Wienerwaldbäche führen so wenig Wasser wie noch nie

Der Wienfluss hat niedrigen Wasserstand  – 8 statt 21 Zentimeter. (Kennedybrücke)
Vor mehr als 100 Jahren flossen die Wienerwaldbäche durch das dicht besiedelte Stadtgebiet. So trocken, wie die Bäche derzeit sind, haben sie selbst Gewässer-Ökologen noch nicht gesehen

Für kurze Zeit stehen Stefan Frischer vom Wiener Gewässer (MA 45), zuständig für die Wienerwaldbäche, und Thomas Ofenböck, Gewässerökologe desselben Magistrats, sprachlos vor dem Kräuterbach. „Das ist schon dramatisch“, sagt Ofenböck. Nach einer Kontrolle der tieferen Stellen im Bachlauf in einem Waldabschnitt in Hernals wirkt er noch beunruhigter.

 

Wienerwaldbäche führen so wenig Wasser wie noch nie

„Durch diese Steinblockade fließt normalerweise Wasser“, erklären die Gewässerbau-Spezialisten (siehe Foto). Wenn kein Wasser im Bach fließt, dann können die Organismen im Bach nicht überleben. „Und das ist natürlich nicht gut“, erklärt Ofenböck. Auch wenn die Wienerwaldbäche als intermittierende Gewässer nicht immer wasserführend seien und in regelmäßigen Abständen, vor allem im Sommer austrocknen würden, sei der derzeitige Zustand schon außergewöhnlich trocken.

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Trockener Bach

De Kräuterbach ist ein linker Nebenfluss der Als in Neuwaldegg. Er kommt von der Höhenstraße, beim Leopoldsberg und ist einer der Wienerwaldbäche.

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Kräuterbach

"Es ist schon dramatisch", sagt  Ökologe Thomas Ofenböck. Er steht auf dem WIldholzrächen. Das Element soll  Holzteile aus dem Wasser filtern. Hier ist aber nur noch eine Lacke zu finden.

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Selbst Tiefstellen trocken

Selbst die Tiefstellen, die absichtlich in den Bachverlauf eingebaut wurden, sind bereits trocken.

Im Untergrund

Der Kräuterbach ist einer von derzeit 67 Wienerwaldbächen. All diese Bäche kommen aus dem Wienerwald und haben insgesamt eine Länge von 300 Kilometern, heißt es von der MA 45. Die meisten dieser Bäche findet man heute noch am Stadtrand, zwei Drittel davon enden jedoch im Kanal. Warum? Dafür muss man historisch ein wenig ausholen: Der Wienfluss (zählt auch als Wienerwaldbach) hatte im 18. Jahrhundert viele Mühlbäche, die ihn bis in den Donaukanal begleiteten. Mit der Wasserkraft der Mühlen wurde etwa Brot gebacken.

In Zeiten der Industrialisierung haben sich dann Betriebe im Bereich des Wassers angesiedelt. Das Abwasser ist in den Fluss gelangt. Aus hygienischen Gründen wollte man den Wien-Fluss abdecken – und hat dies auch stellenweise getan, wie etwa beim Naschmarkt und beim Stadtpark. Das würde man heute so nicht mehr tun.

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Der Alsbach

Die Als, auch Alsbach oder Alserbach genannt, ist ein 10,55 Kilometer langer Fluss in Wien, der heute großteils als Bachkanal geführt wird.

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Erlenbach

Der Erlenbach fließt normalerweise in den Alsbach. Derzeit wirkt er eher ausgetrocknet.

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Höhe Hanslteich

Der Alsbach speist unter anderem den Hanslteich.

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Auch hier sieht es eher trocken aus

„Im Untergrund schafft es das Wasser, weiter zu fließen, aber wenn es nicht regnet, dann ist auch kein Wasser im Bach“, sagt Ofenböck. 

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Alsbach im Schwarzenbergpark

Auch bei der Ankunft im Rückhaltebecken Alsbach ist kaum Wasser zu sehen.

Damals gab es keine Kanalisation im heutigen Sinn: Fäkalien sind in die Gewässer gelangt. Bei Hochwasser konnten diese dann ins Grundwasser sickern. „Es gab hygienische Probleme und soll unglaublich gestunken haben“, meint Ofenböck. Daher wurden die Bäche zu Bachkanälen umfunktioniert und „eingewölbt“. Über sogenannte Einlaufwerke fließen sie (noch heute) in den Kanal. Und zwar genau dort, wo sie früher an der Oberfläche flossen – nur eben im Untergrund – und durchschwemmen das Abwasser. (siehe grüne Linie in der Grafik)

 

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Parkbach - auch Eckbach genannt

Trotz Renaturierung ist der Wasserlauf reduziert. 

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Algenbildung als Gefahr

Auch hier könnte eine Algenbildung zur Gefahr werden: für die Organismen im Bach.

„Einen der Kanaleingänge sieht man im Schwarzenbergpark“, sagt Ofenböck. Beim Lokalaugenschein wird auch hier klar: Viel Wasser gibt es derzeit nicht in den Bächen. Weder im Parkbach noch im Alsbach. Heute dient das Becken, wo man den Kanaleingang findet, als Hochwasserschutzmaßnahme. „So trocken habe ich das hier noch nicht gesehen“, sagt auch Stefan Frischer etwas besorgt. Und auch Gerald Löw, Chef der Wiener Gewässer, hatte erst unlängst im Gespräch mit dem KURIER angekündigt, dass die Zukunft der Wienerwaldbäche durch die vielen Hitzetage und die Trockenheit ungewiss sei: Der Alsbach war 2021 das erste Mal trocken gefallen.

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Niedriger Wasserpegel

Am Dienstag betrug der Wasserpegel bei der Kennedybrücke des Wienflusses 8 Zentimeter. Normalerweise wird hier 22 Zentimeter gemessen.

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Unter den Steinen

Viele Organismen befinden sich unter dem Stein, wiß Ökologe Thomas Ofenböck.

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Sie könnten auch bei niedrigen Wasserständen überleben - aber nicht ewig. 

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Algenbildung

Wenn es zu heiß ist und kein Frischwasser nachkommt, gibt es immer die Gefahr der Algenbildung, wie hier in einer Wasserablagerung.

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Erholung

Der 2010 eröffnete Wienfluss-Weg führt entlang des Wienflusses von Auhof bis zur Kennedybrücke. Radeln, Spazieren und Erholung im Wienflussbett sind hier möglich.

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Tiefe Stellen

Tiefstellen sind notwendig: Hier können sich Lebewesen aufhalten, wenn der Wasserstand niedrig ist. 

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Der Wienfluss-Weg steht der Bevölkerung ganzjährig täglich von der Morgendämmerung bis zum Einbruch der Dunkelheit zur Verfügung.

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Für Mensch und Tier

Beim Wienfluss können viele Anrainer bereits Erholung finden. 

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Renaturierungsmaßnahmen

Die Wiener Gewässer beschäftigen sich mit  Renaturierungsmaßnahmen: "Beim Mauerbach, der in den Wienfluss fließt. „Baumstämme, Steine und andere Elemente wurden ergänzt, um das Wasserbett zu verbessern“, sagt Frischer. Das passiert sukzessiv auch bis 2027 beim Liesingbach.

Wienerwaldbäche führen so wenig Wasser wie noch nie

Stefan Frischer vom Wiener Gewässer (MA 45), zuständig für die Wienerwaldbäche und Thomas Ofenböck, Gewässerökologe desselben Magistrats.

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Kein Geplätscher

Beim Lokalaugenschein des Erlenbachs, der in der Nähe des Hanslteichs in den Alsbach fließt, ist kein Geplätscher mehr zu hören. Man hört das Rascheln getrockneter Blätter. „Im Untergrund schafft es das Wasser, weiter zu fließen, aber wenn es nicht regnet, dann ist auch kein Wasser im Bach“, sagt Ofenböck. Und der vergangene Juli war laut Bericht der Weltorganisation für Meteorologie weltweit einer der drei heißesten Julis aller Zeiten. Das fördert Waldbrände und Probleme in der Landwirtschaft. Die Forschungsstelle der EU (das Joint-Research-Center JRC, Anm.) spricht von der größten Dürre seit 500 Jahren in Europa. Aber: „Wir sind nicht abhängig von den Bächen, es ist kein Trinkwasser. Allerdings, wenn die Bäche öfter austrocknen, sterben die Organismen“, wiederholt Ofenböck.

Frösche, Libellen, Fische und sogar eine Natter werden beim Besuch der Bäche entdeckt. Viele der Tiere sieht man beim Wienfluss. Auch hier ist der Wasserstand (Stand Dienstag) mit 8 Zentimetern viel niedriger als im Durchschnitt (21 Zentimeter). „Es gibt auch Groppen (eine Fischart, Anm.) oder Steinkrebse, der ist sogar strenggeschützt“, sagt er weiter. Wenn es weiterhin trocken sein sollte, dann könnte eine Stadt Maßnahmen wie Gießverbote oder Poolbefüllungen aussprechen, mutmaßt Frischer. Das sei aber eine Entscheidung der Politik.

Neuerlich berühmt wurden die Wienerwaldbäche übrigens bei der vergangenen Wien-Wahl. 2020 wurden sie zum Wahlkampfthema der Neos. Man wollte Alsbach und Ottakringer Bach teilweise an die Oberfläche holen – für ein besseres Stadtklima, denn Bäche kühlen besser als Nebelduschen, so die Argumentation. Das könnte nun tatsächlich, zumindest in einer Testphase, wahr werden: Im 16. Bezirk wird nun erforscht, ob der Ottakringer Bach tatsächlich an die Oberfläche geholt werden kann und was das bringen würde.

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