Wiener SPÖ: Ärger über Doskozil, Forderung nach "drittem Kandidaten"
Nach drei Jahren pandemiebedingter Pause war die Vorfreude unter den roten Funktionären groß: Bei der zweitägigen Klubklausur der Wiener SPÖ, die traditionell im Burgenland über die Bühne geht, sollten am Dienstagabend endlich wieder alle zusammenkommen.
Auch für den lockeren Abend mit Parteispitze und Journalisten war alles vorbereitet: An der Bar standen schon die Häppchen für das "Get Together" bereit, die Getränkebons waren verteilt.
Einzig: Die Wiener SPÖ-Granden rund um Parteichef und Bürgermeister Michael Ludwig sollten zu ihrem eigenen Abendempfang gleich gar nicht erscheinen.
Sie saßen zu dieser Zeit in einem behelfsmäßig organisierten Landesparteivorstand in einem der Zimmer der St.-Martins-Therme - und debattierten über die causa prima: Über den Brief des burgenländischen Landeshauptmanns Hans Peter Doskozil, in dem er sich wenige Stunden zuvor um den Bundesparteivorsitz bewarb. Es war der vorläufige Höhepunkt in der Konfrontation zwischen Parteichefin Pamela Rendi-Wagner und Doskozil, die die Partei seit Längerem nicht zur Ruhe kommen lässt.
Eiskalt erwischt
Doskozil hat die Wiener SPÖ mit seinem Schreiben am Nachmittag eiskalt erwischt. Es platzte mitten in die Diskussionsveranstaltungen, an denen die Stadträte die eigenen Leistungen und Errungenschaften für Wien präsentierten. Selbst Michael Ludwig erfuhr von Doskozils Kandidatur aus den Medien.
An inhaltliches Arbeiten dann nicht mehr zu denken. Die Bühne wurde eiligst umgebaut, Michael Ludwig trat nach einer langen Schrecksekunde vor die versammelten Teilnehmer. Er hatte sich nur wenige Sätze zurechtgelegt: Er sei „erleichtert, dass sich Hans Peter Doskozil entschlossen hat, zu kandidieren“, so Ludwig. Das biete die Möglichkeit, eine rasche Entscheidung herbeizuführen.
"Gegen die da oben"
Ähnlich formuliert das auch ein anderer langjähriger Wiener Funktionär: "Gut, dass jetzt wenigstens die Katze aus dem Sack ist. Es hätte keiner mehr ausgehalten, wäre es noch länger so wie jetzt weitergegangen.“
Dass Doskozil ausgerechnet während der laufenden Wiener Klubklausur seine Kandidatur ankündigt, überrascht ihn nicht: „Das passt in sein Gedankenkonzept, als Vertreter der Basis gegen ,die da oben‘ anzutreten.“ Wobei zu Letzteren für ihn auch die Wiener Landespartei gehöre.
Nicht das erste Foul
Offiziell wollte sich an diesem Abend auch nach dem Landesparteivorstand niemand mehr zur Causa äußern. Klar war aber: die Verärgerung ist groß. Und das gleich aus mehreren Gründen.
Dass Doskozil mit seiner Ankündigung mitten in die Wiener Veranstaltung platzte - obwohl am heutigen Mittwoch ohnehin die Sitzungen von Präsidium und Vorstand anberaumt sind -, wertete man als grobes Foul. "Nicht das erste", wie ein Spitzenfunktionär meinte.
Schon mehrfach habe Doskozil in der Vergangenheit seine Kommunikationsstrategie darauf ausgerichtet, der Partei zu schaden. "Da lässt sich ein Muster erkennen."
Der jüngste Fall ist noch in Erinnerung: Während die Partei vor der Niederösterreich-Wahl einen "Themenrat" veranstaltete, um dem damaligen Spitzenkandidaten Franz Schnabl eine Bühne zu bieten, veröffentlichte Doskozil zeitgleich eine selbst in Auftrag gegebene Studie, die ihn gegenüber Rendi-Wagner als den besseren Spitzenkandidaten auswies. Mit derartigen "Störfeuern" mache es Doskozil der Partei unmöglich, ihre Inhalte zu kommunizieren, so die Kritik.
Diesmal war es ein 200-Millionen-Euro-Paket für leistbares Wohnen in Wien, dessen Verkündung Doskozil mit seinem Brief überlagerte. "Wenn wir das gewusst hätten, hätten wir uns unsere Millionen noch ein bisschen aufgehoben", hieß es am Abend aus der Partei.
Manch einer hat wohl schon resigniert. Doskozil sei eben "ein Egomane".
Skepsis über Mitgliederentscheid
Die offizielle Stoßrichtung der Wiener Landespartei für die heute anstehenden Bundesgremien wollte man nicht vorweg nehmen. Auch, ob der Wiener Parteichef für seine Funktionäre eine gemeinsame Linie ausgegeben hat, ist unklar.
Die Wiener Landespartei stand bis zuletzt hinter Rendi-Wagner, Ludwig bekräftigte seine Unterstützung noch auf der Klausur. Klar ist aber auch, dass sich speziell in den Wiener Flächenbezirken zunehmend Unterstützer für Doskozil und seinen strengeren Zuwanderungs-Kurs finden.
Wie es im Detail weitergeht, darüber herrscht bei der Wiener SPÖ Rätselraten: Doskozils Wunsch nach einem Mitgliederentscheid - also einer Urabstimmung aller SPÖ-Mitglieder - steht man jedenfalls skeptisch gegenüber: Es brauche gemäß Statuten jedenfalls einen ordentlichen Parteitag, um den Parteichef (oder die Parteichefin) zu küren, davon ist man überzeugt.
Was aber, wenn Mitgliederbefragung und Parteitag zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen? Dann wird der Streit wohl prolongiert, befürchtet man. Denn dass Doskozil sich in Zukunft nobel zurückhält, falls er Rendi-Wagner auf einem Parteitag unterliegt, das glaubt in der Wiener SPÖ niemand. Ob sich Doskozil im Falle einer Niederlage ganz aus der SPÖ zurückziehen müsse? "Er ist ein guter Landeshauptmann", so die knappe Antwort von Spitzenfunktionären.
Delegierte zweiter Klasse
Dass sich Doskozil grundsätzlich nicht via Parteitag küren lassen will, sorgt bei manchen Wiener Genossen für Irritation: „Im Burgenland hat er sich zwei Mal auf Parteitagen zum Landesparteichef wählen lassen. Sind die dortigen Delegierten etwa mehr wert als jene des Bundesparteitags?", formuliert es einer von ihnen gegenüber dem KURIER.
Kommt ein dritter Kandidat?
Am späten Abend wurde dann auch Kritik an Ludwig und anderen führenden Politikern laut - nicht auf der Klausur, aber auf Twitter: "Es liegt jetzt am Bürgermeister von Wien, an der 2. Nationalratspräsidentin, am Landeshauptmann von Kärnten und am Vorsitzenden der roten Gewerkschafter:innen, eine/n dritte/n Kandidat/in zu präsentierten", fordert Niki Kowall, der sich als interner Kritiker in der "Sektion 8" einen Namen gemacht hat. Nur so könne man "der Auswahl zwischen zwei desaströsen Alternativen zuvorkommen".
Diese Verantwortung hätten die Genannten "seit vier Jahren wahrnehmen müssen, jetzt sind sie dazu gezwungen", so Kowall weiter. Alles andere brächte eine "existenzgefährdende Niederlage" bei den nächsten Wahlen oder eine Parteispaltung. "Das Schicksal der Partei hängt von einer dritten Option ab."
Irritation über Emissär
Irritation herrschte am Dienstagabend unter den Teilnehmern der Klubklausur übrigens über einen hochrangigen Besucher aus dem Burgenland: Der dortige Klubchef und Doskozil-Vertraute Robert Hergovich, der eigentlich zum Abendempfang geladen gewesen wäre, verschob seinen Besuch auf den Eröffnungakt in der Früh.
Hergovich hielt dort sogar (ungeplant) eine Rede, brachte Geschenke für den Wiener Klubchef Josef Taucher und klatschte zu Rendi-Wagners Worten. Ein Friedensangebot aus dem Burgenland, mutmaßte mancher. Weit gefehlt. Wenige Stunden nach seiner Abreise kam Doskozils Brief.
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