Sechs "Klosterschüler" und ein Terrorprozess

Sechs "Klosterschüler" und ein Terrorprozess
Die Männer, die den Wien-Attentäter unterstützt haben sollen, bestreiten das. Zum Prozessauftakt herrschen massive Sicherheitsvorkehrungen.

Eine Menschenmenge drängt sich vor dem gusseisernen Tor. Journalisten recken ihre Mikrofone den Anwälten entgegen. Fotografen versuchen, ein paar Schnappschüsse zu ergattern. Gerichtskiebitze stehen Schlange vor der zusätzlichen Sicherheitsschleuse. Besucher müssen ihre Ausweise vorzeigen, die Taschen werden kontrolliert. Es herrscht Ausnahmezustand im Wiener Landesgericht für Strafsachen.

Am Dienstag fand der erste Verhandlungstag gegen sechs mutmaßliche Unterstützer des Wien-Attentäters statt. Er tötete am 2. November 2020 vier Menschen in der Wiener Innenstadt.

Die Gesichter der sechs Männer wird die breite Öffentlichkeit aber nicht zu sehen bekommen. Im Großen Schwurgerichtssaal herrscht striktes Film- und Fotoverbot. „Das wird auch kontrolliert“, stellt der vorsitzende Richter in dem Verfahren gleich zu Beginn klar. Als ein Medienvertreter zu seinem Handy greift, wird er sofort ermahnt: „Handy ist verboten!“

Nummer 1

Anonymität wird in diesem Prozess eine besondere Rolle spielen. Die Geschworenen, die schlussendlich die Urteile fällen werden, bekommen keine Namen. Als sie vereidigt werden, ruft sie der Richter mit Nummern auf. „Ich schwöre, so wahr mir Gott helfe!“, antworten sie. Oder: „Ich gelobe!“

Fünf der sechs Angeklagten werden aus der Untersuchungshaft vorgeführt. Die Justizwachebeamten tragen Masken. Auch sie sollen nicht erkannt werden. Die Beschuldigten erscheinen in Hemd und Sakko, sorgsam gekämmt. „Wie Klosterschüler“, nennt das die Staatsanwältin.

Sechs "Klosterschüler" und ein Terrorprozess

Rummel vor dem Zugang zum Großen Schwurgerichtssaal. Anwälte geben Interviews, Besucher müssen durch die Zusatzschleuse.

Die Staatsanwältin wirft den Männern im Alter von 22 bis 32 Jahren terroristischen Mord, Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und in einer kriminellen Organisation vor. Strafrahmen: lebenslange Haft. Bei zwei Angeklagten, die zum Zeitpunkt des Terroranschlags junge Erwachsene waren, beträgt der Strafrahmen maximal 20 Jahre.

„Jeder hier weiß genau, was er am Abend des 2. November gemacht hat und wie er sich gefühlt hat“, sagt sie. „Ich erinnere mich an die bangen Stunden bis zur Entwarnung. An Unsicherheit und Fassungslosigkeit. Und an die Angst und Panik, die ich verspürt habe.“

620 Schuss pro Minute

Dann verliest die Anklägerin die Namen derer, die in dieser Nacht ihr Leben verloren haben: Nedzip V. (21), Vanessa P. (24), Gudrun S. (44) und Qiang L. (39). Es sei ein großes Glück gewesen, dass nicht noch mehr Menschen in dieser Nacht starben. Sie zeigt ein Foto der Kalaschnikow, die Attentäter Kujtim F. verwendet hatte. „Wenn man sie richtig verwendet, kann man 620 Schuss in der Minute damit abgeben.“

Kujtim F., kann dafür nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden. Er wurde von einem WEGA-Beamten erschossen. Doch die sechs Männer, die nun vor Gericht stehen, sollen maßgebliche Rollen bei der Vorbereitung des Anschlags geleistet haben. „Nicht nur der Attentäter war Anhänger der menschenverachtenden IS-Ideologie. Auch jeder einzelne Angeklagte.“ Fünf von ihnen seien dem Verfassungsschutz schon vor der Terrornacht bekannt gewesen.

Sechs "Klosterschüler" und ein Terrorprozess

Das bestreiten die Männer. Keiner will im Vorfeld etwas über die Pläne des späteren Attentäters gewusst haben. Mit der Ideologie des IS hätten sie nichts am Hut. „Mein Mandant hat nie mit solchen Menschen sympathisiert. Er hält sie für Spinner und religiöse Freaks. Einige seiner Freunde sind in die Moschee gegangen. Er lieber auf Partys“, sagt Rechtsanwalt David Jodlbauer. Andere wollen Kujtim F. nur aus Kindheitstagen gekannt haben. „Das ist der einzige Vorwurf, dem man ihm machen kann“, meint etwa Anwalt Manfred Arbacher-Stöger. „Er war jetzt zwei Jahre in U-Haft und wurde komplett abgekapselt. Man hat ihm zwei Jahre seines Lebens genommen.“

Rudolf Mayer wiederum meint: „Mein Klient war von März bis Juni in der Türkei. Wenn er sein engster Freund gewesen sein soll und ihm bei der Planung geholfen haben soll, wäre er ja da gewesen.“

Die Verteidiger finden Ungereimtheiten bei den Ermittlungen, irritierende Zeitangaben, mögliche Fehler bei der Auswertung des Handystandortes. All das führen sie ins Treffen.

Schuldig bekennt sich keiner der Angeklagten. Nur die beiden, die bei der Besorgung der Waffe geholfen haben sollen, gestehen das ein. „Er hat ein Gewissen, er hadert damit. Aber ein Waffenhändler ist kein Mörder“, sagt Anwältin Astrid Wagner.

Die Angeklagten selbst kommen ab 1. Dezember zu Wort. Mit Urteilen ist im kommenden Februar zu rechnen.

Kommentare