Sondersitzung im Wahlkampfmodus: Wiener Landtag streitet über Mindestsicherung
Eine neunköpfige Familie mit gut 500 Euro pro Person im Monat zu ernähren, und das in einer Stadt wie Wien. Aufgrund der gestiegenen Lebenskosten für viele Menschen in Österreich schwer vorstellbar. Das ist die eine Seite der Erzählung. Auf der anderen ist die Rede von 4.600 Euro netto pro Monat über die Mindestsicherung für eine syrische Flüchtlingsfamilie in Wien.
Von sozialen Netzwerken bis hin zu Stammtischen beherrschen diese Zahlen seit Wochen den Diskurs. Am Mittwoch erreichte die Debatte den Wiener Landtag. Auf Verlangen der FPÖ fand eine Sondersitzung zur Mindestsicherung statt.
Nach einer Gedenkminute für den ehemaligen roten Gemeinderat Hans Sevcik, der im August 87-jährig verstorbenen war, ging Erstredner und Wiens FP-Chef Dominik Nepp unmittelbar in den Angriffsmodus über: „Diese Familie bekommt im Monat rund 6.000 Euro netto fürs Nichtstun. Wie erklären Sie das der arbeitenden Bevölkerung?“, fragte er in Richtung Landeshauptmann Michael Ludwig (SPÖ).
Laut Nepp würden noch Familienbeihilfe, Schulstartgeld, Klimabonus, Befreiung des ORF-Beitrags und Ermäßigung bei Öffi-Tickets zur Mindestsicherung kommen. Er forderte, dass Sozialleistungen wie die Mindestsicherung zukünftig nur mehr an Österreicher ausbezahlt werden.
Wahlkampftöne und Zahlenspiele sollten auch von den folgenden Rednern zu hören sein. Die grüne Abgeordnete Judith Pühringer hielt der FPÖ entgegen, dass 73,8 Prozent der Mindestsicherungsbezieher in Wien berufstätige „Aufstocker“ seien. „Das heißt, deren Einkommen ist so gering, dass sie damit unter dem Existenzminimum leben.“
Dass auch diese Zahl Interpretationsspielraum offenlässt, betonte ÖVP-Gemeindeparlamentarierin Caroline Hungerländer, die Pühringers Ausführungen als „rührselig“ bezeichnete – schließlich würden zu den zitierten 73,8 Prozent Einkommen in Form von AMS-Geld, Einschulungsgeld und Gesundheitsleistungen zählen.
Sozialer Fleckerlteppich
Mahnende Worte gab es am Mittwoch nicht nur vom Rednerpult. Der Gemeinderatsvorsitzende Thomas Reindl (SPÖ) ermahnte etwas abseits des Geschehens einen Praktikanten, dass kurze Hosen im Landtag nicht gerne gesehen seien. „Ich wär’ auch lieber in Birkenstock da“, erinnerte er den jungen Mann an die Regeln.
Auf die Regeln, diesmal allerdings an die FPÖ gerichtet, verwies auch der Neos-Landtagsabgeordnete Jörg Konrad, der den Blauen vorwarf, sich mit ihren Forderungen weder an Verfassung noch EU-Recht zu halten. Zudem erinnerte er die Freiheitlichen an ihre Verantwortung in der einstigen Regierung mit der ÖVP: „Sie haben unserem Land mit der Novelle des Sozialhilfegrundsatzgesetzes aus populistischen Gründen einen sozialpolitischen Fleckerlteppich beschert.“
Tatsächlich ist es so, dass die Zuschüsse zur Sozialhilfe von Bundesland zu Bundesland stark variieren. Besonders dem roten Wien wird in diesem Zusammenhang vorgeworfen, einen „Pull-Faktor“ für Flüchtlinge zu generieren. Eine Kritik, die Marina Hanke von der Wiener SPÖ in einer emotionalen Rede nicht gelten lassen wollte.
Anhand eines Faktenchecks rechnete sie vor, dass 37 Prozent der Mindestsicherungsbezieher Kinder seien, neun Prozent Erwachsene und elf Prozent Pensionisten und Menschen mit Behinderung. „Das sind Menschen, von denen hoffentlich alle einverstanden sind, dass diese Hilfe brauchen“ und unabhängig von der Herkunft, „ein Kind ist ein Kind“, richtete sie der Opposition unter Beifall aus.
Der im Zuge der Mindestsicherungsdebatte von der FPÖ Anfang August angekündigte Misstrauensantrag gegen Bürgermeister Ludwig und Sozialstadtrat Peter Hacker war in der Sondersitzung nur am Rand Thema. Dafür hätten die Freiheitlichen die Stimmen der ÖVP gebraucht. Die übrigen Anträge der Opposition fanden ebenso nicht die notwendige Mehrheit. Der Antrag der SPÖ und der Neos zum Thema bundesweite Regelung der Sozialhilfe wurde mehrstimmig angenommen. Ebenso ein Antrag zur Wohnsitzauflage für anerkannte Flüchtlinge.
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