"Wir Lehrlinge haben keine Lobby"
Roman L. kann seinen Namen buchstabieren. Er spricht in ganzen Sätzen und kann bis zehn zählen. Vor allem aber kann der 19-Jährige sinnerfassend lesen. Und so versteht der junge Wiener auch jene Zeitungsberichte, in denen heimische Wirtschaftsbosse dieser Tage darüber klagen, dass Menschen wie L. - junge Lehrlinge in österreichischen Unternehmen - immer seltener zu gebrauchen sind: Rüpelhaftes Benehmen, mangelnde Motivation und immer schlechtere Deutschkenntnisse. So sieht das Bild aus, das Firmenchefs gerne von jungen Lehrlingen zeichnen. 70 Prozent der heimischen Arbeitgeber gaben bei einer aktuellen Umfrage an, Schwierigkeiten beim Finden qualifizierter Mitarbeiter zu haben.
"Und wir sind bekanntlich an allem schuld", sagt Roman L. mit sarkastischem Unterton. Der 22-jährige Bursch aus Simmering will seinen vollen Namen nicht in der Zeitung lesen. Schließlich ist er selbst in einem stadtbekannten IT-Betrieb in Ausbildung. In welchem? Auch das sagt er nicht laut. Denn er stellt seinem Derzeit-Chef kein gutes Zeugnis aus. "Auch wir Lehrlinge haben an den Firmen einiges auszusetzen. Der Unterschied ist nur: Wir haben keine Lobby."
Billige Arbeitskraft
L. trinkt Limonade, während er aus dem Alltag eines Lehrlings erzählt. "Würde ich heute meine Ausbildung abschließen, könnte ich den Job nicht ausüben", räumt er freimütig ein. "Doch es liegt nicht nur an mir. Die Ausbildung ist auch viel zu schlecht." Zwei Mal schon ist der Simmeringer an der Lehrabschlussprüfung gescheitert. "Es werden Dinge geprüft, die ich zwar auf der Berufsschule in der Theorie, aber in der Praxis im Betrieb nie gelernt habe."
Der Lehrlingsbeauftragte seines Betriebs sei über mehrere Monate nicht im Unternehmen gewesen und L. verbrachte ein Jahr damit, Computer am Fließband zusammenzubauen, anstatt sich mit komplexen Betriebssystemen zu befassen. "Du lernst nicht das Berufsbild, sondern nur das, was der Firma nützt. Wie soll ich da jemals den Job wechseln können?", fragt er resigniert.
Starker Rückgang
Christoph Peschek gibt L. recht. "Wie kann es sein, dass junge Menschen drei Jahre in einem Betrieb ausgebildet werden und am Ende nicht jobfähig sind", fragt der Wiener SP-Lehrlingsbeauftragte. Er sieht die Unternehmer gefordert. "Die Bundespolitik hat die Probezeit für Lehrlinge verlängert und die Behaltefrist verkürzt. Es ist an der Zeit, dass die Firmenchefs nun auf die jungen Menschen zugehen."
Immerhin würden nur noch elf Prozent der Unternehmer Lehrlinge ausbilden. Gab es zu Beginn der 80er Jahre noch 31.000 Lehrlinge in der Stadt, so sind es heute nur noch 19.000. Doch auch davon sind 5000 in überbetrieblichen Lehrwerkstätten der Stadt und nicht in der realen Privatwirtschaft. "Das ist zu wenig. Wir brauchen eine Ausbildungspflicht für ausbildungsfähige Unternehmer", ist Peschek überzeugt.
Töne, die auch L. gefallen. Fragt sich nur, warum die Wiener SP hier nicht längst angesetzt hat? "Die Ausbildungsgarantie ist ein wichtiger Schritt", kontert Peschek. Er räumt aber ein, dass die Stadt stärker an die Verantwortung der Firmen appellieren muss. Und L.? Er bereut heute, dass er die Schule vor Jahren abgebrochen hat. Er spricht von "verlorener Zeit" und von der Angst, bald ohne Job dazustehen. "Ich muss keine dreijährige Lehre machen, wenn ich am Ende nur am Fließband stehen kann."
Statistik: 39 % direkt aus Pflichtschulen
Vorbildung: Direkt aus diversen Pflichtschulformen kommen 39 Prozent der Lehrlinge, wobei der Anteil bei den männlichen (40,3 Prozent) deutlich höher liegt als bei den weiblichen (37 %).
Staatsbürgerschaft: Weiter gestiegen ist der Anteil der Lehrlinge ohne österreichischer Staatsbürgerschaft. Ende 2010 betrug er 13,2 Prozent. Im Vergleich zum Jahr davor bedeutet dies eine Steigerung um 5,9 %.
Wohnort: 21,5 Prozent aller Wiener Lehrlinge haben ihren Hauptwohnsitz außerhalb der Bundeshauptstadt, zeigen die Daten der Wirtschaftskammer Wien aus dem Jahr 2010. Die Zahl der Jugendlichen aus den Bundesländern ist zwischen 2009 und 2010 um 2,1 Prozent gestiegen. Der Großteil von ihnen - exakt 18,9 Prozent - kommt weiterhin aus Niederösterreich und 1,3 Prozent aus dem Burgenland.
Kommentare