Wohin Wiens neuer ÖVP-Chef Markus Figl seine Partei führen will

ÖVP-Chef Markus Figl mit Funktionären und Anhängern: Das Wandern soll Gelegenheit bieten, um über Inhalte zu sprechen.
Der einstige SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer tat es, sein Nach-Nach-Nachfolger im Kanzleramt Sebastian Kurz und Bundespräsident Alexander Van der Bellen eiferten ihm nach, und auch FPÖ-Chef Herbert Kickl zählt zum erlauchten Kreis: Österreichische Spitzenpolitiker und das Wandern – das ist so eine Sache. Die Berge sind politisch.
Manch einer gilt auch privat als eingefleischter Wanderer und Bergsteiger. Kickl etwa, der in der Steiermark unter anderem eine Kletterroute erstbegangen und selbst benannt hat („Der geheime Schwob“). Sie kam in die Medien, als sie von linken Aktivisten zerstört wurde.

Auch Sebastian Kurz wanderte später mit Hunderten im Schlepptau.
Andere wander(te)n zumindest medienträchtig, wenn auch nicht nur erfolgreich: Sebastian Kurz inszenierte sich 2019 quer durch die Bundesländer in den Bergen – und sah sich nachher mit dem Vorwurf konfrontiert, die ohnehin kräftigen Teilnehmerzahlen zusätzlich frisiert zu haben. Gusenbauers Radlerhosen wiederum haben auf ewig einen Platz im politischen Kuriositätenkabinett der Republik. Daraus lernen wir: Öffentlich zu wandern birgt durchaus politische Gefahren.

Alfred Gusenbauer sollte als „bürgernah“ präsentiert werden. In Erinnerung blieb eher die hautenge Radlerhose.
Der neue Wiener ÖVP-Chef Markus Figl lässt sich davon nicht abschrecken. Er hat am Freitag seine Sommertour gestartet. Und wandert. Oder, wie man in seiner Partei sagt: Er spaziert. Man wolle ja „niemanden abschrecken“, heißt es mit Augenzwinkern. Erstbesteigungen wie bei Kickl sind demnach nicht zu erwarten, Figl begibt sich auf gut erschlossenes Terrain. Er wandert fünf Mal auf Wiens Wanderwegen. Am Freitag ging es von der 31er-Endhaltestelle in Stammersdorf zum Bisamberg, am Samstag auf die Steinhofgründe. Drei Termine folgen im August. Figl spaziert durch den Prater, im Lainzer Tiergarten und von Gersthof bis nach Neustift. Man wolle, heißt es, „die schönsten Grätzeln der Stadt neu entdecken“ und allen die Möglichkeit geben, sich mit dem Parteichef über Inhalte auszutauschen.
Keine normale Sommertour
Keine ganz normale Sommertour. Für Figl ist ihr Gelingen von großer Bedeutung. Darauf lässt auch der Name der Tour schließen, die Figl „Gemeinsam geht’s“ getauft hat. Nicht nur ein gelungenes Wortspiel – sondern ein Appell an die Funktionäre. Denn: Bis zur nächsten Wien-Wahl hat Figl zwar fünf Jahre Zeit – intern muss er sich mit seiner Positionierung hingegen beeilen. Im Herbst, konkret am 27. September, steht ein Landesparteitag an. Dort soll Figl vom designierten zum gewählten Parteichef werden.
Mit wie viel Prozent Zustimmung das gelingen wird, ist offen. Die ÖVP steht nach der Kampfabstimmung um den Chef-Posten zwischen Figl und Döblings Bezirkschef Daniel Resch nach der verlorenen Wien-Wahl nicht unbedingt geeint da. (Ob Resch an der Wanderung durch „sein“ Neustift am 30. August teilnehmen wird oder nicht, hat somit Signalwirkung.)
Das „Gemeinsam geht’s“ stehe auch für den Polit-Stil Figls, ist aus der ÖVP zu hören. Tatsächlich gilt er als ruhiger Sachpolitiker und Verbinder über Parteigrenzen hinweg. (Bewiesen hat er das etwa bei der Einigung über die verkehrsberuhigte Innenstadt.) Sein gutes Auslangen mit der rot-pinken Stadtregierung kann für Figl in seiner Doppelrolle aber auch zur Herausforderung werden.
Kuscheln mit der SPÖ
Als Bezirksvorsteher der City (einerseits) ist er auf Zusammenarbeit mit Rot-Pink angewiesen, wenn er Erfolge für seine Bezirksbewohner für sich verbuchen will. Zuletzt präsentierte er mit SPÖ-Stadträtin Ulli Sima einträchtig die Umgestaltung von Postgasse und Dominikanerbastei. Als Oppositionschef muss er (andererseits) kantig gegenüber SPÖ und Neos auftreten.

Als Bezirkschef muss Figl mit der SPÖ kooperieren – im Bild mit Stadträtin Ulli Sima.
Die Themen, mit denen sich die ÖVP positionieren will, sollen ab Herbst in einem zweijährigen Prozess erarbeitet werden. Figl, der als Kenner der politischen DNA der ÖVP gilt, wolle eine tiefgreifende Auseinandersetzung mit den eigenen Positionen anstoßen, ist zu hören. Das passt zur Ansage des türkisen Bundes-Generalsekretärs und Figl-Unterstützers Nico Marchetti, der aktuell in mehreren Medien von der eigenen Partei eingefordert hat, sich in den Städten „inhaltlich innovativer“ aufzustellen: „Nicht die Wähler müssen sich ändern, sondern die ÖVP.“
Dass Figls inhaltlicher Prozess so breit aufgesetzt ist und erst nach dem Parteitag startet, gefällt freilich nicht allen. Vor allem jenen nicht, die nach dem 27. September vielleicht nicht mehr dem engsten Führungskreis angehören.
Von mehreren Seiten wurde dem KURIER bestätigt, dass Figl eine Statutenreform plant. Die Stoßrichtung: Die ÖVP soll in der Führung schlanker werden – wie einst unter Gernot Blümel. Blümel hat Gremien abgeschlankt und Entscheidungen bei sich und seinen engeren Mitstreitern gebündelt. Nachfolger Karl Mahrer hat die Strukturen wieder aufgeblasen – unter anderem mit sechs Obmann-Stellvertretern, mehr Einfluss für die Bünde, vergrößertem Vorstand und Präsidium. Figl will offenbar zurück zum Modell Blümel.
Die ersten Wanderungen verliefen übrigens gut für den ÖVP-Obmann. Auch modisch. Markus Figl kam stilsicher in Jeans.
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