Viele gehen ja auch aus Protest nicht zur Wahl – warum ist das kein adäquates Mittel?
Grundsätzlich kann man es verstehen, wenn Menschen aus Verdrossenheit über die politischen Verhältnisse nicht zur Wahl gehen und ein Zeichen setzen wollen. Es ist nur so, dass im Gegensatz zu einer bewusst ungültig abgegebenen Stimme die diversen Hintergründe für die Entscheidung, nicht zur Wahl zu gehen, nicht wirklich abgebildet werden können. Und natürlich lässt sich eine niedrige Wahlbeteiligung auch so interpretieren, dass alle mit den bestehenden Verhältnissen zufrieden sind und eigentlich eh nichts daran ändern wollen. Wenn man bewusst ungültig wählt, hat das zwar keinen Einfluss auf das Wahlergebnis, wird aber in der offiziellen Wahlstatistik gesondert ausgewiesen – und kann auch als sichtbarer Indikator für eine gewisse Unzufriedenheit in der Gesellschaft gewertet werden, dass man sich mit keiner der bestehenden Parteien identifizieren kann. Und man muss natürlich auch sagen: Wählen zu können ist einerseits ein Recht, es ist aber auch ein Privileg – gerade auch vor dem Hintergrund des großen Wahlausschlusses mangels Staatsbürgerschaft – wie wir wissen, sind es in Wien mehr als 35 Prozent der Bevölkerung, die nicht wahlberechtigt sind. Und eigentlich ist es auch eine gesellschaftliche Pflicht. Ich finde es wichtig, sich immer wieder vor Augen zu führen, welche gesellschaftlichen Kämpfe in den letzten 150 und mehr Jahren geführt wurden, um uns das Wahlrecht in der heutigen Form überhaupt zu ermöglichen. Zum Beispiel auch das Frauenwahlrecht. Auch um diesen sozialen Kämpfen Rechnung zu tragen, finde ich es geboten, dieses Recht wahrzunehmen.
Was tun, wenn man zwischen zwei Parteien schwankt und sich nicht entscheiden kann?
Man kann das strategisch angehen. Man überlegt sich z. B. einen Bereich, der einem besonders wichtig ist: Klimaschutz, Zugang zu leistbarem Wohnraum, EU-Politik etc. Und dann schaut man sich die Wahlprogramme der Parteien an, die zur Wahl stehen. Wie steht diese Partei zu diesem Thema? Was sind die vorgeschlagenen Maßnahmen – und decken sich diese mit meinen eigenen politischen Einstellungen und Vorstellungen? Das ist der thematische Zugang. Man kann sich aber natürlich auch die Vorschläge der Parteien zur Ressourcenverteilung anschauen. Wie soll denn das öffentliche Budget laut dieser Partei verteilt werden? Und entspricht dieser Vorschlag meiner eigenen Prioritätensetzung? So kann man das ein bisschen herunterbrechen.
Also sollte man das Emotionale ausklammern?
Das Emotionale auszuklammern, wenn es um Politisches geht, ist nie ganz möglich. Die Entscheidung zunächst strategisch anzugehen, kann aber eine Hilfestellung sein. Dazu gehört aber auch, dass man sich fragt: Findet diese Partei demokratische Prozesse und Grundrechte in der Stadt oder dem Land, in dem man lebt, wichtig? Findet die Partei es wichtig, dass Gerichte unabhängig bleiben? Wie spricht die Partei über das Zusammenleben in einer Stadt? Wie spricht die Partei über verschiedene Bevölkerungsgruppen? Auch solche Fragen sollte man sich stellen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wofür die Partei letztendlich steht.
Man hört ja oft: „Ich kann ja eh nix mit meiner Stimme ausrichten.“ Was ist Ihr Appell an diese Menschen?
Man darf nicht vergessen: Es kann am Ende tatsächlich auf eine Stimme ankommen. Gerade bei Stichwahlen zum Beispiel. Da geht es sehr wohl um die einzelne Stimme. Und was man auch nicht übersehen sollte: In Österreich gilt auf allen Ebenen das Verhältniswahlrecht. Das heißt, es wird festgestellt, welche Partei wie viel Prozent der gültigen Stimmen bekommen hat. Und je nachdem wie hoch dieser Anteil ist, kommt es zur Mandatsverteilung, also einer direkten Übersetzung von Stimmen in Mandate. Wenn es dann um politische Entscheidungen geht, entscheidet genau diese Verteilung. Und damit hat jede Stimme einen direkten Einfluss. Einen Einfluss auf das Wahlergebnis hat das persönliche Handeln wie gesagt immer, also auch wenn man nicht zur Wahl geht. Der Unterschied ist nur: Wenn ich zur Wahl gehe und meine Stimme gezielt abgebe, dann ist das ein Einfluss, den ich selbst steuere – und wenn nicht, dann wird er gesteuert.
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