Nach Erdoğan-Siegesfeiern: "Weder Österreicher noch Türke"

Farbspritzer auf den Arbeitsschuhen, braun gebrannt und mit Kaffee oder Zigarette in der Hand. So sitzt am Donnerstagabend eine Männergruppe vor einem Lokal in der Wiener Brigittenau. Die Männer sind gut aufgelegt, scherzen und genießen die Abendsonne. Einige von ihnen kommen direkt vom Bau. Dass sie scherzen, erkennt man in diesem Moment an ihren breiten Grinsern – denn sie unterhalten sich auf Türkisch.
Die Männer treffen sich regelmäßig in dem Café in der Salzachstraße. Viele der knapp 46.000 in Wien lebenden Türken wohnen im 20. Bezirk. Das Lokal, vor dem die Gruppe sitzt, ist beliebt bei Kartenspielern. Noch genießen sie aber den milden Abend. Dabei sind sie in Redelaune.
„Ich bin hier geboren, also schon in der zweiten Generation in Österreich. Ich bin aber türkischer Staatsbürger“, erzählt der 48-jährige Valcin Servet. Er ist damit einer von rund 108.000 in Österreich lebenden Türken, die in der Türkei wahlberechtigt sind. Mehr als die Hälfte machten in den vergangenen Wochen von ihrem Wahlrecht Gebrauch, 74 Prozent davon unterstützten Amtsinhaber Recep Tayyip Erdoğan.
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So auch fast alle aus der Café-Runde. Bei ihnen handelt es sich um Gastarbeiter, die in den 1980ern nach Österreich kamen. Zum Teil auch um deren Kinder. Obwohl sie fast ihr ganzes Leben in Österreich gearbeitet, gelebt und hier Familien gegründet haben, fühlen sie sich in erster Linie als Türken.

Valcin Servet, Erdoğan-Wähler: „Er ist ein starker Führer. Ich habe meinen Sohn nach ihm benannt. Würde ein Diktator eine Stichwahl zulassen?“
Damit stehen sie offenbar nicht alleine da. Hunderte Austro-Türken versammelten sich vergangenen Sonntag nach Erdoğans Wahlsieg zu einer Kundgebung in Favoriten. Ein Autokorso legte stundenlang den Reumannplatz lahm. Die Erdoğan-Anhänger skandierten Parolen, hielten Bilder ihres „Sultans“ hoch und schwenkten türkische Fahnen. Ein Großeinsatz der Polizei war die Folge.
„Lügenpresse“
Spricht man die türkischen Arbeiter in der Brigittenau auf diese Begeisterung für einen Politiker an, der die Türkei zunehmend in einen autoritären Gottesstaat verwandelt, so wird man rasch korrigiert: „Dass die Leute in Europa Erdoğan negativ sehen, liegt an den Medien. Die lügen. Würde ein Diktator eine Wahl und eine Stichwahl zulassen?“, fragt Servet mit einem provokanten Lächeln, ehe er genüsslich an seiner Zigarette zieht.
Der 48-Jährige entpuppt sich als wahrer Fan des türkischen Präsidenten: „Er hält, was er verspricht. Er hat Tausende Kilometer Autobahnen gebaut, sechsspurig. Jede Stadt in der Türkei hat heute ein Krankenhaus. Wir brauchen diesen starken Führer. Ich habe meinen Sohn Recep nach ihm benannt.“ Seinem Sohn, der Österreicher ist, empfehle er übrigens, die FPÖ zu wählen. Diese sei wenigstens korrekt.
Auch Skeptiker
Natürlich sind nicht alle Austro-Türken solche Verehrer des wiedergewählten Staatschefs. 300.000 türkischstämmige Menschen leben in Österreich. Ein gutes Drittel davon war wahlberechtigt. Soziologe Kenan Güngör warnt davor, alle in einen Topf zu werfen: „Diese 74 Prozent, die für Erdoğan gestimmt haben, sind natürlich eine hohe Zahl. Gleichzeitig muss man bedenken, dass mehr als 40 Prozent der wahlberechtigten Austro-Türken überhaupt nicht wählen gegangen sind.“ Ihre Begeisterung für den Amtsinhaber dürfte sich also in Grenzen halten.

Kenan Güngör, Soziologe: „Man darf nicht alle in einen Topf werfen. Mehr als 40 Prozent der wahlberechtigten Austro-Türken haben gar nicht gewählt.“
Nichtsdestotrotz haben knapp 45.000 Austro-Türken für Erdoğan und seine AKP gestimmt. Die Gründe dafür sind divers, wie der 30-jährige Taxifahrer Mesut Senyurt zeigt. Er will mitreden: „Dass ich in der Türkei wähle, ist mein Recht. In Österreich darf ich nicht wählen, aber irgendwo möchte ich auch mitbestimmen. Das, was in Favoriten passiert ist, find ich aber falsch. Wenn man hier lebt, sollte man sich anpassen.“ Er gab seine Stimme ebenfalls Erdoğan: „Jemand, der mehr als 20 Jahre ein Land regiert, muss etwas richtig machen.“
Einem älteren Mann, der die restliche Gruppe gerade mit Handschlägen begrüßt, geht es um das Selbstbewusstsein seines „Mutterlandes“: „Als ich mit zehn Jahren hergekommen bin, war die Türkei noch ein armes Land. Heute sind wir wer. Wenn sich andere Politiker verstecken, tritt unser Präsident mit Selbstvertrauen auf.“
Der 58-jährige Maurer will anonym bleiben, denn nicht mit allen Maßnahmen „seines“ Präsidenten sei er einverstanden. Ihm zufolge hätten unter Erdoğan in vielen Städten Bordelle schließen müssen. „Wenn ich in Wien bumsen will, kann ich das überall. Mit Religion hat das nichts zu tun. In Koran und Bibel steht, dass Männer und Frauen zusammengehören.“
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Woher er diese Informationen hat, erläutert er nicht weiter. Klar ist aber, dass viele Auslandstürken sich nach wie vor in türkischen Medien über das Weltgeschehen informieren. Güngör zufolge ein Problem. Laut dem Türkei-Experten sind dort 85 Prozent aller Medien unter Regierungskontrolle. Bei der Berichterstattung handle es sich überwiegend um Regierungspropaganda, die Opposition komme nicht zu Wort.
Die Propaganda funktioniert. In anderen Ländern mit großer türkischer Community – etwa Deutschland, Belgien oder die Niederlande – war die AKP ähnlich erfolgreich. „Ich informiere mich auf Youtube, wenn ich wissen will, was in der Türkei los ist“, erzählt Taxilenker Senyurt. Erdoğan-Fan Servet gibt ihm recht: „Ich bin 48 Jahre hier, schaue aber türkisches Fernsehen.“
„Stiefkinder“
Dass so viele Menschen mit türkischen Wurzeln sich der Türkei stärker verbunden fühlen als Österreich, liegt Güngör zufolge unter anderem daran, dass sie sich in der Gesellschaft als ungewollte Stiefkinder fühlen. Die türkische Regierung würde diesen Wunsch nach Zugehörigkeit und Anerkennung dann bedienen.
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In dem Gespräch vor dem Café in der Brigittenau bestätigt sich die Einschätzung des Soziologen: „Wenn ich dir sag’, dass ich Österreicher bin, dann lachst du mich aus“, sagt der 58-jährige Maurer, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. „Als ich in meiner Jugend wegen einer Blödheit vor Gericht stand, sagte die Richterin zu mir, dass eine Aufenthaltsbewilligung schnell entzogen sei. Seitdem ist mir klar, dass ich zwar hier lebe, aber kein Österreicher bin.“
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