Die Meteorologin Kathrin Baumann-Stanzer bricht eine Lanze für das windige Wien. Ja, das „ständige Ziehen“ ist öfters lästig, aber es kann die Großstadt auch reinigen und kühlen.
Nicht jeder und jede freut sich in Wien, wenn sich vor dem Haus die Bäume biegen. Radfahrer beklagen, dass sie speziell entlang der Donau permanent gegen den Wind antreten müssen.
Zugereiste behaupten, dass es „bei euch“ ständig zieht. Den gelernten Wienern und Wienerinnen sind „die Lüfterl“ in ihrer Stadt weitgehend „wuaschd“, solange die ÖBB, die Wiener Linien, die Hitze oder auch der Regen für Ärger sorgen.
Kathrin Baumann-Stanzer freut sich indes, wenn ihre Haare auf dem Weg zu ihrem Arbeitsplatz auf der Hohen Warte ordentlich im Wind wehen. Die Leiterin der Abteilung Umweltmeteorologie von Geosphere Austria (zuvor ZAMG) lächelt, dann sagt sie: „Für mich ist der Wind das Medium, das die Luftschadstoffe wegtransportiert und mit sauberer Luft vermischt.“
Gut gegen Nordwestwind
Wenn die Meteorologin über den Wiener Wind referiert, ist sie in ihrem Element: „Ja, ich weiß, er kann auch lästig sein, aber er trägt dazu bei, dass die Stadt belüftet wird.“
Der Wiener Wind ist in der Tat eine Wiener Eigenheit. Der wunderbare Arik Brauer hat ihn daher 1971 in einem Refrain seines Wiener Lied-Klassikers verewigt: „Waun da Wind wahd in da Gossn; waun da Wind wahd am Land; waun da Wind wahd, do steckt ea sei Köpferl in Sand.“
Kathrin Baumann-Stanzer steckt ihren Kopf nicht in den Sand. Die Meteorologin erzählt lieber von typischen Windverteilungen im Herzen Europas und deren konkreten Auswirkungen auf Wien.
Der vom Wiener Autor Daniel Glattauer im Buchtitel seines ersten Bestsellers geadelte Nordwind kommt in den Studien der Wissenschaft nur bedingt vor: „Am häufigsten bläst in Mitteleuropa der Wind aus Nordwest und aus West, und am zweithäufigsten der Wind aus Südost“, liest Expertin Baumann-Stanzer aus den Statistiken der Windforschung.
Was auch die Radfahrer in Wien täglich zu spüren bekommen: Wer entlang der Donau stromab- oder stromaufwärts radelt, wird an acht von zehn Tagen den Gegenwind verfluchen.
Pforte für den „Blasius“
Apropos Donau: Der Fluss ist der wichtigste Windkanal für Wien. Durch die „Wiener Pforte“, gebildet durch den Leopoldsberg (425 m) am rechten und den Bisamberg (358 m) am linken Donauufer, erhält der „Blasius“ (Wiener Synonym für Wind; Anm.) Zutritt zu Wiens Bezirken.
Eine zweite Windschneise bildet das Wiental. Auch hier kann kühlere Luft aus dem Wienerwald hinein in die Stadt fließen. Und ja, in der Meteorologie spricht man in der Tat von „Kaltluftabfluss“. Für Kathrin Baumann-Stanzer ist er in den „Tropennächten“ im Sommer ein wesentlicher Faktor, vor allem für die Bewohner und Bewohnerinnen der dicht verbauten Bezirke: „Diese Kühlung wird dort sehnsüchtig erwartet.“
Windgeschwindigkeit: Die höchsten Geschwindigkeiten werden auf der Jubiläumswarte und auf dem Exelberg gemessen. Hohe Warte und Arsenalturm folgen. Niedrig die Werte bei der VetMed-Uni auf dem Donaufeld.
Luftschadstoffe: Die Feinstaubwerte haben sich in Wien seit 2011 faktisch halbiert, ebenso die durch den Verkehr verursachten Stickstoffoxide.
112 Kilometer pro Stunde wurden beim Rekordsturm „Daniel“ (im September 2023) auf der Hohen Warte gemessen.
Wien ist im Vergleich zu den Städten in einer Beckenlage wie Graz, Linz oder auch Klagenfurt punkto Luftgüte im Vorteil. Ähnlich gute natürliche Voraussetzungen bieten Salzburg und Innsbruck. Dort sind die Berge rundum wichtige Kaltluftspeicher und Frischluftspender.
„Städte“, erklärt Kathrin Baumann-Stanzer bei einem Blick von der Hohen Warte über Wien, „bieten aufgrund der Verbauung für den Wind raue Oberflächen.“ Die Stadtplaner müssten daher auf die Windverhältnisse achten. Dass beim Bau der Hochhauslandschaft auf der „Donauplatte“ Fehler passiert sind, will die Forscherin nicht unerwähnt lassen. Doch die Stadt habe viel dazugelernt: „Heute wird bei Ausschreibungen auch auf den Wind geachtet.“
Eine andere Brautschau
Als übrigens bei ihrer Hochzeit auf dem Cobenzl etliche aufsteigende bunte Ballons für „Ahs“ und „Ohs“ sorgten, schaute die Braut den Ballons nach, um dabei konzentriert die aktuellen Windschichten zu eruieren. Der Bräutigam fand’s lustig: „Er ist Geograf.“
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