Interview: "Es geht sehr wohl um die einzelne Stimme"

KURIER: Warum ist es wichtig, wählen zu gehen?
Stefanie Fridrik: Wählen gehen zu können ist zwar nicht das einzige, aber doch ein sehr machtvolles demokratisches Instrument für Bürgerinnen und Bürger. Es ist auch die direkteste Form, seine eigene Entscheidung in das politische System einzubringen und die politische Landschaft damit aktiv zu beeinflussen. Darum ist es nicht nur wichtig, das Wahlrecht wahrzunehmen – es ist auch notwendig, damit wir überhaupt von einer funktionierenden Demokratie sprechen können. Und was dann noch dazukommt – Wählen erlaubt auch, dass diverse gesellschaftliche und politische Positionen und Interessen der Bevölkerung in den Parlamenten der verschiedenen politischen Ebenen auch repräsentiert sind und es da eine Diversität an Meinungen und Interessen gibt.
Welche Folgen hat eine niedrige Wahlbeteiligung?
Zum einen führt sie dazu, dass gesellschaftliche Interessen und politische Positionen in der Bevölkerung nicht adäquat in politischen Entscheidungsprozessen vertreten werden können. Das heißt, es kommt zu einer ungleichen Repräsentation, man spricht dann auch von einer Partizipationslücke. Zum anderen muss man bei der Entscheidung, nicht zur Wahl zu gehen, auch bedenken, dass von dieser Enthaltung der eigenen Stimme unter Umständen Parteien und Gruppierungen profitieren können, die man eigentlich nie unterstützen würde, weil sie weder die eigenen politischen Interessen noch Werte vertreten. Nicht zu wählen, ist also auf jeden Fall problematisch: Nicht nur hat man keinen aktiven Einfluss auf die politische Repräsentation eines Landes, sondern trägt auch automatisch dazu bei, dass politische Lager an Stärke gewinnen, die man eigentlich gar nicht will.

Stefanie Fridrik ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Trainerin am Demokratiezentrum Wien.
Viele gehen ja auch aus Protest nicht zur Wahl – warum ist das kein adäquates Mittel?
Grundsätzlich kann man es verstehen, wenn Menschen aus Verdrossenheit über die politischen Verhältnisse nicht zur Wahl gehen und ein Zeichen setzen wollen. Es ist nur so, dass im Gegensatz zu einer bewusst ungültig abgegebenen Stimme die diversen Hintergründe für die Entscheidung, nicht zur Wahl zu gehen, nicht wirklich abgebildet werden können. Und natürlich lässt sich eine niedrige Wahlbeteiligung auch so interpretieren, dass alle mit den bestehenden Verhältnissen zufrieden sind und eigentlich eh nichts daran ändern wollen. Wenn man bewusst ungültig wählt, hat das zwar keinen Einfluss auf das Wahlergebnis, wird aber in der offiziellen Wahlstatistik gesondert ausgewiesen – und kann auch als sichtbarer Indikator für eine gewisse Unzufriedenheit in der Gesellschaft gewertet werden, dass man sich mit keiner der bestehenden Parteien identifizieren kann. Und man muss natürlich auch sagen: Wählen zu können ist einerseits ein Recht, es ist aber auch ein Privileg – gerade auch vor dem Hintergrund des großen Wahlausschlusses mangels Staatsbürgerschaft – wie wir wissen, sind es in Wien mehr als 35 Prozent der Bevölkerung, die nicht wahlberechtigt sind. Und eigentlich ist es auch eine gesellschaftliche Pflicht. Ich finde es wichtig, sich immer wieder vor Augen zu führen, welche gesellschaftlichen Kämpfe in den letzten 150 und mehr Jahren geführt wurden, um uns das Wahlrecht in der heutigen Form überhaupt zu ermöglichen. Zum Beispiel auch das Frauenwahlrecht. Auch um diesen sozialen Kämpfen Rechnung zu tragen, finde ich es geboten, dieses Recht wahrzunehmen.
Was tun, wenn man zwischen zwei Parteien schwankt und sich nicht entscheiden kann?
Man kann das strategisch angehen. Man überlegt sich z. B. einen Bereich, der einem besonders wichtig ist: Klimaschutz, Zugang zu leistbarem Wohnraum, EU-Politik etc. Und dann schaut man sich die Wahlprogramme der Parteien an, die zur Wahl stehen. Wie steht diese Partei zu diesem Thema? Was sind die vorgeschlagenen Maßnahmen – und decken sich diese mit meinen eigenen politischen Einstellungen und Vorstellungen? Das ist der thematische Zugang. Man kann sich aber natürlich auch die Vorschläge der Parteien zur Ressourcenverteilung anschauen. Wie soll denn das öffentliche Budget laut dieser Partei verteilt werden? Und entspricht dieser Vorschlag meiner eigenen Prioritätensetzung? So kann man das ein bisschen herunterbrechen.
Also sollte man das Emotionale ausklammern?
Das Emotionale auszuklammern, wenn es um Politisches geht, ist nie ganz möglich. Die Entscheidung zunächst strategisch anzugehen, kann aber eine Hilfestellung sein. Dazu gehört aber auch, dass man sich fragt: Findet diese Partei demokratische Prozesse und Grundrechte in der Stadt oder dem Land, in dem man lebt, wichtig? Findet die Partei es wichtig, dass Gerichte unabhängig bleiben? Wie spricht die Partei über das Zusammenleben in einer Stadt? Wie spricht die Partei über verschiedene Bevölkerungsgruppen? Auch solche Fragen sollte man sich stellen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wofür die Partei letztendlich steht.
Man hört ja oft: „Ich kann ja eh nix mit meiner Stimme ausrichten.“ Was ist Ihr Appell an diese Menschen?
Man darf nicht vergessen: Es kann am Ende tatsächlich auf eine Stimme ankommen. Gerade bei Stichwahlen zum Beispiel. Da geht es sehr wohl um die einzelne Stimme. Und was man auch nicht übersehen sollte: In Österreich gilt auf allen Ebenen das Verhältniswahlrecht. Das heißt, es wird festgestellt, welche Partei wie viel Prozent der gültigen Stimmen bekommen hat. Und je nachdem wie hoch dieser Anteil ist, kommt es zur Mandatsverteilung, also einer direkten Übersetzung von Stimmen in Mandate. Wenn es dann um politische Entscheidungen geht, entscheidet genau diese Verteilung. Und damit hat jede Stimme einen direkten Einfluss. Einen Einfluss auf das Wahlergebnis hat das persönliche Handeln wie gesagt immer, also auch wenn man nicht zur Wahl geht. Der Unterschied ist nur: Wenn ich zur Wahl gehe und meine Stimme gezielt abgebe, dann ist das ein Einfluss, den ich selbst steuere – und wenn nicht, dann wird er gesteuert.
Klarheit: Die wichtigsten Begriffe
SPÖ steht für Sozialdemokratische Partei Österreichs. Gegründet wurde sie 1889 in Hainfeld (NÖ) als Sozialdemokratische Arbeiterpartei, ihre Wurzeln liegen in der Arbeiterbewegung. Die Parteifarbe ist Rot.
In Österreich zählt die SPÖ zu den sogenannten linken Parteien; im Grundsatzprogramm von 1998 bekennt sie sich zu den Werten Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Solidarität und Vollbeschäftigung. Säulen der Partei sind auch die Vertreter aus Arbeiterkammer (AK) und Gewerkschaftsbund (ÖGB). Seit 1945 stellt die Wiener SPÖ durchgehend den Bürgermeister – aktuell ist das Michael Ludwig.
ÖVP steht für Österreichische Volkspartei. Gegründet wurde sie 1945 in Wien als Nachfolgepartei der Christlichsozialen Partei. Die Parteifarbe der ÖVP ist Türkis (das frühere Schwarz wird aber auch noch verwendet). Sie vertritt das bürgerliche, konservative Spektrum und gilt traditionell als der Wirtschaft, den Bauern und der römisch-katholischen Kirche nahestehend – sie wird daher als Mitte-rechts-Partei eingeordnet. Von 1996 bis 2001 war die Wiener ÖVP Teil der Stadtregierung, stellte bisher aber nie den Bürgermeister. Parteichef in Wien ist aktuell Karl Mahrer.
Die Grünen stehen für die Grüne Alternative. Gegründet wurde die Partei 1986 als Zusammenschluss der konservativen Vereinten Grünen Österreichs (VGÖ) und der progressiveren Alternativen Liste Österreichs (ALÖ). Parteifarbe ist Grün. Ihre Wurzeln hat die Partei in der Widerstandsbewegung der 1980er-Jahre gegen das Kraftwerk in Hainburg und das Atomkraftwerk in Zwentendorf. Politisch stehen die Grünen links außen. Sie treten für Ökologie, den Schutz von Minderheiten und für Migration ein. In Wien waren die Grünen von 2010 bis 2020 Koalitionspartner der SPÖ, Spitzenkandidatin bei der Wahl ist Judith Pühringer.
FPÖ steht für Freiheitliche Partei Österreichs. Gegründet wurde sie 1955 in Wien als Nachfolgepartei des Verbands der Unabhängigen (VdU), in dem sich damals auch viele ehemaligen Nationalsozialisten befanden. Die Parteifarbe ist Blau. Die FPÖ ist heute eine rechtspopulistische und EU-skeptische Partei, die seit Jahrzehnten die Migration nach Österreich bekämpft. Die Wiener FPÖ war in der Bundeshauptstadt bisher noch nicht in Regierungsverantwortung, Parteichef ist derzeit Dominik Nepp.
Die Partei NEOS steht für das Neue Österreich. Gegründet wurde sie 2012, die Parteifarbe ist Pink. NEOS gilt als eher (links-)liberale Partei der Mitte, sie vertritt hauptsächlich ein modernes, urbanes, unabhängiges Bürgertum. Wichtige Themen der NEOS sind Bildung und Transparenz. In Wien schaffte die Partei nach der Wahl 2020 den Sprung in die Stadtregierung, NEOS-Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr wechselte vor Kurzem allerdings als Bildungsminister in die Bundesregierung. Spitzenkandidatin am 27. April ist daher Selma Arapovic.
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