Interview: „Viele Besucher erblassen vor Neid“

Interview: „Viele Besucher erblassen vor Neid“
Wiener Wohnen-Direktorin Karin Ramser über Entwicklungen, Chancen und Hürden im Gemeindebau.

Sie selbst ist zwar nicht in einem Gemeindebau aufgewachsen, aber viele ihrer Freunde und Bekannten. So hat Karin Ramser schon als Kind vor allem in den grünen Innenhöfen des Rabenhofes gespielt.

Heute besucht sie manchmal das dort ansässige Theater oder hat in einem anderen Wiener Gemeindebau beruflich zu tun. Schließlich ist die 47-jährige seit eineinhalb Jahren Direktorin von „Wiener Wohnen“ und damit Chefin der größten kommunalen Hausverwaltung in Europa.

KURIER: Was hat, historisch gesehen, den Sozialbau in Wien besonders geprägt?

Karin Ramser: Er war die Reaktion auf die für uns unvorstellbare Wohnungsnot, die vor hundert Jahren in Wien geherrscht hatte. Man muss sich vorstellen, dass im Vergleich zu heute damals nur ein Bruchteil verbaut war, dabei aber mehr als zwei Millionen Menschen in Wien lebten.

Das Wunder seither ist für mich, dass es alle Gemeindebauten immer noch gibt. Man hat sich ihrer nie als Tafelsilber bedient, um das Budget zu sanieren. Da gab es auch stets einen politischen Willen – der Gemeindebau hier blieb immer unangetastet.

Was waren und sind die Ihrer Ansicht nach größten Herausforderungen?

Eine enorme Herausforderung waren sicher die massiven Zerstörungen an Gemeindebauten nach dem Zweiten Weltkrieg. Heute, angesichts der stetig wachsenden Stadt, ist es herausfordernd, diesen inzwischen so riesigen Hausbestand zu erhalten.

Es gibt mehr als 220.000 Gemeindebauwohnungen in Wien, in denen eine halbe Million Menschen wohnt. Wir haben Bauten aus allen Schaffensperioden – von der Ziegelbauweise bis zum Plattenbau.

Das stellt auch die Sanierungsprojekte vor etliche Hürden: Häufig ist es ein Unternehmen, das sich von der Planung bis zur Fertigstellung über mehrere Jahre zieht. Die Sanierung jeder Anlage ist anders, weil auch jedes Haus anders ist.

Das macht aber auch den Charme der Wiener Gemeindebauten aus ...

Ganz sicher sogar! Experten, internationale Delegationen, aber auch Reisende, die nach Wien kommen, erblassen oft vor Neid, wie viele Wohnungen uns hier zur Verfügung stehen und in welcher Beschaffenheit und Vielfalt. Dieses Volumen ist weltweit einzigartig.

Woran liegt das?

Alle anderen, die zumindest vergleichbare Anlagen hatten, haben privatisiert. In Berlin beispielsweise sind die meisten staatlichen Wohnungen verkauft worden. In Wien wurde zudem immer viel Wert auf die architektonische und technische Bauweise gelegt.

Da ging’s nie schnell schnell, nie quick and dirty sozusagen, sondern immer mit viel bautechnischem Wissen, guter Planung und einem bewussten Gefühl für die Bedürfnisse der Menschen zu der jeweiligen Zeit.

Wie sehr haben sich diese Bedürfnisse der Bewohner im Laufe der Jahre verändert?

Sie korrespondieren gewiss mit dem privaten Markt sowie mit dem Genossenschaftsbau. Zu den größten Veränderungen gehört der extreme Anstieg von Singlewohnungen – die Zahl hat sich seit 2000 verdoppelt.

Zweitens sind die Lebensverläufe immer seltener linear. Bei einer Scheidung etwa braucht oft auch der Vater eine größere Wohnung, weil seine Kinder die Hälfte der Zeit bei ihm sind und nicht mehr nur bei der Mutter, wie es früher eher üblich war. Und drittens haben sich Wohnansprüche auch durch die nicht mehr linearen beruflichen Verläufe verändert.

Nur wenige arbeiten heute noch ein Leben lang bei einem Unternehmen. Durch den häufigeren Jobwechsel kommt es auch zu Einkommensveränderungen, die sich wiederum auf den Lebensstil und die Wohnansprüche auswirken.

Wie wirkt sich all das auf die Verwaltung der Gemeindebauten in Wien aus?

Wir schauen darauf, dass vermehrt Kleinwohnungen zur Verfügung stehen. Außerdem sind wir bemüht, nicht mehr alles aufzukategorisieren. Wenn beispielsweise ein Student mit einer Dusche in der Küche zufrieden ist, weil er dadurch weniger Monatsmiete zahlt, ist es uns recht und wir müssen es nicht zwingend ändern.

Wichtig ist, dass ein guter Mix vorhanden ist – von der Singlewohnung über eine mittelgroße Wohnung bis zu Wohnobjekten für Großfamilien.

Wie sehen die Ausstattungskategorien im Gemeindebau aus?

Mehr als zwei Drittel aller Gemeindewohnungen entsprechen der Kategorie A, haben also mindestens 30 m², WC, Bad, Heizung und Warmwasser. Auf Wunsch bieten wir aber auch Wohnungen der Kategorie B oder C an.

Diese haben dann zum Beispiel eine Gaskonvektorheizung oder Bad und Küche sind zusammengelegt. Kategorie D, also Wohnungen mit WC auf dem Gang, gibt es nicht mehr.

Welcher Gemeindebau ist Ihr persönlicher Favorit ?

Der Rabenhof, weil ich im dritten Bezirk aufgewachsen bin und dort oft mit Schulfreunden gespielt habe. Außerdem symbolisiert er für mich das grundlegende Motto des Wiener Gemeindebaus: Licht – Luft – Sonne.

Interview: Susanna Sklenar

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