Neos pochen auf Aufweichung der Sonntagsöffnungs-Regelung

Kurz vor der Wienwahl ist Christoph Wiederkehr (Neos) ins Bildungsministerium gewechselt. Bettina Emmerling folgte ihm als Vizebürgermeisterin nach.
Im Interview spricht sie über die Neos-Achse im Bildungsbereich und Reibungspunkte mit dem roten Koalitionspartner in der selbsternannten Aufschwungskoalition.
KURIER: Aufschwung ist eine messbare Größe. Mit welchen Maßnahmen wollen Sie diesen erreichen?
Bettina Emmerling: Aufschwung ist vor allem dahingehend definiert, dass wir den Optimismus zurückbringen wollen und dass wir unsere Wirtschaftsentwicklung mit den richtigen Maßnahmen ankurbeln. Man soll in ganz Wien spüren, wenn es wieder bergauf geht und wenn sich wieder Unternehmen ansiedeln.
Dass die Opposition Wortspiele wie Abschwungskoalition macht, war abzusehen.
Logisch, das gehört zur Oppositionspolitik dazu.
Sie haben jetzt wieder das Bildungsressort über. Was steht dort an?
Im Bund ist eine echte Aufholjagd notwendig. Man sieht, dass die letzten Jahrzehnte im Dornröschenschlaf verbracht worden sind. Wenn man bedenkt, dass man einen absehbaren Lehrer- und Lehrerinnenmangel wirklich verschlafen hat, wo es in den 90ern noch geheißen hat, man soll ja nicht Lehrer werden und dabei nicht an die Baby-Boomer-Generation gedacht hat, die jetzt in Pension gehen wird. Noch dazu hat sich die Gesellschaft extrem gewandelt. Wir brauchen viel Unterstützung im psychosozialen Bereich für Kinder und Jugendliche, Unterstützungspersonal für die Lehrerinnen und Lehrer, wir brauchen mehr Deutschförderkräfte.
Ihr Vorgänger Christoph Wiederkehr hat sehr oft gesagt, er scheitert am Bund. Jetzt sind sowohl das Bildungsressort in Wien als auch das Bildungsministerium in Neos-Hand. Was wird besser?
Dieses Bund-Wien-Hickhack fällt weg. Christoph Wiederkehr hat den Blick auf die Herausforderungen von Ballungsräumen wie Wien. Er weiß, dass es Deutschförderung braucht. Er weiß, dass wir das nur gemeinsam machen können und er die nötigen Stellschrauben auch stellen muss. Das merkt man schon jetzt an der zusätzlichen Deutschförderung.
Die Grünen haben im Wahlkampf gefordert, dass Schulen mehr durchmischt werden. Ist etwas in die Richtung angedacht?
Durchmischung von Schulen wäre wünschenswert, weil wir wissen, dass Kinder von anderen lernen. Aber wir können das nur schwer bewerkstelligen, weil wir viele Kinder in andere Bezirke schicken müssten. Zwei Schulen nebeneinander könnte man durchmischen, aber das sind Einzelfälle. Dazu kommt, dass die freie Schulwahl der Eltern nicht angegriffen werden soll. Mein Ansatz ist, dass wirklich jede Schule die beste Schule ist, und deswegen investieren wir direkt in jeden Schulstandort.
Wie kann Integration besser gelingen?
Am besten mit einer Residenzpflicht, die wir in Wien schon seit Längerem fordern. Wir übererfüllen unsere Asylquote, weil die anderen Bundesländer auslassen. Gerechte Verteilung wäre der Schlüssel zu allem und maßgeblich für eine gelingende Integration über das gesamte Bundesgebiet hinweg.
Auch Sie werden sparen müssen. Wo setzen Sie den Rotstift an?
Das ist leider ein schwieriges Unterfangen, weil gerade im Bildungs- und Jugendbereich die Investitionen unserer Zukunft liegen. Es darf auf keinen Fall passieren, dass Kindern und Jugendlichen Chancen genommen werden. Wir haben Einsparpotenzial im Förderwesen.

Bettina Emmerling im Gespräch mit Chronik-Ressortleiterin Agnes Preusser.
Zum Beispiel?
Mir ist es wichtig, dass wir jede Förderung beleuchten, auch im Hinblick darauf, dass sie wirklich wirksam ist im Sinne unserer Ziele, etwa der gelungenen Integration. Natürlich überlegen wir auch eine Strukturreform.
Sie haben auch einen neuen Bereich: die Wiener Märkte.
Ja, das war uns ein sehr, sehr großes Anliegen. Die Märkte waren schon immer ein Herzensthema der Neos. Wir haben schon im ersten Koalitionsprogramm vieles eingebracht. Zum Beispiel, dass wir die Sonntagsöffnung der Gastronomie umgesetzt haben. Nahversorgung, Zusammenkommen, Integration findet auf den Märkten statt. Die Märkte vereinen vieles, wofür wir uns einsetzen wollen.
Gibt es schon Ideen für die nächsten fünf Jahre?
Die Umgestaltung am Naschmarkt ist ein tolles Projekt. Ansonsten überlegen wir uns neue Formate auf den Märkten und schauen, wie wir weitere Maßnahmen setzen können, um mehr Leute auf die Märkte zu bringen, obwohl wir schon Besucherrekorde erreicht haben. Und die lange Nacht der Märkte wird sicher weitergeführt.
Sie haben vorhin die Sonntagsöffnung bei der Gastro auf den Märkten angesprochen. Wie stehen Sie zur Sonntagsöffnung im Handel?
Ich bin natürlich dafür. Im internationalen Vergleich ist es schon fast bemerkenswert, dass Wien hier so hinten nachhängt. Es sind uns erste Schritte gelungen, indem wir im Koalitionsabkommen vereinbart haben, dass wir für jene die Sonntagsöffnung ermöglichen wollen, die als Eigentümer selbst im Geschäft stehen. Das war ein Kompromiss und wird natürlich mit den Sozialpartnern diskutiert.
Nur eine Kompromisslösung?
Wenn es nach mir geht, würde ich es jedem Unternehmer und auch jedem Geschäft freistellen, natürlich im Einklang mit den Mitarbeitern und dem Arbeitsrecht. Das würde die Wirtschaft und den Konsum ankurbeln und würde uns guttun.
Sie haben kürzlich gesagt, dass man die Sozialhilfe kürzen sollte, und haben damit einen anderen Weg eingeschlagen als die SPÖ. Wollen Sie mehr Kante zeigen?
Ich habe schon öfter gesagt, dass ich glaube, dass wir bei der Sozialhilfe eine Schieflage haben. Es geht nicht darum, bei Kindern zu sparen. Das wäre ganz entgegengesetzt zu meinen Idealen. Kinder verdienen alle Chancen. Aber hier braucht es bundeseinheitliche Lösungen, hier braucht’s mehr Sachleistungen. Und wir müssen schauen, dass wir ein System haben, wo Integration und die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt wieder attraktiver ist. Wenn man vergleicht, was zwei Erwerbstätige erwirtschaften können im Gegensatz zu jenen mit vielen Kindern, die Mindestsicherung erhalten, dann muss man das geraderücken.
Bei der Wahl haben Sie in bürgerlichen Bezirken sehr gut und in klassischen Arbeiterbezirken schlecht abgeschnitten. Wie hält man die Prozente, falls die ÖVP nach dem Wahlabsturz in den nächsten fünf Jahren in Wien wieder erstarkt?
Neos-Gründer Matthias Strolz hat das System kritisiert und den Stillstand. Wir sind liberal und sprechen viele Menschen an. Wir unterscheiden uns in vielen Bereichen von der ÖVP. Es muss sich jeder für sich selbst ein Bild machen und seine Entscheidung treffen.
Also mit dem eigenen Weg überzeugen?
Und mit unseren Inhalten, mit dem, was wir umsetzen, auch versprochen haben im Hinblick darauf, dass diese Achse Bund–Wien wieder anders funktionieren wird. Und für diesen neuen Stil in der Politik den wir geprägt und für den wir auch wiedergewählt wurden. Wir haben mit unserem Koalitionspartner hart diskutiert und hatten Meinungsverschiedenheiten, aber wir haben immer gemeinsam den Weg gewählt, für die Wienerinnen und Wiener zu arbeiten. Dieses Hickhack ist eine Politik, die unser Land nicht weiterbringt und das ist nicht die Politik, die sich die Menschen erhoffen und wünschen.
Funktioniert dieser neue Stil auch in der Dreierkoalition im Bund?
Das ist meine große Hoffnung und in Wahrheit alternativlos. Die drei Parteien müssen das Beste rausholen für die Menschen in Österreich und zeigen, dass sie gemeinsam etwas zustandebringen. Daher wird die Koalition funktionieren.
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