Klimaforscher: „Wien ist besonders betroffen“

Klimaforscher: „Wien ist besonders betroffen“
Interview mit Klimaforscher Simon Tschannett über die Hintergründe und dringend notwendige Maßnahmen.

Hitzewellen, starke Niederschläge, heftige Winde und Unwetter – die Wetterkapriolen nehmen zu, das globale Klima ist im Wandel. Auf die Begrenzung der weltweiten Erwärmung auf maximal zwei Grad – im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter – hat man sich international bereits geeinigt. Wie das aber genau geschehen soll, ist noch nicht klar. Doch selbst wenn es gelingen sollte, rechnen Klimaforscher mit spürbaren Folgen. Wie sehen diese für Wien aus?

KURIER: Auch in Wien häufen sich die Wetterextreme. Woran liegt das?

Simon Tschannett: Aufgrund seiner Lage und der Bevölkerungsentwicklung zählt Wien laut neuen Studien zu den Städten Europas, die am meisten von der Klimaerwärmung betroffen sind. Modellrechnungen zufolge könnte es in Wien im Jahr 2080 günstigstenfalls so warm werden wie bislang im südfranzösischen Marseille. Das klingt vielleicht vorerst nicht schlimm, bedenkt man aber, dass Wien nicht am Meer liegt, also nachts keine kühle Brise hat, nicht entsprechend gebaut und auch kulturell anders ist – Stichwort Lebensstil/keine Mittagspausen etc. –, dann ist es schwerwiegend. Unser gesamter Alltag würde sich verändern.

Und im ungünstigen Fall?

Sollten keine adäquaten Klimaschutzmaßnahmen erfolgen und eine globale Erwärmung von 4,2 Grad eintreten, wären die Auswirkungen gravierend. Dann würde Wien in 60 Jahren dem heutigen Dakar gleichen, der Hauptstadt des westafrikanischen Senegal. Temperaturen über 30 Grad im Sommer wären die Norm und wir hätten keine Winter mehr, wie wir sie kennen – statt um Heizung müssen wir uns dann um Kühlung kümmern.

Was macht Wien vom Klima her so besonders?

Wien befindet sich zwar mitten auf dem Kontinent, hat aber so viel Wind wie andere Städte an der Küste. Auch die Windverteilung ist in Wien speziell – es kommt insbesondere der Südostwind vor, teilweise bläst dann der starke Nordwestwind. Aufgrund der Windverteilung in Wien spürt man tagsüber meist eine leichte Brise, in der Nacht jedoch, auch während der Hitzewellen, schläft der Wind quasi ein bzw. befindet sich eher über der Stadt. Dies müsste man schon bei der Planung neuer Wohnungszuschnitte berücksichtigen, vor allem bei Hochhäusern mit Freiflächen bzw. Terrassen.

Klimaforscher: „Wien ist besonders betroffen“

Der Klimaforscher Simon Tschannett ist Geschäftsführer von "Weatherpark", dem führenden österreichischen Unternehmen für Stadtklimatologie und Windforschung.

Warum aber zählt gerade Wien zu den am meisten von der Klimakrise betroffen Städten?

Weil generell ganz Österreich stark betroffen ist. Eine Erwärmung um zwei Grad würde sich hier doppelt, also um vier Grad Celsius, auswirken. Das liegt an den Übergangsregionen von verschiedenen Klimazonen. Wien liegt am Alpenostrand, ist eher schon vom pannonischen Klima beeinflusst, dadurch kann es häufige und längere Hitzewellen geben. Dabei geht es nicht nur um die höchste Tagestemperatur, sondern auch darum, dass die Hitzephasen im Sommer länger andauern, ohne Verschnaufpausen. Man nimmt an, dass es in ein paar Jahrzehnten durchschnittlich bis zu 70 Tage mit über 30 °C im Sommerhalbjahr geben wird. Außerdem besteht auch Wien aus unterschiedlichen Regionen – vom flachen Marchfeld bis zum hügeligen Wienerwald, und jede dieser Wienteile hat eigene Mikroklimabedingungen.

Was kann man sich konkret darunter vorstellen?

In den Tälern und Gräben vom Wienerwald etwa sammelt sich kalte Luft und fließt dann langsam in die Stadt hinein. Im Osten wiederum gibt es nur schwache Flurwinde. Da ist es wichtig, sich bei er Bebauung genau zu überlegen, wie man neue Gebäude hinstellt, wo es Parks gibt, wo einzelne Bäume, um auch die schwachen Winde zielführend zu steuern.

 

Welche Maßnahmen sind sonst noch erforderlich?

Es gibt Maßnahmen, die jeder Einzelne treffen kann, wie z. B. außenliegende Beschattung mit Rollläden oder Jalousien, damit Wohnungen angenehm gekühlt bleiben. Aber kaum redet man über solche einfachen Maßnahmen, kommen Fragen auf, wie: Ist es derzeit überhaupt – vom Stadtbild her – erlaubt? Welche Genehmigungen braucht es? Und da wird es oft sehr kompliziert, da viele MA-Abteilungen involviert sind und das Mietrechtsgesetz hinsichtlich Klimamaßnahmen überholt ist. Dabei müsste man allein das in ganz Wien sehr schnell umsetzen. Hinzu kommt eine Fülle an Maßnahmen, die die Stadtverwaltung treffen muss – und zwar im Rahmen einer gesamten Klimastrategie, um an vielen Stellen in der Stadt den jeweils richtigen Maßnahmenmix einzusetzen. Einzelne Bäume oder Dachbegrünungen sind gut, werden aber weder den -Ausstoß entscheidend minimieren, noch die Mobilität verändern.

Viele Experten warnen auch vor anderen hausgemachten Fehlern, etwa der Versiegelung von Böden.

Hitzeinseln bilden sich dort, wo es viele versiegelte Flächen gibt – der Schwarzenbergplatz ist etwa einer der heißesten Orte in Wien. Schatten und auch Wasseranlagen helfen. Generell gilt: Je weniger Asphalt und versiegelte Flächen, desto besser kann die Stadt „atmen“, also Hitze aufnehmen und kühlend wirken. Durch ein sogenanntes und in anderen Städten bereits erprobtes „Schwammstadt-Prinzip“ – in der Seestadt Aspern wird es übrigens umgesetzt – kann man dafür sorgen, dass auch heftige Regengüsse bei Unwettern vor Ort aufgefangen werden, in große Wurzelräume gelangen – statt wie jetzt nur in die Kanalisation – und in Trockenperioden dann die Bäume quasi von unten längere Zeit bewässern.

Welche positiven, zielführenden Aktionen gibt es bereits in Wien?

Die Stadt Wien plant unter anderem, bis 2025 10.000 neue Bäume zu pflanzen. Sie werden Schatten spenden – wenn sie einmal gewachsen sind. Hier braucht es auch Übergangslösungen. Überdachungen können helfen, damit sich Fußgänger und Radfahrer im Sommer an überhitzten Straßenkreuzungen entspannt aufhalten können und nicht an einer roten Ampel von der Sonne gebraten werden.

Was würden Sie als Stadtklimatologe der Stadtregierung raten?

Für eine fundierte klimafreundliche Stadtplanung bedarf es zunächst einmal einer Stadtklimaanalyse. Wenn man weiß, von wo frische Luft in die Stadt hereinkommt oder wo Hitzeinseln entstehen, kann man umsichtig reagieren. Da geht es zum Beispiel um das Erkennen von Frischluftschneisen und um das Vermeiden von weiteren versiegelten Flächen. Aber auch Hochhausanlagen können zu einer klimafreundlichen Stadt beitragen. Durch die Verdichtung an einem Ort kann man andere Flächen dann entsiegelt lassen. Und eine Stadtklimaanalyse hilft, Negativbeispiele wie derzeit bei Schönbrunn künftig zu vermeiden. Hier versiegelt man gerade mitten in der Frischluftschneise aus dem Wienerwald eine riesige Parkfläche mit Asphalt. Eine Maßnahme, die Auswirkungen auf die Hitze entlang des Wientals haben wird. Die Fläche wird sich am Tag aufheizen und in der Nacht dann die frische, kühle Luft erwärmen, die gerade auf ihrem Weg in die Stadt hinein ist und eigentlich für Abkühlung sorgen sollte.

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