haben sich gleich mehrere Parteigranden angesagt: Mit dabei ist der neue Parteichef Markus Figl, der sich auf das Terrain seines internen Widersachers Daniel Resch begibt. Resch (der nach dem Abgang von Karl Mahrer den Nachfolgestreit gegen Figl verlor) ist als Döblinger Bezirksvorsteher so etwas wie der Hausherr des Kirtags und vier Tage lang überall gern gesehener Gast.
Figl, der in den vergangenen Jahren immer wieder hier war, nutzt den Termin für seine Sommertour „Gemeinsam gehts“. Beim Kirtag würden „Tradition und Brauchtum gepflegt“, sagt er zum KURIER. „Das feiern wir im Kreise der Volkspartei und mit den Menschen vor Ort.“
Mit dabei sein werden jedenfalls ÖVP-Wien-Klubchef Harald Zierfuß und Gäste aus der Bundespolitik. Kanzler Christian Stocker schafft es, anders als Vorgänger Kurz und Karl Nehammer, zwar nicht auf den Kirtag, hat aber die Ausrede, dass er Niederösterreicher und nicht Wiener ist. Zudem weilt er beruflich auf einer Auslandsreise. Fix zugesagt haben Staatssekretär Alexander Pröll sowie ÖVP-Generalsekretär Nico Marchetti.
Oft in Wien unterwegs
Letzterer ist in letzter Zeit auffällig oft politisch in Wien unterwegs. Überall dort, wo man Figl antrifft, ist Marchetti nicht weit; bei kleinen Bezirks-Events ebenso wie bei Figls Wandertag. Das mag daran liegen, dass Marchetti Bezirksparteiobmann in Favoriten ist, hat aber eher damit zu tun, dass er in der Landespartei hinter den Kulissen eine nicht unbedeutende Rolle spielt. Bevor Figl Parteichef wurde, galt Marchetti als Kandidat für diesen Posten. Mahrers Rücktritt kam für ihn aber zur Unzeit, er war da gerade erst Generalsekretär im Bund geworden.

Heurigenwirt Peter Wolff (re.) mit Nichte Iris-Maria Wolff (Weinkönigin im Jahr 2021) und Döblings Bezirksvorsteher Daniel Resch
Und was ist mit der SPÖ? Bürgermeister Michael Ludwig ist generell kein Freund des
Alkohol-geschwängerten Umtata. Sein letzter großer (Anstands-)Besuch am Neustifter Kirtag datiert auf 2018, da war er neu im Amt. Und 2024 rettete er das Fest, als es in finanzielle Schieflage kam. Wiens SPÖ und ÖVP spendeten an den Kirtag je 12.500 Euro.
Vor Ort ist meist Barbara Novak, die oberste Vertreterin der SPÖ. Sie ist als rote Parteichefin in Döbling prädestiniert für den Job. Auch dieses Jahr ist sie als frischgebackene Finanzstadträtin dabei und wird den Kirtag offiziell (mit-)eröffnen. Der einstige König des Kirtags, Heinz-Christian Strache, kommt nicht. Er ist von Donnerstag bis Sonntag beruflich in Kärnten.
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