Wiener Experten berechneten: Nicht mehr Tote in der Corona-Krise
144 Menschen sind in Wien mit Stand Montag, 11. Mai, am oder mit dem Coronavirus gestorben. So viele wie in keinem anderen Bundesland. Das klingt erst einmal dramatisch – vor allem, da in den vergangenen Tagen auch die Zahl der Neuinfektionen Schlagzeilen gemacht hatten.
Schaut man sich die Zahlen jedoch genauer an, zeigt sich ein anderes Bild. Unbestritten, jeder Todesfall ist tragisch. Doch bricht man die Daten auf Einwohnerzahlen herunter, zeigt sich, dass Wien auf rund 7,6 Tote pro 100.000 Einwohner kommt, Tirol aber auf rund 14 und die Steiermark auf rund 11.
Und noch etwas haben die Statistiker der Stadt herausgefunden: Seit dem Ausbruch der Virusinfektion sind in Wien nicht mehr Menschen gestorben als statistisch erwartet.
Gut durch die Krise
Übersterblichkeit hieße das. Die ist laut Klemens Himpele, Chef der Wiener Statistikabteilung﴾MA 23, weder für die besonders gefährdete Gruppe der Über-65-Jährigen noch für die Jüngeren zu erkennen. „Das zeigt, dass wir derzeit keine wesentlichen Entwicklungen übersehen“, sagt er. Also etwa unentdeckte Covid-19-Erkrankungen oder Menschen, die wegen des eingeschränkten Spitalbetriebs starben. Man sei bisher gut durch die Krise gekommen.
Für die Berechnung der Übersterblichkeit haben die Statistiker Prognose-Intervalle herangezogen.
Diese basieren auf der Annahme, dass in Wien die Kurve der Sterbefälle jedes Jahr in etwa gleich verläuft. Dadurch lässt sich für jede Woche eine bestimmte Bandbreite an erwartbaren Todesfällen errechnen.
Berücksichtigt werden neben der Bevölkerungsentwicklung saisonale Schwankungen wie etwa die Grippesaison mit mehr Toten im Winter. Sind nun mehr Menschen gestorben, als im Rahmen der Bandbreite errechnet wurde, spricht man von Übersterblichkeit.
Die Daten stammen von der Statistik Austria, jene der vergangenen Wochen sind vorläufige Zahlen.
Für die Stadt sind die Ergebnisse natürlich positiv. Doch was heißt das jetzt?
Erst einmal sagt die Statistik nichts über die Infektionssterblichkeit aus. In den vergangenen Wochen sind Menschen gestorben, die ohne Corona noch Monate oder Jahre gelebt hätten, betont Martin Posch vom Zentrum für Medizinische Statistik der MedUni Wien. Er und sein Team haben die Covid-19-Sterbezahlen nach Alter und Geschlecht analysiert. Die Zahlen aus Wien haben ihn neugierig gemacht.
Internationale Vorbilder
Die Methode der Wiener Berechnung „scheint mir schon vernünftig zu sein“, sagt er. Nur das für die Berechnung gewählten Prognose-Intervall empfindet er als „eher konservativ“.
Damit könnten nur größere Abweichungen bei den Todesfällen gezeigt werden. Für Chefstatistiker Himpele habe man sich dabei an internationale Vorbilder gehalten. Das Intervall passe, man erkenne bei langjähriger Betrachtung gut die Übersterblichkeit bei den Hitzewellen 2015, 2017 und 2018 sowie bei der Grippewelle im Winter 2016/17.
Generell meint Posch: „In Österreich waren die Maßnahmen gegen das Coronavirus so erfolgreich, dass die Effekte in der Gesamtsterblichkeit sehr begrenzt sind.“ Wien sei da kein Ausreißer. „Dennoch bedeutet das nicht, dass Corona keinen Einfluss auf die Sterblichkeit hat.“
Das will Himpele auch gar nicht behaupten. Tatsächlich wisse man viele Details erst, wenn die Todesursachenstatistik vorliege. Es könnte nämlich auch zu „Substitutionseffekten“ durch den Lockdown gekommen sein. Sprich, dass mehr Corona-Tote statistisch durch weniger Verkehrs- oder Freizeitunfälle kompensiert werden.
Was Wien in der Krise übrigens geholfen haben könnte: „Verglichen mit anderen Ländern ist Wien eine junge Stadt“, erklärt Himpele. Dafür verbreite sich das Virus im dicht besiedelten Raum leichter. „Bei Pandemien sind Städte im Nachteil“, meint er. Was sich derzeit auch bei den Neuinfektionen widerspiegelt.
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