Neustifter Kirtag: Wien-Döbling ist vier Tage im Ausnahmezustand

Von Johanna Worel und Christoph Schwarz
Dirndl und Lederhose, Spritzer und Schweinsbraten, Polit-Schaulauf und laute Schlager. Aber auch: Gesperrte Straßen, schlaflose Nächte für Anrainer und Stress für Polizei und Rettung. Von 21. bis 24. August geht im 19. Bezirk auch dieses Jahr wieder der beliebte Neustifter Kirtag über die Bühne.
Die Tradition besteht bereits seit dem 18. Jahrhundert (siehe Infobox) und hat sich – mit der einen oder anderen Neuerung – bis heute gehalten. Nachdem in den vergangenen Jahren finanziell dunkle Wolken über dem Kirtag aufzogen, blicken die Veranstalter dem Fest dieses Jahr mit ungetrübter Laune entgegen.
Das Jahrhundert der Französischen Revolution und der Impfung gegen Pocken war zugleich das Jahrhundert des ersten Neustifter Kirtag: Das idyllische Dorf am Stadtrand Wiens lebte vom Wein. Doch im Jahr 1753 war die Ernte schlecht und viele Weinbauern gerieten in wirtschaftliche Schwierigkeiten.
In ihrer Not schlossen sich die Winzer zusammen und fertigten eine Erntedankkrone an – aus Getreide, Blumen und bunten Bändern. Sie zogen nach Schönbrunn, um bei Kaiserin Maria Theresia persönlich vorzusprechen. Ihre Bitte: eine Steuerbefreiung, um das Überleben ihrer Weingüter zu sichern.
Die Kaiserin gewährte die Bitte unter einer Auflage: Die Krone müsse zurück nach Neustift und die Winzer müssten fortan jedes Jahr ein Fest zu Ehren der Ernte abhalten – der Kirtag war geboren. Seinen Termin erhielt er durch die Rochuskapelle im Ort: Der Heilige Rochus, Schutzpatron gegen Seuchen, hat seinen Gedenktag am 16. August – gefeiert wird seither am darauffolgenden Wochenende.

Archivbild aus den 1960er-Jahren: Umzug der Krone.
Im Vorjahr spendeten Wiener SPÖ und ÖVP gemeinsam 25.000 Euro, um dem Weinbauverein Neustift unter die Arme zu greifen. „Diese Anschubfinanzierung hat uns sehr geholfen, dieses Jahr haben wir neue Sponsoren gefunden“, sagt Peter Wolff, Chef des großen gleichnamigen Heurigenbetriebs.
Eigener Kinderbereich
Die neuen Sponsoren sorgen auch für einige der Änderungen am Kirtag: Dieses Jahr werden die Gäste keine Geldsorgen mehr plagen. (Zumindest nicht am Abend selbst, für den nächsten Morgen kann niemand eine Garantie übernehmen...) Wer das Glück hatte, einen der heiß begehrten Heurigentische zu ergattern, kann heuer dank Sponsor Card Complete bei allen Betrieben bargeldlos zahlen.
Für alle, die lieber Bares in der Tasche haben, stellt Raiffeisen zwei mobile Bankomaten auf: Das Knobeln, wer zum rund zwei Kilometer entfernten Automaten wandern muss, entfällt also.

Auch darauf, dass der Neustifter Kirtag ein „Fest für die ganze Familie“ sein soll, wolle man sich besinnen, sagt Wolff. Es gebe einen eigenen Kinderbereich, sogar mit einem Riesenrad will man aufwarten.
Rot, blau und türkis
Insgesamt will man auch dieses Jahr wieder bis zu 80.000 Gäste nach Neustift holen. Den Streit mit den Wiener Linien, die in der Vergangenheit für die Umleitung der Öffis und den Ordnerdienst hohe Rechnungen stellten, hat man auch beigelegt.
Und weil ein Kirtag ohne Prominenz nur halb so bunt wäre, darf natürlich auch die Politik nicht fehlen. Zur Eröffnung werden unter anderem Bezirksvorsteher Daniel Resch (ÖVP), der Wiener FPÖ-Chef Dominik Nepp und SPÖ-Finanzstadträtin Barbara Novak erwartet. Vor allem FPÖ und ÖVP nutzen den Kirtag als Polit-Treffpunkt. Die ÖVP feiert traditionell beim „Wolff“, die FPÖ hingegen in „Eischer‘s Kronenstüberl“.
21. bis 24. August
Am Donnerstag starten die Festivitäten mit dem Umzug der Hauerkrone. Treffpunkt ist um 17.30 Uhr beim „S’Pfiff“. Um 18 Uhr wird beim „Heurigen Wolff“ der Kirtag offiziell eröffnet. In den Folgetagen wandert die Krone von Winzer zu Winzer – alle Termine auf neustifterkirtag.at. Am Morgen des letzten Tages, am Sonntag, findet um 10.00 Uhr die Feldmesse beim „Friseurmüller“ statt. Die Krone beendet
ihre Reise am Sonntag um 17.00 Uhr im „Schreiberhaus“.
Anfahrt mit den Öffis
Die Buslinie 41A fährt ab Pötzleinsdorf zur Station „Neustifter Friedhof, 1. Tor“. Der 35A endet bei der Station „Agnesgasse“. Die Intervalle des 35A werden verkürzt; ab 2.00 Uhr fährt der Nachtbus N35 die gewohnte Strecke.
Afterparty mit Dr. Bohl
Im „O-Klub“ im 1. Bezirk findet an allen Tagen ab 23.00 Uhr eine Afterparty statt. Im Ticketpreis ist eine Shuttlefahrt von Neustift zum Klub inkludiert. Am Samstag legt Kabarettist Dr. Bohl auf.
Michael Eischer spielt eine zentrale Rolle bei der Planung und Umsetzung des Trachtenfests – seit 1968, damals sechs Jahre alt, hat er keinen Kirtag verpasst. „Nach Donnerstag ist Politik bei uns kein Thema mehr – beim Kirtag geht es ums Ausgelassensein und Feiern. Da ist Politik nebensächlich“, sagt Eischer.
Er verweist auf einen Beschluss des Weinbauvereins, der Parteienwerbung am Kirtag verhindern oder zumindest einschränken soll. Lange Zeit gelang es tatsächlich, das Fest weitgehend unpolitisch zu gestalten – dann rüsteten FPÖ und ÖVP auf. Wer zuerst damit begann? Kommt darauf an, wen man fragt.
Gefeiert wird bis Sonntag
Gefeiert wird übrigens auch dieses Jahr wieder bis Sonntag, nicht (wie früher) bis Montag. Kaum sind die letzten Überreste beseitigt, die Tische gewischt und die Gläser gewaschen, geht es wieder von vorne los. Am Montag nach dem Fest kommt der Weinbauverein zusammen, zieht Resümee und plant für das kommende Jahr. „Ganz nach dem Motto: Nach dem Kirtag ist vor dem Kirtag“, sagt Eischer.
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