Wer sich in letzter Zeit am freien Markt um eine neue Wohnung in Wien umgeschaut hat oder zumindest Bekannte im näheren Umfeld hat, die sich mit Umzugsgedanken tragen, wird diesem Befund ziemlich sicher zustimmen können. Plus 31 Prozent bei Kauf, plus 12 Prozent bei Miete betrug die Steigerung alleine seit 2018.
Berechnet hat das die Nationalbank, die darum vor einer „zunehmenden Überhitzung des Wohnimmobilienmarktes“ warnt. In Wien liegt die Überbewertung mittlerweile bei 40 Prozent.
Aber warum, wenn doch in den vergangenen vier Jahren so viele Projekte fertiggestellt wurden wie schon lange nicht?
Das hat sich nun erstmals der Forschungsbereich für Finanzwissenschaft und Infrastrukturpolitik der TU im Auftrag der Wiener Arbeiterkammer (AK) angesehen. Zentrales Ergebnis: „Es wird nicht fürs Wohnen, sondern fürs Anlegen gebaut“, sagt Thomas Ritt, Leiter der Abteilung Kommunalpolitik und Wohnen der AK Wien.
Freier Markt
Rund 59.000 Wohnungen wurden zwischen 2018 und 2021 fertiggestellt, das sind in etwa doppelt so viele wie der Bedarf im selben Zeitraum. „Auffallend“ ist laut Studie jedoch das zunehmende Gewicht des frei finanzierten Sektors: Kamen im Jahr 1994 auf jede dieser Wohnungen 7,3 geförderte, waren es 2017 nur mehr 0,7.
Verortet man das auf einer Karte, zeigt sich ein Problem im Problem: Sind frei finanzierte Wohnungen recht regelmäßig im Stadtgebiet verteilt, zeigt sich bei geförderten Wohnungen eine starke Konzentration in den nördlichen, östlichen und südlichen Außenbezirken (siehe Grafik unten). Innerhalb des Gürtels wurde während der vergangenen vier Jahre keine einzige gemeinnützige Wohnung errichtet.
Das verschärft dort die Situation, liegt der durchschnittliche Mietpreis für frei finanzierte Wohnungen mit 5 bis 6 Euro pro Quadratmeter doch unter der Hälfte der Preise auf dem freien Markt.
Anlagewohnungen auf dem Vormarsch
Dazu kommt, dass immer mehr Wohnungen als Geldanlage gekauft werden. Rund 10.600 der zwischen 2018 und 2021 von gewerblichen Bauträgern errichteten Wohnungen gingen an Investoren, drei Viertel davon an finanzmarktnahe Akteure wie Banken, Versicherungen und Fonds. Zunehmend drängen auch Anleger aus dem Ausland auf den Wiener Markt: Sie machen in diesem Segment bereits 57 Prozent der Käufer aus.
„Vor 20 Jahren war es kein Problem für einen gemeinnützigen Bauträger, überall im Stadtgebiet zu bauen“
von Thomas Ritt
Leiter der Abteilung Kommunalpolitik und Wohnen, Arbeiterkammer Wien
Zu guter Letzt liegt die Leerstandsrate im Median bei 15 Prozent – weswegen die AK eine wirksame Leerstandsabgabe fordert. Darüber hinaus wünscht sich Wohnexperte Ritt ein Verbot befristeter Mietverträge für gewerbliche Vermieter, eine Beteiligung gewerblicher Bauträger an Infrastrukturkosten und ein noch intensiveres Anbieten öffentlicher Grundstücke für den gemeinnützigen Wohnbau durch den Wohnfonds.
Gaál fordert bundesweite Leerstandsabgabe
Maßnahmen, denen Wohnbaustadträtin Kathrin Gaál (SPÖ) zum Teil durchaus etwas abgewinnen kann. Sie sieht aber vorwiegend den Bund in der Verantwortung, „aus seinem wohnungspolitischen Dornröschenschlaf aufzuwachen“ und neben der Reform des Mietrechts („Das jetzige Mietrecht hat jeden Bezug zur Realität verloren“) auch das Thema Leerstand anzugehen.
In Wien habe man mit der Widmungskategorie „geförderter Wohnbau“ bereits einen „Meilenstein“ gesetzt. Seit 2019 müssen bei jeder Neuwidmung ab einer Wohnnutzfläche von 5.000 Quadratmetern zwei Drittel leistbarer Wohnraum geschaffen werden. Zusätzlich werde die Stadt künftig vornehmlich Baurechte vergeben, anstatt ganze Grundstücke zu verkaufen – „damit kann die Stadt Wien eine strategisch beutende Grundstücksreserve halten“, so Gaál.
Schließlich verweist die Vizebürgermeisterin auf die 2019 wieder aufgenommene Errichtung neuer Gemeindebauten. So wurden am Handelskai unlängst 300 Wohnungen übergeben – „mit leistbaren und unbefristeten Mieten“.
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