Wirtschaftskammerchef: "Wien braucht Arbeitsmarktgipfel"
Wien hat die höchste Arbeitslosenrate in Österreich. Walter Ruck, Wiener Wirtschaftskammerpräsident, schlägt daher vor, Lohnnebenkosten zu senken und die Arbeitszeiten zu flexibilisieren. Für Wien wünscht er sich einen Bürokratieabbau
KURIER: Herr Ruck, was bedeutet der 1. Mai für sie?
Walter Ruck: Es ist der Tag der Arbeit. Man darf aber nicht vergessen, wer Arbeitsplätze schafft. Für mich als Unternehmervertreter bedeutet der 1. Mai auch, dass es keine Arbeit ohne Arbeitgeber gibt.
In Wien ist zwar die Zahl der Beschäftigten gestiegen, stärker jedoch die Zahl der Arbeitslosen. Warum?
Wien hat besondere Herausforderungen durch den hohen Zuzug. Eine Großstadt ist immer auch Magnet, man sieht das ja auch an der Debatte, wo sich Flüchtlinge am häufigsten niederlassen.
Für die Arbeitgeber ist das doch positiv. Sie haben viele Arbeitskräfte am Markt und können aussuchen.
Ja und Nein. Der Zuzug dämpft zwar das Problem, dass wir überaltern. Aber wir dürfen nicht übersehen, dass viele Menschen, die zuziehen, nicht die Qualifikationen haben, die wir brauchen.
Die Gewerkschaft will Arbeitszeitverkürzungen, um mehr Jobs zu schaffen.
Ich glaube, dass Herausforderungen in einem Gesamtkonzept gelöst gehören. Eine Einzelmaßnahme bringt nichts. Als Unternehmer muss ich sagen, dass man eine Produktivitätsschwäche nicht behebt, indem man noch weniger arbeitet.
Die Verkürzung der Arbeitszeit ist also keine Lösung?
Meine Lösung wäre eine Flexibilisierung der Arbeitszeiten. Ich komme aus der Baubranche. Da ist kollektivvertraglich vereinbart worden, dass im Sommer länger gearbeitet werden darf. Das wird dann an jene Zeiten im Winter angerechnet, wo weniger produziert wird. Das hat die Winterarbeitslosigkeit im Bau eingedämmt und hat zur Zufriedenheit aller beigetragen. Ich würde das Arbeitszeitgesetz daher so regeln, dass es nur gilt, wenn es keinen Kollektivvertrag gibt. Das wäre ein mutiger Schritt.
Das Arbeitszeitgesetz ist ein wichtiger Schutz der Arbeitnehmer. Sie wollen es abschaffen?
Warum spreche ich den Betroffenen das Recht ab, spezifische Regelungen für ihre Branchen zu machen? Wir versuchen immer alles per Gesetz über einen Kamm zu scheren. Außerdem gibt es ja noch den europarechtlichen Rahmen, dass nicht mehr als 60 Stunden in der Woche und 12 Stunden am Tag gearbeitet werden darf.
Da braucht es aber eine starke Arbeitnehmervertretung, die auf ihre Leute schaut.
Hat man ja. Ich sage das auch bewusst am Tag der Arbeit: Ich bin froh, dass wir eine starke Arbeitnehmervertretung zu haben.
Ein Problem ist die Jugendarbeitslosigkeit. Könnte sie durch minderjährige Flüchtlinge wieder verschärft werden?
Es ist wichtig, die jungen Flüchtlinge vorab in den überbetrieblichen Ausbildungsstätten auszubilden, um sie fit für die Lehre zu machen. Das braucht vielleicht ein Lehrjahr länger, weil sie sprachliche Defizite haben. Generell haben wir mit der dualen Ausbildung ein tolles System. Wir brauchen aber eine Lehrlingsoffensive, die Lehre attraktiver macht. Daher könnte man Lohnnebenkosten, wie Kommunalsteuer, Dienstgeberbeitrag und Dienstgeberzuschlag abschaffen für Lehrlinge. So schafft man Anreize.
Die Lohnnebenkosten für Lehrlinge sind im Vergleich bereits sehr niedrig. Die Firmen klagen eher darüber, dass sie keine geeigneten Lehrlinge finden.
Ich bilde selbst seit 30 Jahren Lehrlinge aus. Als Unternehmer begleite ich einen jungen Menschen in einer schwierigen persönlichen Phase. Deswegen ist die duale Ausbildung ja so erfolgreich. Sie dürfen aber nicht vergessen, dass die Ausbildung eines Lehrlings etwa 60.000 Euro kostet. Die Kosten sind also sehr wohl ein Faktor.
Gleichzeitig ist es für Menschen über 50 Jahren schwierig, Jobs zu finden.
Wir haben ein veritables Pensionsproblem. Heute gehen Männer im Schnitt mit 60 Jahren in Pension. Wenn wir Ältere länger im Arbeitsprozess halten, bringt das auch der Pensionsversicherung viel. Mein Vorschlag: Ab dem faktischen Pensionsantrittsalter die Lohnnebenkosten senken beziehungsweise streichen. Dem Betrieb verursacht das dann weniger Kosten und der Arbeitnehmer verdient mehr als er Pension bekommen würde. Die Pensionsversicherungen ersparen sich die Auszahlungen. Es wäre für alle ein Gewinn.
Man schafft damit aber nicht mehr Arbeitsplätze.
Das glaube ich schon. Wenn man nach Deutschland blickt, hat es bei den Reformen unter Gerhard Schröder die Behauptungen gegeben, dass die Liberalisierung der Arbeitszeiten Arbeitsplätze vernichten wird. Doch der gesamte Arbeitsmarkt wurde damals positiv stimuliert. Desto mehr Geld die Bevölkerung hat, desto höher ist die Nachfrage. Das schafft wieder Arbeitsplätze.
Wie ist derzeit ihr Verhältnis zum Rathaus?
Gut. Wir sehen, dass sich etwas bewegt, etwa bei den Schanigärten. Wir sehen auch, dass die Reform zum Bürokratieabbau– getrieben durch den Bürgermeister – angegangen wird. Es bleibt aber die Ergebnisse abzuwarten. Wir werden weiter unsere Expertise einbringen.
Wo wollen sie diese Überlegungen anbringen?
Ich bin der Meinung, dass ein Arbeitsmarktgipfel in Wien notwendig ist. Wir haben in Wien große Herausforderungen. Natürlich ist vieles im Bund zu regeln. Aber ich glaube, dass Wien so stark betroffen ist, dass die Initiative von Wien ausgehen sollte.
Das erste Ergebnis der Bundespräsidentenwahlen hat gezeigt, dass den Großparteien nicht mehr zugetraut wird, die Probleme Österreichs zu lösen. Ist das auch das Ende der Sozialpartnerschaft?
Das Ergebnis ist ein deutlicher Fingerzeig für die Regierung, dass die Menschen das Gefühl haben, auf der Stelle zu treten. Ich sehe eine gewisse politischen Mutlosigkeit. Ich denke aber nicht, dass uns Brachialrhetorik weiter bringt. Das mag der Verärgerung Luft schaffen, ist aber kein Lösungsansatz.
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