Wie die Mutter des Wien-Attentäters vom Anschlag erfuhr
Die Frau im schwarzen Daunenmantel wirkt gefasst, als sie den Gerichtssaal betritt. Blondierte Haare, die zu einem Zopf zusammengebunden sind. Zierlich, Ende 40. Sie wirkt unauffällig. Und dennoch sind an diesem Vormittag alle Augen auf sie gerichtet.
Die Frau im Daunenmantel ist die Mutter des Wien-Attentäters Kujtim F., der am 2. November 2020 vier Menschen in der Innenstadt erschossen hatte. Sie ist am Mittwoch als Zeugin im großen Terrorprozess gegen sechs mutmaßliche Unterstützer ihres Sohnes geladen.
Sie dreht sich um, schaut den Angeklagten ins Gesicht. "Ich kenne nur zwei von ihnen. Ismail und Burak. Sie waren die Freunde meines Sohnes", sagt sie.
Frau F. ist alleine gekommen. Ihr Mann - er soll ebenfalls als Zeuge aussagen - befindet sich gerade im Ausland. Sie soll viele Fragen beantworten. Nicht immer kann sie das. "Das habe ich erst durch die Medien erfahren", sagt sie mehrfach.
"Ihr seid Ungläubige!"
Das Verhältnis zu ihrem Sohn war nicht einfach. Speziell nach seiner ersten Verurteilung wegen einer missglückten Syrien-Reise mit Burak K. sei es schwierig gewesen. Kujtim F. warf seinen Eltern vor, "Ungläubige" zu sein. Warum? "Weil ich kein Kopftuch trage", sagt die Frau.
Religiöse oder politische Themen seien bald tabu gewesen. "Wenn wir das angesprochen haben, gab es immer Stress", schildert die Mutter. Also schwieg man lieber darüber. "Dann hat sich das Verhältnis auch gebessert. Man konnte sogar wieder mit Kujtim lachen", erinnert sie sich. Dass er damals noch radikale Ansichten vertrat, habe sie zu dem Zeitpunkt nicht mehr wahrgenommen. "Im Nachhinein dann", sagt sie.
Nach der Haft habe ihr Sohn eine eigene Wohnung in der Wagramer Straße bekommen. Die Eltern halfen beim Einrichten. Es war eine spartanische Wohnung. Küche, Sofa, Tisch, Matratze und eine Kommode. Doch Kujtim sei oft wieder in die elterliche Wohnung gekommen, habe dort geschlafen. "Das hat mich einerseits gewundert. Aber auch gefreut", erinnert sich die Frau F. "Wahrscheinlich war es deshalb, weil seine Freunde ganz in der Nähe wohnen."
Dennoch war der Kontakt zum Sohn überschaubar. Wenn Frau F. in die Arbeit fuhr, schlief er. Wenn sie heimkehrte, war er meist unterwegs. Wo? Das kann sie nicht beantworten. "Er konnte ein- und ausgehen, wie er wollte."
Wenige Freunde
Freunde brachte er nie in die Wohnung. "Ich hätte das auch verboten", sagt sie. Denn sie habe den vorbestraften Burak K. nicht hier haben wollen. "Er war ein schlechter Einfluss." Dass Kujtim F. sehr wohl auch andere Freundschaften pflegte, bekam die Familie nicht mit. "Das habe ich erst später erfahren. Das hat mich überrascht."
Durch Zufall habe sie bei einem Besuch gesehen, dass Kujtim F. einen Mitbewohner hatte. Es war der Angeklagte Hedayatollah Z. Gesehen hat sie ihn nie. Ihr Sohn sagte ihr nur: "Er hat gerade Probleme mit seiner Frau."
Vor dem Attentat hätte sie keine Veränderung an ihrem Sohn wahrnehmen können, sagt die Mutter. Ihr Sohn sei regelmäßig ins Fitness-Studio gegangen, hatte Kontakte zu Sozialarbeitern und war in der Derad-Betreuung. Er fand einen Job als Security. In der Firma soll er bereits davon gesprochen haben, etwas in die Luft zu jagen. So wie auch schon während seiner Haft. "Zu uns hat er nie so etwas gesagt. Das habe ich aus den Medien erfahren", sagt die Frau.
Der letzte Kontakt
Als sie von der Zeit direkt vor dem Attentat erzählt, bricht sie in Tränen aus. Geschworene reichen ihr ein Taschentuch. "Das wollte ich nicht", sagt die Mutter. Hält kurz inne. Und beginnt zu erzählen: "Ich habe ihn das letzte Mal am 1. November gesehen. Wir waren auswärts zu Besuch. Als wir zurück gekommen sind, hat er gefragt, wo wir so lange waren", erinnert sie sich. Wenig später habe er eine Einkaufstasche genommen und habe die Wohnung verlassen. "Ich schlafe bei Burak", habe er zum Abschied gesagt. Dann war der Sohn weg.
Am nächsten Abend erreichte sie der Anruf eines Verwandten. Ob Kujtim daheim sei, wurde sie gefragt. "Warum?", fragte sie. "Dreh den Fernseher auf", sagte der Verwandte. "Da habe ich mitbekommen, was los ist."
Helfer
Ob sie einschätzen könne, ob ihr Sohn das Attentat alleine geplant hat oder ob er Unterstützung hatte, wird sie gefragt. "Ich glaube schon, dass ihm jemand geholfen hat", sagt sie. Nach ihrer Befragung verlässt sie mit schnellem Schritt den Saal, schaut nicht zurück.
Nächster Prozesstag: 10. Jänner.
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