Michael Ludwig: "Früher war nichts besser"

Interview: Bürgermeister Michael Ludwig
Im Interview spricht Wiens Bürgermeister über das Sparen, die Fokussierung auf die Wirtschaft und warum der Verlust des Titels lebenswerteste Stadt sportlichen Ehrgeiz auslöst.

Im Sommerinterview spricht der neue alte Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) über die Herausforderungen der kommenden fünf Jahre und warum er optimistisch bleibt.

KURIER: Die neue Koalition heißt Aufschwungskoalition. Ist es nicht tollkühn, in einer Zeit wie dieser den Aufschwung zu versprechen?

Michael Ludwig: Wir sind sehr erfolgreich unterwegs. Wir waren das einzige Bundesland in den letzten zwei Jahren mit einem Wirtschaftswachstum. Viele Maßnahmen haben gegriffen, und  das trotz schwieriger Rahmenbedingungen – die Auswirkungen der Corona-Pandemie, aber auch der Krieg, den Russland in der Ukraine verursacht hat und die damit verbundenen steigenden Energiekosten. Wir haben im Bundesländer-Vergleich den Haushalten finanziell das meiste an Unterstützung zukommen lassen, um die Kaufkraft zu sichern und durch diese Krise zu kommen. Von daher freue ich mich, dass für das heurige Jahr ein Wirtschaftswachstum prognostiziert ist.

Das Regierungsprogramm ist sehr wirtschaftslastig. Ist noch genug sozialdemokratische DNA darin enthalten?

Wirtschaft ist für mich als Bürgermeister etwas ganz Wichtiges. Sie ist die Basis, dass wir andere Maßnahmen, von der Sozial- bis zur Kulturpolitik, schaffen können. Im sozialpartnerschaftlichen Einvernehmen werden wir den Wirtschaftsstandort stärken. Wir haben uns in Abstimmung mit der Bundesregierung etwa für eine KI-Giga-Factory beworben. Das ist eine Großrechenanlage, die die infrastrukturellen Möglichkeiten schafft, dass wir uns noch stärker mit dem Thema Digitalisierung und Künstliche Intelligenz beschäftigen.

Es gibt Stimmen, die bezweifeln, dass man so ein Rechenzentrum braucht.

Ich bin überzeugt, und nicht nur ich, sondern viele Entscheidungsträger in der Europäischen Union, dass es notwendig ist, wenn wir mit der Entwicklung in den USA und in China Schritt halten wollen. Es ist jetzt schon so, dass wir im internationalen Wettbewerb durchaus Aufholbedarf haben. Es wird eine infrastrukturelle Grundvoraussetzung sein, um hier mithalten zu können.

Die Jugendarbeitslosenquote bei den unter 25-Jährigen liegt in Wien bei 11,7 Prozent. Wie will man das Ruder rumreißen?

Wir haben in den vergangenen Jahren eine Reihe von Aktionen bei der Generation 50 plus gesetzt, da ist vieles gelungen. Jetzt werden wir den Fokus ganz stark auf die Jungen legen. Da fehlt es oft an notwendigen Qualifizierungsmaßnahmen. Hier ist auch noch mehr von Bundesseite zu machen.

Inwiefern?

Es gibt viele junge Menschen, die inhaltlich sehr interessiert sind, allerdings den Zugang in Unternehmen nicht finden, weil sie mangelnde Deutschkenntnisse haben. Daher ist es sicher eine große Aufgabe, beispielsweise für den ÖIF (Österreichischer Integrationsfonds, Anm.), hier noch mehr Kurse anzubieten. In Wien tun wir das sehr stark durch Sommerdeutschkurse oder durch Kurse an den Volkshochschulen.

Stichwort Sparen: Wie schmerzhaft werden die nächsten fünf Jahre für die Wienerinnen und Wiener?

Wir haben uns vorgenommen, dass wir – so wie im vergangenen Jahr – rund 500 Millionen Euro einsparen. Ich habe alle Ressortbereiche und Ressortverantwortliche aufgefordert, Vorschläge zu machen. Und wenn ich sage alle, dann meine ich auch alle. Natürlich wird das spürbar sein.

Aber konkret ist noch nichts?

Nein, das werden wir nach den Verhandlungen im Herbst präsentieren.

Ein viel diskutiertes Thema ist das Öffi-Ticket. Im Februar haben Sie noch gesagt, dass das 365-Euro-Jahres-Ticket bleibt. Ist es fix, dass es teurer wird?

Wir haben angeregt, dass es 2024/25 so bleibt. Dass man das nicht bis in alle Ewigkeit fortführen kann, war, glaube ich, immer allen bewusst. Es ist 2012 eingeführt worden, schon zu reduzierten Konditionen, es wäre damals schon teurer gewesen. Besitzerinnen und Besitzer des Jahrestickets haben sich bis jetzt rund 2.000 Euro erspart. Das hat geholfen in schwierigen Zeiten, aber wenn über einen so langen Zeitraum ein Preis nicht angepasst wird, muss man das einmal machen.

Warum dauert eine Adaptierung der Mindestsicherung so lange?

Die Mindestsicherung ist das unterste soziale Netz und dient ganz unterschiedlichen Personengruppen. In etwa die Hälfte aller Bezieherinnen und Bezieher der Mindestsicherung sind nicht am Arbeitsmarkt vermittelbar, weil sie entweder Kinder sind, Pensionisten oder behinderte Menschen. Ich bin für eine bundeseinheitliche Regelung, die hat es schon mal gegeben, sie ist aber unter FPÖ-Regierungsbeteiligung aufgehoben worden. Mein Vorschlag ist eine Abwicklung der Mindestsicherung für alle potenziell berufstätigen Menschen von 15 bis 65 über das AMS, zum Zweiten eine Kindergrundsicherung, weil Kinderarmut auf jeden Fall zu vermeiden ist, und zum dritten eine Residenzpflicht. Ich bin da auch mit den Mitgliedern der Bundesregierung in Gesprächen in der Frage der Sozialhilfe.

Gibt es eine Chance, dass es heuer eine Lösung gibt?

Ich glaube, heuer wird das nicht zur bewerkstelligen sein, aber ich würde mich freuen, wenn noch im heurigen Jahr die Gespräche geführt werden, die dann zu einem konkreten Ergebnis führen.

Vizebürgermeisterin Bettina Emmerling hat am Wochenende gesagt, sie will die Sozialhilfe für Familien mit mehreren Kindern definitiv kürzen. Ist das ein Dealbreaker für die SPÖ?

Bei der Familienbeihilfe ist es so, dass je mehr Kinder es gibt, desto mehr Familienbeihilfe pro Kopf ausbezahlt wird. Ich kann mir gut vorstellen, dass wir das mit Sachleistungen in Relation setzen. Aber prinzipiell würde ich am Grundsatz festhalten, jedes Kind gleichzubehandeln. Für mich ist nicht nachvollziehbar, warum das fünfte Kind weniger wert sein soll als das dritte.

Verändert das das Koalitionsklima?

Nein, dass es in zwei verschiedenen Parteien unterschiedliche Sichtweisen gibt, halte ich für etwas Natürliches.

Jetzt haben wir viel von Sparen geredet. Worauf können sich die Wienerinnen und Wiener in den nächsten fünf Jahren freuen?

Auf vieles. Ich habe deshalb den Fokus auf die Stärkung des Wirtschaftsstandortes gelegt, weil es die Möglichkeit schaffen soll, viele andere auch sehr positiv wirksame Dinge zu ermöglichen. Wir werden sehr kritisch jeden Euro umdrehen, aber es soll möglich sein, dass alle Menschen unabhängig von ihrem sozialen und wirtschaftlichen Hintergrund all das weiter in Anspruch nehmen können, wofür wir stehen. Das gilt für den geförderten Wohnbau, das Gesundheitswesen, aber auch für die Kulturangebote.

Wien hat den Titel der lebenswertesten Stadt verloren. Wie sehr schmerzt das?

Nachdem wir über zehn Jahre bei Mercer und bei anderen vergleichbaren internationalen Rankings den ersten Platz innehatten, habe ich immer gesagt, dass ich glaube, es wird für die Medien erst dann wieder relevant, wenn wir nicht Erster, sondern Zweiter sind unter Hunderten Städten. Und so ist es auch. Dass wir in dieser einen Studie auf den zweiten Platz gerankt wurden, liegt daran, dass das Taylor-Swift-Konzert abgesagt worden ist. Dafür können wir in der Stadt Wien wirklich nichts. Mit Zürich und anderen attraktiven Städten bemühen wir uns immer, ganz vorne zu sein. Das erfüllt mich mit einem gewissen sportlichen Eifer.

Als Schlusswort: Blicken Sie optimistisch in die Zukunft?

Ich bin generell ein optimistisch denkender Mensch. Hier im Rathaus, im roten Salon, wurde vor 80 Jahren die Zweite Republik gegründet. Da muss man sehen, welchen weiten Weg wir in Wien und in Österreich gegangen sind, um einen solchen Lebensstandard zu haben – mit allen Herausforderungen, die natürlich bestehen. Ich gehöre nicht zu jenen, die glauben, früher war alles besser. Es war früher nichts besser. Wir leben in der wahrscheinlich besten Zeit, in der man leben kann. Ich bin jeden Tag sehr dankbar, dass ich in Wien leben darf.

Kommentare